Politikwissenschaftler Kishore Mahbubani "Die heutige Weltordnung ähnelt der Apartheid"

Der Politikwissenschaftler Kishore Mahbubani über den Aufstieg des Fernen Ostens und die Fehler des Westens.

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Kishore Mahbubani

WirtschaftsWoche: Herr Professor, der Ferne Osten hat die Weltfinanzkrise schnell überwunden. Beginnt jetzt das asiatische Jahrhundert?

Mahbubani: Das hat definitiv schon begonnen. Zwar wird die Entwicklung in der Region in den kommenden Jahren nicht immer reibungslos verlaufen, es wird auch wieder Rückschläge geben. Aber der generelle Trend ist klar: Asiens Macht und Einfluss werden stark zunehmen. Dabei muss man bedenken, dass die Dominanz des Westens in den letzten 200 Jahren nur eine Ausnahme in der Geschichte war. Bis 1820 waren China und Indien die größten Volkswirtschaften der Welt. Was im Moment passiert, ist eigentlich nichts Neues. Es wird lediglich die historische Normalität wiederhergestellt.

Sie haben geschrieben, Asiens Aufstieg werde „alles verändern“. Wieso?

Die derzeitige globale Ordnung basiert auf der Dominanz des Westens. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt beispielsweise, dass der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Europäer sein muss, der Chef der Weltbank ein Amerikaner. Das ist eine absurde Regel, die abgeschafft gehört. Oder nehmen wir den UNO-Sicherheitsrat. Die ständigen Mitglieder sind die Sieger des Zweiten Weltkriegs. Das kann doch nicht sein. In der Medienindustrie dominieren weltweit die Briten und Amerikaner. Auch das wird sich ändern.

In Ihrem Buch „The New Asian Hemisphere: the irresistable shift of global power to the east“ schreiben Sie, die Welt werde eine bessere sein, wenn Asien mehr zu sagen hat. Wirklich?

Es ist doch besser, wenn die Geschicke der Welt von einer Region gelenkt werden, die die Mehrheit der Weltbevölkerung stellt. Nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung lebt im Westen, dagegen mehr als die Hälfte in Asien. Die heutige Weltordnung ähnelt der einstigen Apartheid in Südafrika. Eine Minderheit kontrolliert die Mehrheit. Das muss sich ändern.

Das Auftreten der Chinesen bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen lässt nicht erwarten, dass Asiaten eine konstruktive Rolle bei der Lösung globaler Probleme spielen.

Es ist unfair, die asiatischen Länder für die Erderwärmung verantwortlich zu machen! Die Umweltprobleme haben wir doch vor allem, weil die Industriestaaten in den letzten 200 Jahren Treibhausgase in die Luft geblasen haben. Warum sollen die Newcomer der Weltwirtschaft jetzt für das zahlen, was der Westen angerichtet hat? Es wird erst eine Lösung geben, wenn die Amerikaner bereit sind, Opfer zu bringen. Aber das sehe ich nicht. Sie akzeptieren ja nicht einmal eine Steuer auf Benzin.

Von einer politischen Integration wie in Europa sind Asiens Länder doch noch sehr weit entfernt. Warum?

In Europa leben rund 350 Millionen Menschen, in Asien mehr als 3,5 Milliarden. Die Region ist sehr vielfältig, mit vielen verschiedenen Kulturen und Religionen. Europa ist dagegen ein zusammenhängender Kulturraum, der auf dem Christentum basiert. Man kann darum nicht erwarten, dass Asien mit einer Stimme spricht. Das Erfreuliche ist aber, dass der Trend trotz der unterschiedlichen politischen Interessen hin zu einer stärkeren Integration und Kooperation geht. Mit dem Freihandelsabkommen zwischen den ASEAN-Staaten und China etwa hat der Ferne Osten im Januar die größte Freihandelszone der Welt geschaffen.

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