Politikwissenschaftler Thomas Jäger „Klimaschutz ist einfach nicht sexy genug“

Aus den Augen, aus dem Sinn? Seit dem Klimagipfel in Paris Ende vergangenen Jahres ist es um den Klimaschutz wieder ruhiger geworden. Hinter den Kulissen wird verhandelt – doch das Interesse schwindet. Eine Spurensuche.

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Vom Klimawandel bedroht. Quelle: Imago

Berlin Exakt drei Monate ist es nun her, dass die 195 teilnehmenden Staaten auf der Klimakonferenz in Paris das Ja-Wort zu einem neuen Klimavertrag gegeben haben. Der gemeinsame Beschluss, sagen Experten, sei von höchster Priorität für folgende Generationen. Seit der Konferenz ist der Klimaschutz jedoch wieder zu einer Randerscheinung geworden. Wie kommt es dazu? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Thomas Jäger.

Herr Jäger, im Dezember vergangenen Jahres, vor und während des Klimagipfels in Paris, war der Klimaschutz das bestimmende Thema in Deutschland. Inzwischen hat das Interesse spürbar nachgelassen. Woran liegt das?
Das Thema ist einfach nicht sexy genug. Wie soll man Klimaschutz langfristig auch spannend darstellen? Momentan befinden wir uns in einem Bürokratieprozess, in dem die Vereinbarungen umgesetzt werden. Spannend waren hingegen die Verhandlungen, spannend waren die Auftritte der Staats- und Regierungschefs in Frankreich.

Es gibt momentan auch andere Themen, die uns beschäftigen …
Das ist der zweite Hauptgrund. Es gibt derzeit einfach zu viele Themen, die einen höheren Nachrichtenwert haben und den Klimaschutz überlagern. Das soll nicht zynisch klingen, doch beim Klimaschutz gibt es nicht den großen Schaden, den man sehen kann. Ein Tsunami etwa erregt große Aufmerksamkeit. Man gerät insgesamt in einen Kreislauf von Politik, Medien und Öffentlichkeit, in dem sich die Akteure gegenseitig befeuern, aber auch gegenseitig ausbremsen. Die Öffentlichkeit verliert das Interesse, die Medien ebenso und die Politik kümmert sich auf ihre eigene Art und Weise.

Reicht die Zuspitzung der Flüchtlingskrise allein, um ein globales Thema wie den Klimaschutz aus dem Fokus zu rücken?
Die Flüchtlingsproblematik ist das derzeit überragende Thema. Es ist interessant, weil es kontrovers und zuspitzend ist. Das war bei den Verhandlungen in Paris auch der Fall. In diesen Tagen kann man sich mit dem Klimaschutz aber nicht profilieren, weil schlichtweg die öffentliche Aufmerksamkeit fehlt.

Überrascht Sie das persönlich?
Nein. Der Klimawandel ist bereits seit vielen Jahren ein Thema, das zwischendurch aufflammt und dann lange stumm bleibt. Wissen Sie: Wenn die Mühlen der Politik mahlen, ist nicht so viel Pfeffer in der Geschichte. Es wird – besonders nach bestimmten Ereignissen – wiederkommen.

Gibt es vergleichbare Fälle?
Ein weiteres Beispiel ist das Interesse rund um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Das war ein überaus langer Einsatz. Aktuell war das Thema allerdings nur, wenn etwas Besonderes passiert war. Ansonsten ist der Einsatz ohne große öffentliche Aufmerksamkeit vollzogen worden.

In Paris hatte man das Gefühl, Politik und Gesellschaft waren sich ihrer Verantwortung bewusst. Sind sie das nach wie vor?
Selbstverständlich. Für Fachpolitiker, die jeweiligen Behörden und auch die Fachöffentlichkeit ist das Thema natürlich nach wie vor präsent.


„Der Ball liegt wieder bei den Staaten“

Ist es Fluch oder Segen, dass die ständige Auseinandersetzung fehlt?
Beides. Wenn man diese vermeintliche Ruhe nutzen kann, um Positionen auszutauschen und Kompromisse zu verhandeln, dann ist es von Vorteil. Die Politik hat so mehr Handlungsspielraum. Der Nachteil ist hingegen, dass man zunächst nicht liefern muss. Der Druck, den man in Paris hatte, ist nicht mehr da. Wer weiß, ob die Vereinbarungen von Paris ohne das Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit so getroffen worden wären.

Sind die vereinbarten Klimaziele durch die neuen weltweiten Entwicklungen in Gefahr?
Nicht mehr als sonst. Der Ball liegt nun wieder im Feld der einzelnen Staaten. Es ist ein langfristiger Plan erforderlich.

Wie groß ist die Versuchung, von der Selbstdisziplin im eigenen Land abzuweichen?
Das Kernproblem ist, dass die Staaten niemand disziplinieren kann. Es gibt keine übergeordneten Instanzen. Man verpflichtet sich gemeinsam, doch für die Umsetzung ist letztlich jeder selbst verantwortlich. Es geht nur über den Weg der Selbstverpflichtung. Niemand kann die Regierungen in China und den USA zu irgendetwas zwingen.

Die Staaten versuchen, den Klimawandel eher als Chance denn als Risiko zu betrachten.
Als Chance, die eigene Wirtschaft umzustellen und ein Geschäft zu machen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass das Interesse in den Staaten auch stark umstritten ist, denn die innenpolitische Umsetzung erfordert die Überwindung von Gegenmeinungen. Industrieunternehmen etwa haben ihre berechtigten Gegeninteressen. Die Regierungen stecken hier in Zwickmühlen.

Inwiefern?
Es gibt nicht nur klimapolitische, sondern auch wachstumspolitische Ziele. Man muss viele verschiedene Akteure, Unternehmen zum Beispiel, in den Verhandlungsprozess einbinden. Daher kommt man auch nicht umgehend zu einer Sofortlösung – es dauert alles etwas länger.

Die Verhandlungen in Paris waren zäh und anstrengend. Letztlich wurde ein gemeinsamer Klimavertrag entworfen, mit dem alle Teilnehmerstaaten gut leben können. Experten sprachen von einem „historischen Wendepunkt“ und einem „Wunder“. Zurecht?
Das kommt ganz darauf an, was letztlich draus wird. Es ist etwas Besonderes, dass man sich geeinigt hat. Mit dem Wort „historisch“ muss man allerdings vorsichtig sein. Ich habe das Gefühl, wir haben zu viele „historische“ Ereignisse derzeit. Wenn die Erwärmung letztlich unter der Zwei-Grad-Marke bleibt, kann man den Vertrag so nennen.

Streitpunkte waren einmal mehr finanzielle Unklarheiten – die Staaten waren sich nicht einig, wie angedachte Finanzhilfen konkret aussehen sollen. Besteht daher nach wie vor Konfliktpotential?
Definitiv. Es ist immer noch nicht klar geregelt, wer für was in welcher Art und Weise bezahlt.

Was braucht es, damit das Thema Klimaschutz wieder eine höhere Bedeutung erhält?
Ich denke, das Thema wird immer wieder Konjunkturen haben – allein durch den Verhandlungsprozess. Man muss aber immer wieder daran erinnern: Nur die jetzt folgenden Ergebnisse rechtfertigen das Ergebnis von Paris.

 

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