Politische Beziehung zu Kuba Darauf einen Cuba libre

Nach dem Telefonat von US-Präsident Barack Obama mit Kubas Staatschef Raul Castro könnte die Eiszeit in der Karibik zu Ende gehen. Eindrücke von einem Kurzaufenthalt auf Kuba Anfang Dezember.

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Havana in Kuba Quelle: REUTERS


Wieder und wieder saust die Machete, schlägt und schabt den Mörtel ab, bis der Ziegel nackt auf dem Bürgersteig liegt. Gleich nimmt sich der geschickte Arbeiter das nächste Stück vor: eine bloße Hand hält den Stein, die andere führt die Machete. Hat der Messermann einen ansehnlichen Stapel gesäubert und aufgetürmt, fährt ein Kollege den Rohstoff für den Wiederaufbau mit einer Holzkarre auf wackeligem Metallrad zurück ins Innere der Ruine.

So stellt man sich Deutschland 1945 vor, als die Trümmerfrauen die Schuttberge zerbombter Häuser nach wiederverwertbaren Steinen durchflöhten. Doch die Szene ist Kuba 2014, in einem ganz normalen Wohnviertel südlich der historischen Altstadt. Auf Kuba scheint in vielerlei Hinsicht die Zeit stehen geblieben zu sein. Hier gibt es noch rudimentäre Handarbeit am Bau und Sozialismus älterer Prägung. Das amerikanische Embargo von 1961 hat den Kalten Krieg in der heißen Karibik ebenso konserviert wie den Entwicklungsstand des Landes. Für Touristen zeigt sich das pittoresk an den malerisch verfallenden Altstadthäusern und den alten Ami-Schlitten aus den 50er Jahren, den Cadillacs und Chevrolets, die trotz abenteuerlichen Zustandes die Gäste zu den Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt kutschieren. Ein deutscher TÜV-Prüfer kann hier nicht ruhigen Gewissens einsteigen. Mancher kubanischen Familie auf dem Land wenigstens garantieren sie ein Stück Mobilität.

Die größten Gläubiger der USA

Selbst ein Kurzaufenthalt auf der Insel im Dezember 2014 vermittelt einen Eindruck von der schwierigen Lage im sozialistischen Kuba. Diese Zustände könnten sich freilich bald ändern. Seit US-Präsident Barack Obama – zwar nach langen Vermittlungsversuchen und Verhandlungen, aber dennoch etwas überraschend – der Wieder-Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugestimmt und ein Ende des Embargos in Aussicht gestellt hat, könnte schon bald ein wirtschaftlicher Wandel eintreten, der den Charakter Kubas völlig verändern könnte: vom sozialistischen Freilichtmuseum zur touristischen Boomregion. Denn internationales Kapital, nicht zuletzt von den zigtausenden wohlhabenden Exilkubanern in Florida und anderen Teilen der USA, wartet nur darauf, aus der marxistischen Enklave im Meer der Globalisierung eine Touristenhochburg modernen Standards zu machen.

Seit nicht mehr der „Commandante en Jeffe“ Fidel Castro die Revolutions- und Staatsgeschäfte führt, sondern sein jüngerer und deutlich weniger charismatischer Bruder Raul, hat es bereits einige Lockerungen in der Republik gegeben. Kleinbauern haben mehr Freiraum, Firmengründer (bisweilen entlassene Staatsdiener) versuchen ihr Glück mit Restaurants oder kleinen Baubetrieben. Die Zahl der Selbstständigen ist auf 450 000 gestiegen. Seit Anfang 2013 braucht man nicht mal mehr eine behördliche Genehmigung für den Kauf eines gebrauchten oder gar neuen Autos. Verglichen mit den vergangenen 50 Revolutionsjahren ist das fast schon so etwas wie Freiheit. Landeskenner rechnen damit, dass nach dem Tod des heute 88jährigen „Maximo Lider“ der Widerstandsgeist seiner Kommunistischen Partei langsam erlahmen könnte. Das Entgegenkommen der USA könnte diesen Prozess beschleunigen.

Auch in Kuba steigt langsam der Lebensstandard

Kuba ist heute eines der wenigen Länder mit zwei Währungen. Während die Touristen nur mit dem Peso Convertible zahlen dürfen (der faktisch mit dem Kurs 1:1 ausgerechnet an den US-Dollar gebunden ist), sind die Einheimischen im Wesentlichen auf den Inlands-Peso verwiesen, der bei 1:24 zur Ausländerwährung notiert. Die Versorgungslage für die Kubaner ist nicht üppig, aber auch nicht miserabel. Die Auswahl ist nicht riesig, aber die wesentlichen Dinge des tägn Bedarfs liegen in den Regalen. Freilich gibt es Produkte, die nur zu hohen Preisen zu bekommen sind. Als Alltags-Tauschmittel und Trinkgeld-Ersatz Immer noch beliebt sind Seifen und Kosmetikartikel westlicher Produktion.

Da Betteln faktisch verboten ist – Geber wie Empfänger machen sich strafbar, wenn Ausländer konvertible Pesos oder Dollars verteilen -, sieht sich der ausländische Gast bisweilen spitzfindigen Angeboten ausgesetzt. Da Bargeldtransfer nicht erlaubt ist, könne man ja vielleicht mal gemeinsam einkaufen gehen, gern in jenen Touristen vorbehaltenen Supermärkten, in denen die Auswahl deutlich größer, die Preise allerdings auch deutlich höher sind.

Freilich steigt auch in Kuba der Lebensstandard zwar langsam, aber beständig. Auch wenn das Land beispielsweise rund 70 Prozent der Lebensmittel einführen muss, erzielt es Handelsbilanzüberschüsse. Möglich macht’s der Tourismus, nicht nur von Neckermann. Auf der Halbinsel Varadero, der gängigsten Badeadresse der Insel, steht  heute schon über weite Strecken ein All-inclusive-Hotel für Westgäste neben dem anderen, viele betrieben von internationalen, insbesondere spanischen Ketten. Und entlang der vierspurigen Erschließungsstraße wachsen immer neue und noch größere Strandburgen mit bis zu tausend Zimmern heran. In wenigen Jahren könnten hier vielleicht auch US-amerikanische Betreiber ihre Häuser hochziehen.

Dazu bedarf es freilich noch eines gewissen politischen Kulturwandels. Noch sind im Straßenbild antiamerikanische Parolen zu sehen und Großplakate mit jenen in den USA inhaftierten Kubanern, die dort als Spione gelten. Doch nun hat der Gefangenenaustausch eine erste Bresche geschlagen.

Wer im Revolutionsmuseum in Havanna nicht nur Hemden, Hosen und Schuhe von Fidel Castro, Ernesto „Che“ Guevara und Camilo Cienfuegos anschaut, sondern auch zum gläsernen Schaupavillon und der ewigen Flamme hinübergeht, passiert ein Comic-artiges Wandbild, auf dem der Dank an die „Bastarde“ dar- und diese bloßgestellt sind, die eng mit der kubanischen Revolution verbunden seien: Natürlich der Diktator Fulgenico Battista, der den Umsturz überhaupt erst notwendig machte. Dann die US-Präsidenten Ronald Reagan und George H.W. Bush, die mit ihrer Politik die Revolution befördert und gefestigt hätten. Und schließlich „Bastard“ George Bush (Sohn), dargestellt mit Teufelsohren und einem Hakenkreuz-Stahlhelm, dem Dank gebühre, weil er „die Revolution unumkehrbar gemacht hat“.

Barack Obama wird in diese verächtliche Heldenriege wohl nicht mehr aufgenommen. Aber vermutlich sorgt er ja auch mit dafür, dass die Revolution umkehrbar wird.

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