Politische Krise in Südamerika Proteste gegen selbsternannte Übergangspräsidentin Boliviens Jeanine Añez

Die Senatorin Jeanine Añez ernennt sich nach dem Rücktritt Evo Morales' zur Übergangspräsidentin Boliviens. In La Paz sorgt das erneut für Proteste.

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Nach dem Rücktritt von Boliviens Staatschef Morales hat sich die Senatorin Jeanine Anez zur Interimspräsidentin erklärt. Die 52-Jährige muss nun innerhalb von 90 Tagen eine Neuwahl organisieren. Quelle: dpa

Nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales hat sich die bolivianische Senatorin und Oppositionspolitikerin Jeanine Añez zur Übergangspräsidentin des Landes erklärt. Die 52-jährige zweite Vizepräsidentin des Senats übernahm am Dienstagabend die Kontrolle über diesen. In La Paz und der Schwesterstadt El Alto brachen Proteste aus.

Abgeordnete von Morales' Movimiento al Socialismo waren zum Zeitpunkt der Erklärung nicht anwesend. Seine Unterstützer versuchten anschließend das Kongressgebäude des Regierungssitzes La Paz zu erreichen. „Sie muss zurücktreten“, schrien einige Demonstranten. Die Polizei und Soldaten setzten Tränengas ein, um die Menge auseinander zu treiben.

Añez versucht das Machtvakuum in Bolivien nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales zu füllen. Als zweite Vizepräsidentin des Senats erklärte sich am Dienstag selbst zur Übergangspräsidentin des Landes. In der politischen Krise ist unklar, in welchem Ausmaß die Bolivianer sich hinter ihr versammeln - oder ihr vorwerfen, die Gelegenheit zur Machtergreifung wahrgenommen zu haben.

Neben Morales war auch jeder andere laut Verfassung mögliche Staatsvertreter zurückgetreten, sein Vize sowie die Vorsitzenden des Senats und Abgeordnetenhauses. Damit wurde der Weg für Añez frei. Sie wolle den Bolivianern „Sicherheit geben“, sagte sie Journalisten am Montag mit Tränen in den Augen. „Ich möchte eine Lösung in der schreckliche Krise bieten, die wir durchleben.“

Die Aufgabe des Übergangspräsidenten ist, das Land zu leiten, während sich dieses auf Neuwahlen innerhalb von 90 Tagen vorbereitet. Añez benötigt die Unterstützung der Abgeordneten im Senat - Garantien, dass sie diese auch im von Morales-Unterstützern geprägten Kongress bekommt, gibt es nicht. Sollte sie vom Senat bestätigt werden, wäre sie die zweite Frau, die als Interimspräsidentin Boliviens dient. Lidia Gueiler hatte diese Rolle zuvor 1979/1980 inne.

Añez war Anwältin, bevor sie sich der Politik zuwandte. Sie setzt sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein. Sie hat ebenfalls als Fernsehmoderatorin gearbeitet und war Direktorin der Station Totalvisión in der Stadt Trinidad, in der Amazonas-Region Beni. Sie gehört der bisher oppositionellen sozialdemokratischen Partei Movimiento Demócrata Social an. 2006 wurde sie in eine Versammlung berufen, um die bolivianische Verfassung zu reformieren.

Morales im Exil in Mexiko

Hintergrund der Staatskrise in Bolivien ist die Präsidentenwahl vom 20. Oktober, bei der sich Morales zum Sieger erklärt hatte. Seine Gegner kritisierten aber Unregelmäßigkeiten. Eine Prüfkommission der Organisation Amerikanischer Staaten gab ihnen schließlich recht und mahnte eine Neuwahl an. Morales stimmte zunächst zu, trat aber letztlich am Sonntag zurück, nachdem ihn Militärchef Williams Kaliman dazu aufgefordert hatte.

Er flüchtete ins Asyl nach Mexiko. In seiner Heimat hinterließ er ein Machtvakuum. Neben Morales trat auch jeder andere laut Verfassung mögliche Staatsvertreter zurück: sein Vize sowie die Vorsitzenden des Senats und Abgeordnetenhauses.

Morales' Unterstützer forderten seine Rückkehr. Sie wurden von Sicherheitskräften daran gehindert, zum Regierungssitz zu marschieren. Sie sprachen von einem Putsch, sowie Diskriminierung gegen Boliviens indigene Gemeinden. „Evo war wie ein Vater für mich. Wir hatten eine Stimme, wir hatten Rechte“, sagte die 35-jährige Maria Apasa, die wie Morales der indigenen Gruppe der Aymara angehört.

Morales wurde am Dienstag vom mexikanischen Außenminister Marcelo Ebrard empfangen. Weil mehrere Staaten der Region für die mexikanische Militärmaschine mit ihm an Bord den Luftraum sperrten, musste Morales einen Tankstopp in Paraguay einlegen, bevor er weiterfliegen konnte.

Zum Abschied teilte Morales gegen seine politischen Gegner aus. Sein Rücktritt stehe für eine Rückkehr zu jener düsteren Ära von Putschen, die lateinamerikanische Armeen herbeigeführt hätten, die die Region lange dominierten. „Es schmerzt mich, das Land aus politischen Gründen zu verlassen, aber ich werde stets besorgt sein“, twitterte er auf dem Weg nach Mexiko. Zudem kündigte er an, „bald mit mehr Stärke und Energie“ nach Bolivien zurückzukehren.

Morales, ein ehemaliger Lama-Hirte und Gewerkschaftsführer und der erste indigene Präsident Boliviens, regierte die Andennation fast 14 Jahre lang. Im Oktober wollte er sich seine vierte Amtszeit sichern, obwohl das per Verfassung verboten ist und es auch die Bevölkerung in einem Referendum ablehnte. Nach einer umstrittenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der entschied, dass die Begrenzung der Amtszeiten seine politischen Rechte verletze, trat er aber dann doch an.

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