Polizistenmorde in Dallas Pulverfass Amerika

In Dallas werden fünf Polizisten erschossen, der Schütze begründet die Tat mit seinem Hass auf Weiße. Rassismus und Waffenbesitz bilden ein Gemisch, dessen soziale Sprengkraft zur Bedrohung für den inneren Frieden wird.

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Polizisten sind in den USA in ständiger Lebensgefahr. Quelle: AFP

Washington Der Häuserkampf in der Innenstadt von Dallas wird live im Fernsehen ausgestrahlt: Die Bilder zeigen einen Attentäter, er bringt sich vor einem Bürogebäude in Stellung, ein Sturmgewehr im Anschlag. Ein Polizist nähert sich, sucht Deckung hinter einer Säule. Es kommt zu einem Schusswechsel, Funken schlagen. Am Ende liegt der Polizist regungslos am Boden.

Mitten in die Konfusion, die kollektive Fassungslosigkeit, fällt das Wort vom Bürgerkrieg.

Fünf Polizeibeamte sind tot, sieben weitere und zwei Zivilisten verwundet. Ein Tag, der mit Empörung über die jüngsten Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze begann, endet mit einem neuerlichen Blutvergießen. Doch dieses Mal tragen nicht die Täter Uniform, sondern die Opfer.

Offenbar war das Attentat auf die Polizisten präzise geplant. Die Behörden haben sich zum Tathergang bisher nicht detailliert geäußert. Berichte, dass es sich um mehr als einen Heckenschützen handelte, haben sich nicht bestätigt.

Aus Handyvideos lässt sich rekonstruieren, wie sich die anfangs friedliche Demonstration in einen Hinterhalt verwandelt. Demonstranten rennen um ihr Leben, Polizisten ducken sich hinter ihre Autos. Der Angriff erfolgt mit militärischer Präzision. Der Schütze scheint sich in einem Gebäude postiert zu haben, er nutzt seinen Höhenvorteil, die orientierungslosen Polizisten finden keinen Schutz. Waffenfeuer und Sirenengeheul hallen durch die Straßenzüge. Wenig später titelt das Boulevardblatt New York Post: „Civil War.“

Am nächsten Morgen ist das Stadtzentrum weiträumig abgesperrt. Der Tatort ist mit Patronenhülsen übersät, gelbe Markierungen heben sie hervor. Die Behörden ziehen Bilanz: Drei Verdächtige seien festgenommen, heißt es, und der Hauptverdächtige sei von Polizisten in seinem Versteck aufgespürt worden. Doch obwohl er umstellt gewesen sei, habe er sich geweigert aufzugeben. Den Sicherheitskräften soll er zugerufen haben, dass ihn der Zorn über die Polizeigewalt gegen Schwarze treibe und dass er Weiße töten wolle, vor allem weiße Polizisten.

Klarer kann man sich zu einem rassistischen Motiv nicht bekennen. Wieder fielen Schüsse. Schließlich lenkten die Beamten mit einem Roboter eine Bombe in das Versteck. Sie detonierte, der Verdächtige starb. Inzwischen ist er identifiziert, es soll sich um einen Armee-Veteranen handeln.

Amerika stand schon vor der Tat am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Der Wahlkampf spaltet die Nation, selbst nach Tragödien wie dem terroristischen Amoklauf vor einem Monat in Orlando findet sie nicht mehr zueinander. Das Land ist verängstigt, verwirrt, zerstritten. Die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen nehmen zu. Zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Christen und Muslimen. Die politischen Schocks wiederholen sich in immer schnellerer Frequenz. Die Vereinigten Staaten, im Jahr 2016: ein Pulverfass.

„Bösartig, gezielt und kalkuliert“ nennt Barack Obama den Angriff. Der Präsident ist zum Nato-Gipfel nach Polen gereist. Dort soll es eigentlich um die Ostflanke der Allianz gehen, doch nun muss sich Obama um die Heimatfront kümmern. In Dallas tritt der Polizeichef, David Brown, vor die Kameras. „Alles, was ich weiß, ist, dass das aufhören muss – das Auseinandertreiben von Polizei und unseren Bürgern.“

Obama bezeichnet das Misstrauen zwischen Polizei und schwarzen Gemeinden als „amerikanisches Problem“. Tatsächlich: Rassismus und Waffenbesitz bilden ein Gemisch, dessen soziale Sprengkraft zur Bedrohung für den inneren Frieden geworden ist. Das Profil „schwarz, männlich, bedrohlich“ hat sich in die Köpfe vieler Polizisten eingebrannt. Vor der Tragödie in Dallas wühlten Videos aus St. Paul, Minnesota, und Baton Rouge, Louisiana, das Land auf: Zu sehen war, wie zwei Schwarze durch Polizeikugeln starben. Mehr als 500 Amerikaner wurden bisher in diesem Jahr von der Polizei getötet. Diese Zahlen nähren Frust, der in Hass umschlägt – und in Dallas: in Gewalt.

Doch auch das ist wahr: Polizisten agieren in den USA in ständiger Lebensgefahr. Wegen der laxen Waffengesetze müssen sie bei jedem Routine-Einsatz mit dem Schlimmsten rechnen. Oft sind Kriminelle besser bewaffnet als sie. Sturmgewehre, wie sie die Heckenschützen von Dallas nutzten, durchschlagen schusssichere Westen. Die Polizei reagiert, beschafft sich Panzerfahrzeuge aus Armeebeständen – mit dem Ergebnis, dass Sicherheitskräfte wie eine Besatzungsmacht daherkommen und so das Misstrauen gegen sie noch weiter verstärken. Aus dieser Spirale findet Amerika nicht hinaus.

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