Portugal Gewagter Balanceakt in Lissabon

Die portugiesische Wirtschaft wächst nur halb so stark wie geplant. Die sozialistische Regierung will die Ziele der EU für das Haushaltsdefizit aber einhalten. Am Freitag hat sie ihren Entwurf nach Brüssel geschickt.

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Der charismatische Premier muss einen Weg finden, die Sparziele der EU mit der Ausgabenlust seiner ultralinken Partner zu vereinen. Quelle: Reuters

Lissabon Majestätisch fließt der Tejo am Praca do Comércia in Lissabon vorbei. Rund um diesen Platz des Handels hatten einst die Zoll- und Hafenbehörden ihre Büros. Doch die glanzvollen Kolonialzeiten sind lange vorbei, genauso wie der Wirtschaftsboom des Landes nach dem Beitritt in die EU. 2011 musste Portugal mit 78 Milliarden Euro Hilfsgeldern vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Heute kämpft das Land darum, nach einem zaghaften Aufschwung nicht schon wieder in die nächste Krise abzurutschen.

Die Methoden sind gewagt: Die neue sozialistische Regierung, die von Ultralinken und Kommunisten gestützt wird, versucht mit Steuersenkungen und Lohnerhöhungen den Konsum und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Den Portugiesen gefällt der neue Weg, der nach Jahren harter Sparmaßnamen vermeintlich zurück zur Normalität führt. Die Straßenproteste sind beendet, die Zustimmung zur Regierung laut Umfragen hoch. Die Portugiesen geben wieder mehr Geld aus, Cafés und Restaurants sind voll – im angenehm warmen Oktober allerdings nicht nur mit Einheimischen, sondern mit jeder Menge Touristen.

Auch das überraschende Regierungsbündnis ist deutlich stabiler als gedacht. „In Portugal herrscht jetzt sozialer Frieden, weil die Kommunisten die Regierung stützen, die große Teile der Gewerkschaften dominieren“ sagt Assunção Cristas, Chefin der konservativen Oppositionspartei CDS-PP im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Aber ihr ökonomisches Modell funktioniert nicht. Wir machen uns Sorgen, weil der Ansatz stark auf einer linksradikalen Agenda basiert.“

Vieles, was die Konservativen in der Krise gestrichen hatten, holen die Sozialisten jetzt zurück: Sie hoben die Beamtengehälter wieder an, führten vier gestrichene Feiertage wieder ein und halbierten die Mehrwertsteuer in der Gastronomie. „Finanzinvestoren hat das verschreckt, weil sie nicht wussten, wie die Regierung diese Ausgaben finanzieren will“, erklärt ein Banker in Lissabon. Die Risikoaufschläge für portugiesische Staatsanleihen sind nach denen für Griechenland die höchsten in der EU.

Die neue Regierung gibt allerdings nicht nur aus, sondern spart auch, um das EU-Ziel von 2,5 Prozent für das Haushaltsdefizit in diesem Jahr zu erfüllen. Die EU hatte im Juli ein Strafverfahren gegen Portugal und Spanien eingeleitet, weil die Länder wiederholt ihre Ziele gerissen hatten. Bis zu diesem Samstag hat sie den Schuldensündern Zeit gegeben, Maßnahmen für das Defizit in diesem Jahr sowie einen Haushaltsentwurf für 2017 zu präsentieren. Portugal hat seinen Entwurf am Freitag abgeschickt. Darin ist für dieses Jahr ein Defizit von 2,,4 Prozent und für nächstes Jahr von 1,6 Prozent vorgesehen. Ist die EU damit nicht einverstanden, droht das Einfrieren von EU-Strukturfonds. Das wäre für das Land eine Katastrophe, weil die EU-Fonds der zentrale Pfeiler der portugiesischen Staats-Investitionen sind.

„Wir gehen klar davon aus, dass wir die Ziele erreichen werden“, heißt es in Regierungskreisen. „Wir tun alles, um das Defizit zu erfüllen.“ Jeden Monat würden alle ökonomischen Daten genau überprüft, damit der Finanzminister ohne Verzögerung eingreifen könne, falls nötig. Internationale Organisationen sind allerdings weniger zuversichtlich: Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit drei Prozent Defizit in diesem Jahr, die Ratingagentur Standard & Poor’s mit 2,8 Prozent.


Zwischen Aufbruch und Altlasten

Die zweite Herausforderung ist das Budget. Der charismatische Premier António Costa muss einen Weg finden, die Sparziele der EU mit der Ausgabenlust seiner ultralinken Partner zu vereinen. In seinem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr hat er eine neue Steuer auf Immobilien vorgesehen sowie eine neue Abgabe auf zuckerhaltige Getränke. Das Wachstumsziel für dieses Jahr hat er von 1,8 auf 1,2 Prozent gesenkt, im kommenden Jahr sollen es 1,6 Prozent werden.

Zwar geben die Portugiesen mehr Geld aus, doch die Exporte und vor allem die Investitionen sind deutlich gesunken. Die konservative Parteichefin Crista geht gar davon aus, dass die Regierung schlicht nichts mehr ausgeben kann, um nicht das Defizitziel zu reißen.

Die Regierung weist das weit von sich. Der Haushalt für dieses Jahr sei einfach nicht früh genug fertig gewesen, deshalb habe man auch die neuen Strukturfonds noch nicht nutzen können. „Jetzt sind wir dabei, die Fonds zu nutzen und werden deshalb im zweiten Halbjahr ein höheres Wachstum sehen“, heißt es in Regierungskreisen.

Der Hauptstadt Lissabon sieht man an, dass sie wie das ganze Land zwischen zwei Welten wankt, zwischen Aufbruch und Altast: Zum einen wird überall gebaut, renoviert und werden Fassaden getüncht. Zum anderen wuchert selbst an zentralen Plätzen der Hauptstadt noch das Unkraut durch die Dachziegel alter Bauten. Den Touristen gefällt der morbid-moderne Charme.

Doch Experten sorgen sich um die Zukunft des Landes: Sie haben ebenso wie jetzt auch die Regierung ihre Wachstumsprognosen für dieses Jahr reduziert, der IWF geht nun nur noch von einem Prozent aus. Lissabon betont dagegen, dass das Wachstum schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres nachgelassen habe. „Wir haben den Trend umgekehrt“, heißt es selbstbewusst in der Regierung.

Für einen Teil der Erlahmung kann sie in der Tat nichts: Der niedrige Ölpreis hat Portugals wichtigen Exportmarkt Angola stark getroffen und damit auch die portugiesischen Exporte. In kleinen Ländern wie Portugal kann zudem ein einzelnes Ereignis die gesamte Volkswirtschaft beeinflussen. So hat Volkswagen, zweitgrößter Exporteur des Landes, seine Produktion um ein Viertel gesenkt, weil die Fabrik in der Nähe von Lissabon auf neue Modell umgestellt wird.

Doch die meisten Probleme sind hausgemacht. Zum niedrigen Wachstum kommen eine hohe Verschuldung von Staat und Privatsektor sowie fragile Banken, die unter vielen faulen Krediten leiden.

Zusätzliches Ungemach droht am 21. Oktober: Dann überprüft die Ratingagentur DBRS ihre Einschätzung zur Portugal. Sie ist die einzige, die dem Land noch ein Investmentgrade gibt, das Voraussetzung dafür ist, dass die EZB portugiesische Staatsanleihen kaufen kann. „Wir verfallen nicht in Panik“, sagte DBRS-Chefökonom Fergus McCormick vor einigen Tagen der Financial Times. „Wir haben einen stabilen Trend, aber ich mache mir Sorgen um den mittelfristigen Ausblick für Portugal.“

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