Posse um Jeremy Corbyn Der Sitzstreit von London

Hatte er nun einen Sitzplatz oder nicht? In Großbritannien wird darüber gestritten, ob der Chef der Labour-Partei in einem überfüllten Zug auf dem Gang kauerte – oder ein gestelltes Video für den Wahlkampf nutzen wollte.

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Quelle: Screenshot

London Für Londoner ist es Alltag: überfüllte Züge. Selbst einem hochrangigen Politiker kann es da passieren, dass er auf dem Gang hocken muss, wenn er denn tatsächlich öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Zumindest dachte man das bis vor kurzem, zumal die Tage ein Bild des Chefs der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, die Runde machte. Auf dem sitzt der 67-Jährige auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung in den Norden der Insel im Gang eines Zuges, zeitungslesend, einen Kaffee im Pappbecher neben sich.

Doch nun kommen Zweifel auf, ob das Video gestellt wurde. Diese Diskussion könnte dem Politiker, der sich gern als volksnah und einfacher Mann präsentiert, in seinem Wahlkampf um den Posten als zukünftiger Chef der Labour-Partei schaden. Denn bis zum 21. September stimmen die rund 650.000 Mitglieder der Oppositionspartei über ihren neuen Vorsitzenden ab. Corbyn gilt als Favorit für den Posten – wenngleich er schon in der Vergangenheit immer wieder heftige Kritik einstecken musste.

Das Video hatte ein Filmemacher gedreht, der den Politiker derzeit begleitet. „Das ist ein Problem, das viele Passagiere jeden Tag haben“, sagt der weißhaarige Politiker vom Boden sitzend aus in die Kamera, „dieser Zug ist heute rappelvoll“. Sein Fazit: Großbritannien braucht mehr Züge und günstigere Tarife – ein gutes Beispiel dafür, weswegen man Infrastruktur wie Züge nicht an private Gesellschaften verkaufen sollte.

Nun aber hat sich die Zuggesellschaft zu Wort gemeldet: Dass Corbyn keinen Platz finden konnte, „war ganz klar nicht der Fall“, erklärte ein Unternehmenssprecher von Virgin Trains. Bilder von Überwachungskameras im Zug zeigten, dass Corbyn und sein Team an freien, nicht reservierten Plätzen vorbeilaufen und erst in einem hinteren Teil des Zugs auf dem Boden Platz nehmen, wo das Video entstanden sei. Später sei Corbyn wieder zurück in den vorderen Zugteil gelaufen und habe dort Platz genommen.

Seitdem kocht die Geschichte im Internet hoch, zumal der Unternehmer und Milliardär Richard Branson die Pressemitteilung der Zuggesellschaft, an der er über seine Gesellschaft Virgin beteiligt ist, über Twitter verbreitete. Der Politiker selbst hat sich noch nicht zu Wort gemeldet.

Aber wie die britische Zeitung „The Guardian“ unter Berufung auf Informationen aus der Partei schreibt, soll er freie Plätze verschmäht haben, weil er neben seiner Frau sitzen wollte und nur einzelne Plätze frei waren, nicht aber zwei nebeneinander. Den Vorschlag des Zugpersonals, ihn in die erste Klasse zu stufen, habe er abgelehnt. Als das Team dann eine Familie in die erste Klasse versetzte, sei ein Platz frei geworden.

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