Politiker und Ökonomen haben nicht selten eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge – und besonders zeigt sich das in der anhaltenden Debatte um die Handelsungleichgewichte in der Welt. Ökonomen betonen zum Beispiel, dass das gesamte Handelsbilanzdefizit der USA mit der übrigen Welt das Resultat der US-Innenpolitik und nationaler Maßnahmen sei. Einfach ausgedrückt: Wenn die USA insgesamt mehr investieren als sparen, muss es die Differenz aus dem Rest der Welt importieren. So entsteht das vorhandene Handelsdefizit.
Konfliktfelder der US-Regierung mit Deutschland
Die neue US-Regierung hat frühere Äußerungen von Trump, dass die Nato "obsolet" sei, mittlerweile korrigiert. Die neue Konfliktlinie verläuft entlang der Selbstverpflichtung der Nato-Staaten, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Sicherheit auszugeben. Die USA geben wesentlich mehr aus, Deutschland sehr viel weniger. Trump wird Merkel drängen, die Ausgaben schneller anzuheben als sie versprochen hat.
Die Sorge über eine zu starke Hinwendung Trumps zu Russlands Präsident Wladimir Putin sind verflogen. Dennoch besteht große Unsicherheit über den amerikanischen Russland-Kurs, der sich auf viele Konflikte von Syrien bis zur Ukraine auswirken kann.
Während Trump vor allem den Anti-Terrorkampf gegen Islamisten betont, geht es Deutschland stärker um die Stabilisierung von Ländern - auch mit Blick auf künftige Flüchtlingsbewegungen. Die US-Regierung hat sich zum Engagement in Afghanistan bekannt, was Merkel lobte. Was Trump in Libyen und Syrien genau will, ist bisher unbekannt.
Ein zentraler Streitpunkt könnte der Umgang mit dem aus der EU ausscheidenden Großbritannien werden. Trump hat den Brexit als Vorbild auch für andere EU-Staaten bezeichnet. Merkel betont die Einheit der EU - auch in Handelsfragen.
Führende Vertreter der Trump-Regierung haben angekündigt, auch wirtschaftliche Probleme mit EU-Staaten bilateral klären zu wollen - ungeachtet möglicher EU-Zuständigkeit. Die Bundesregierung lehnt dies ab.
Dies betrifft etwa den deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Der Vorwurf der US-Regierung lautet, dass Deutschland etwa den niedrigen Euro-Kurs ausnutzt und dadurch mehr Waren in den USA absetzen kann als die USA etwa in Deutschland. Die Bundesregierung verweist dagegen auf die Zuständigkeit der EU (Handel) und der EZB (Währung).
In Washington wird die Einführung einer Grenzausgleichssteuer ("Border Adjustment Tax", BAT) zur Gegenfinanzierung der von Trump angekündigten Steuersenkungen diskutiert. Für die Exportnation Deutschland wäre das ein schwerer Schlag, weil es deutsche Produkte in den USA verteuern würde. Merkel hat bereits angedeutet, dass die EU entsprechend reagieren werde.
Trump hat sich bisher generell für protektionistische Ideen stark gemacht und selbst das nordamerikanische Nafta-Abkommen infrage gestellt. Ob er wie sein Vorgänger Barack Obama das angestrebte und von der Kanzlerin befürwortete Wirtschaftsabkommen TTIP mit der EU unterstützen wird, gilt als unsicher.
Trump hat sich mehrfach kritisch zu internationalen Vereinbarungen wie etwa zum Klimaschutz geäußert. Noch immer ist unsicher, ob die USA ihre Verpflichtungen etwa aus dem Pariser Klimaabkommen umsetzen werden.
Trump hat sich generell sehr skeptisch zur multilateralen Zusammenarbeit geäußert. Aus seiner Regierung kamen bereits Drohungen, die Zahlungen an die UN zu kürzen, die ihren Hauptsitz in New York hat. Auch humanitäre UN-Programme sollen gekürzt werden. Merkel plädiert dagegen für eine viel stärkere internationale Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Politikfeldern.
Trump hat Merkels Flüchtlingspolitik auch nach seiner Wahl noch scharf kritisiert und will selbst eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Merkel wiederum hat Abschottungspläne der USA mehrfach entschieden kritisiert.
Politiker (und die Allgemeinheit) konzentrieren sich hingegen eher auf bilaterale Handelsdefizite mit einzelnen Ländern, wie etwa das 300 Milliarden Dollar schwere Ungleichgewicht zwischen den USA und China. Sie schreiben der chinesischen Politik die Schuld am bilateralen Defizit zu, die die Einfuhr von US-Produkten behindere und chinesische Exporte in die USA subventioniere.
Ökonomen wiederum erklären, dass diese Politik zwar die Zusammensetzung des US-Handelsungleichgewichtes beeinflusst, nicht aber seine Höhe. Wenn China seine Handelspolitik so ändern würde, dass sich das bilaterale Defizit verringert, würde das US-Handelsdefizit mit einem anderen Land steigen oder sein Überschuss mit einem anderen Land würde schrumpfen. Insgesamt würde sich das US-Handelsbilanzdefizit mit der Welt jedoch nicht verändern.
Ökonomen weisen auch gerne darauf hin, dass Freihandel Länder reicher macht. Es gibt Gewinner und Verlierer, aber im Prinzip könnten die Gewinner des Freihandels die Verlierer in so ausreichender Höhe entschädigen, dass alle besser gestellt sind. Ökonomen reden nicht besonders viel über eine solche Entschädigung, weil Regierungen nicht viel dafür tun, dass die Verlierer sie bekommen.
In den USA existieren staatliche Anpassungshilfen wie das Trade Adjustment Assistance-Programm, in dessen Rahmen Arbeitnehmer eine höhere Arbeitslosenunterstützung erhalten, die ihre Jobs aufgrund der Konkurrenz durch Importe verlieren. Doch solche Hilfen werden nicht in großem Umfang bereitgestellt, vermutlich weil die US-Bundesregierung keine Anstrengung unternimmt, diejenigen zu entschädigen, die ihre Arbeitsplätze infolge des technologischen Wandels verlieren. Und das zu Recht.
Einfuhren aus anderen Ländern führen in bestimmten Branchen, Berufszweigen und geografischen Regionen zu Entlassungen. Und die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren – oder davon bedroht sind – fordern protektionistische Maßnahmen in Form von Zöllen oder Kontingenten gegen diese spezifischen Produkte. Das hatte Adam Smith bereits erkannt bevor David Ricardo die Vorzüge des Freihandels erklärte.
Verhandlungen wegen bilateraler Handelsungleichgewichte nicht immer positiv
Während des Präsidentschaftswahlkampfes von Donald Trump war diese Reaktion ganz deutlich zu beobachten: Er hatte gedroht, hohe Zölle auf Waren aus China, Mexiko und anderen Ländern zu erheben.
Doch nun, da er im Amt ist, sind keine hohen Zölle oder Importkontingente in Sicht. Was wir stattdessen beobachten sind Handelsgespräche, die unter Androhung solcher Zölle geführt werden – und die dazu führen sollen, den Markt für einige Produkte und Dienstleistungen in Ländern zu öffnen, mit denen die USA ein bilaterales Defizit aufweisen.
China ist ein gutes Beispiel. Nachdem Trump ursprünglich China gedroht hatte, empfing er den chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf seinem Anwesen in Florida. Im Anschluss an das Treffen, das beide Seiten als freundschaftlich bezeichneten, erklärten sich die Chinesen bereit, ab Sommer erneut amerikanisches Rindfleisch zu importieren und die vor Jahren ergriffenen protektionistischen Maßnahmen rückgängig zu machen. Außerdem willigte China ein, seinen Markt für eine Reihe von Finanzdienstleistungen aus den USA zu öffnen. Die USA willigten ihrerseits ein, künftig wie gewünscht Erdgas an China zu liefern was sie vorher abgelehnt hatten.
Das Handelsdefizit der USA mit China wird sich infolge dieser handelspolitischen Veränderungen verringern. Das US-Handelsbilanzdefizit insgesamt wird zwar so bleiben, aber bei den Realeinkommen und Gewinnen US-amerikanischer Rindfleischproduzenten, Finanzdienstleister und Erdgasproduzenten gibt es eine Bewegung nach oben. Auch die chinesischen Verbraucher profitieren. In diesem Fall hat es also wünschenswerte politische Veränderungen nach sich gezogen, das bilaterale Handelsungleichgewicht in den Mittelpunkt zu stellen, auch wenn sich das US-Handelsbilanzdefizit mit der Welt nicht verringern wird.
Verhandlungen, die als Reaktion auf bilaterale Handelsungleichgewichte geführt werden, sind trotzdem nicht immer positiv. Die USA drohen derzeit mit Strafzöllen auf Weichholz-Importe aus Kanada. Wenn die USA diese Strafzölle tatsächlich verhängen, würde sich das Handelsungleichgewicht mit Kanada verringern. Doch die Zölle würden der amerikanischen Bauindustrie und US-Immobilienbesitzern genauso schaden wie kanadischen Holzfirmen.
Unter dem Strich sind bilaterale Handelsungleichgewichte durchaus relevant und können nützlich sein, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit auf politische Maßnahmen zu lenken, die das Realeinkommen von Verbrauchern und Unternehmen verringern. Bei der Beseitigung dieser bilateralen Ungleichgewichte muss man allerdings Vorsicht walten lassen.