Post aus Harvard

Die USA brauchen eine Negativsteuer für Arme

Seite 2/2

Problem der Armut bleibt ungelöst

Damit widerspricht SNAP der Grundidee der großen sozialpolitischen Reform unter Präsident Bill Clinton in den Neunzigerjahren. Nachdem er sich 1996 das „Ende der Sozialhilfe, wie wir sie kennen“ auf die Fahne geschrieben hatte, arbeitete er mit dem US-Kongress ein neues Gesetz zur Armenfürsorge aus, das den Empfänger verpflichtete, eine Arbeit anzunehmen. Überdies verlor dank dieses Gesetzes jeder lebenslang jeden Anspruch auf Unterstützung, sobald er insgesamt 60 Monate Unterstützung bezogen hatte. Entsprechend sind die entsprechenden staatlichen Ausgaben seitdem signifikant gesunken, und nur die Hälfte der eigentlich anspruchsberechtigten Haushalte nimmt die Hilfe derzeit in Anspruch.

Nur das Problem der Armut bleibt ungelöst.

Also noch einmal gefragt: Wie kann man Gesetze so ändern, so dass den Armen geholfen wird und sie häufiger Arbeit aufnehmen als bisher? Es gibt eine falsche Antwort, die derzeit erstaunlicherweise viel Zustimmung erhält: das bedingungslose Grundeinkommen. Also genug Geld vom Staat für alle Haushalte, für reich und arm, für jung und alt, und ohne Ansehen sonstiger Einkommens- und Vermögensquellen. Wie viel jede Familie bekommt, hängt allein von der Zahl der Erwachsenen und Kinder im Haushalt ab.

Die Armut wäre damit beseitigt, aber das ist auch das einzig Gute an der Idee. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre so teuer, dass es unmöglich zu realisieren ist. Selbst wenn mit seiner Einführung alle anderen sozialstaatlichen Maßnahmen bis auf die Gesundheitspolitik abgeschafft würden, lägen die zusätzlichen Kosten für die USA bei 1,5 Billionen Dollar pro Jahr – das sind mehr als neun Prozent des BIP. Ohne zusätzliche Staatsverschuldung würde das eine Verdopplung der Einnahmen aus der Einkommensteuer erfordern. Das ist offenbarer Unsinn.

Man kann den Armen ganz anders helfen: mit einer Politik, die bei uns in den USA gar nicht kontrovers sein sollte. Immerhin haben sie zwei meiner bedeutendsten inzwischen verstorbenen Kollegen vorgeschlagen, die Ökonomieprofessoren Milton Friedman und James Tobin. Friedman ist bis heute ein Idol der politisch konservativen Wirtschaftspolitiker, Tobin genießt auf der linken Seite des Spektrums ähnlichen Status. Und beide plädierten für die Einführung einer negativen Einkommensteuer zur Lösung unserer sozialpolitischen Probleme.

Die Idee lässt sich einfach erklären: Alle Haushalte mit Personen im erwerbsfähigen Alter erhalten eine bestimmte Geldsumme, die sie vor Armut schützt – dies aber nur, wenn sie kein anderes Einkommen haben. Mit steigendem Haushaltseinkommen aber sinkt dieser Betrag schrittweise. Ab einer gewissen Höhe fällt der Zuschuss ganz weg und der Haushalt zahlt Steuern an den Fiskus. Unterhalb dieses Niveaus aber ist die „Steuer“ negativ. Bis auf Maßnahmen zur Gesundheitspolitik werden sozialpolitische Maßnahmen damit überflüssig.

Verstehen Sie mich richtig: Es gibt kein Allheilmittel beim Kampf gegen die Armut. Aber manche Rezepte sind besser als andere. Die negative Einkommensteuer dürfte der realistischste Weg sein, wenn wir auf einfache, lückenlose und für den Steuerzahler erschwingliche Weise etwas gegen die Armut tun wollen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%