Präsidentenwahl in Russland Mit belegten Brötchen und Pralinen wird die Wahlbeteiligung gepuscht

Das Ziel der russischen Regierung, die Präsidentenwahl zu einem Plebiszit zu machen, scheint erreichbar: Die Wahlbeteiligung ist hoch. Ein St

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Die Wahlbeteiligung an der russischen Präsidentenwahl ist höher als in den letzten Jahren. Quelle: Reuters

Moskau Frostig und klar: In gewisser Hinsicht erinnert das Wetter in Moskau am Wahltag auch an die politische Großwetterlage. In den internationalen Beziehungen steuern Moskau und der Westen nach der Affäre um die Vergiftung des Doppelagenten Sergej Skripal auf eine Eiszeit zu, auf nationaler Ebene ist der Sieg des Kremlkandidaten schon im Vorfeld praktisch gesichert.

Die Russen hielt das nicht davon ab, trotzdem ihre Stimme abzugeben. „Ich gehe jetzt schnell abstimmen und fahre dann auf die Datscha“, verrät der Moskauer Denis vor dem Wahllokal 31 in der Moskauer Innenstadt. Wen er wähle, das werde er allerdings erst im letzten Moment entscheiden, fügte er hinzu. „Ich schau mir alle Kandidaten noch einmal an und dann mach ich mein Kreuzchen. Nur Sobtschak wird es auf keinen Fall“, sagte der 38-jährige Ingenieur.

Die 63-jährige Irina aus der Moskauer Vorstadt Podolsk ist schon weiter mit der Entscheidung. Um elf Uhr ist sie mit der ganzen Familie, darunter auch ihrer 87-jährigen Mutter in die nahegelegene Schule zum Wählen gegangen. Soviel Aktivität wird belohnt: Anschließend gab es kostenlos eine Pralinenschachtel.

„Ich habe für Putin abgestimmt“, sagte Irina. Sie verspreche sich davon „außenpolitische Stabilität“ und dass es keinen Krieg gebe, meint sie. In der Wirtschaft hingegen hofft die eigentlich schon pensionierte, aber noch in einer Fabrik arbeitende Elektronik-Ingenieurin auf Veränderungen: „Ich hoffe, dass die großen Betriebe, wo viele Menschen arbeiten, stärker gefördert werden“, sagt sie und drückt insgeheim sogar die Daumen für einen Regierungswechsel.

Die russischen Fernsehsender berichten von einer „außerordentlich aktiven Wahlbeteiligung“. Im Ural, in Sibirien und Russlands Fernost sei die Beteiligung kurz vor der Moskauer Mittagszeit um 28 Prozent höher als noch vor sechs Jahren, meldete Nikolai Bulajew von der Zentralen Wahlkommission. Im Osten Russlands haben wegen der Zeitverschiebung viele Wahllokale schon geschlossen, während im Westen die Wähler gerade erst aufbrechen.

Angesichts der erwarteten Mehrheit für Putin sehen Experten die Wahlbeteiligung als wichtigen Hinweis auf die Stimmung im Land.

Auch in Moskau bestätigt zumindest der optische Eindruck die Aussagen der Wahlkommission. In vielen Wahllokalen stehen die Menschen Schlange, um abstimmen zu können. So wie im schon erwähnten Wahllokal 31, einer für den Sonntag umfunktionierten Poliklinik. „So etwas habe ich bisher nicht erlebt“, sagt Jelena, eine 40-jährige Hausfrau. „Die meisten sind aber gerade auch erst gekommen, am Morgen war es wesentlich ruhiger“, relativiert Ildar, der als Wahlbeobachter tätig ist.

Schlangestehen heißt es auch in zwei benachbarten Schulen. Vor einer Schule sind seit einer Woche Kioske mit Wurst, Fisch und Kaviar aufgebaut. Davor tänzeln junge Männer und Frauen in Folklore-Kostümen herum.

Wahltag in Russland ist schon seit Sowjetzeiten traditionell auch ein bisschen Feiertag: Mit billigen belegten Brötchen, kostenlosen Pralinen und verschiedenen Referenden zur lokalen Selbstbestimmung wird auch diesmal wieder an der Wahlbeteiligung für die Präsidentenwahl geschraubt.

Für den Kremlchef selbst ist die Abstimmung ohnehin Routine. Putin lässt sich bereits das vierte Mal wählen. Er sei in „Arbeitsstimmung“, sagte er als er in der Moskauer Akademie der Wissenschaften, wo er am Morgen den Wahlzettel einwarf, nach seiner Laune gefragt wurde. Ihn stelle jedes Ergebnis zufrieden, mit dem er weitermachen könne.

Offiziell hat der Kreml vor der Wahl keine Zielstellung ausgegeben. Doch seit Wochen wird unter der Hand von der Formel 70/70 – 70 Prozent Wahlbeteiligung, 70 Prozent für Putin – gesprochen, die man erreichen wolle, um die Wahl zu einem Vertrauensplebiszit für den Amtsinhaber zu machen.

Dafür haben die Behörden einiges getan: Mitarbeiter der städtischen Büros gingen in den letzten Wochen von Tür zu Tür, um die Bürger zur Teilnahme zu agitieren, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes wurden vielfach regelrecht gedrängt, am Arbeitsplatz abzustimmen.

So ist die Kontrolle höher, ob die Betreffenden tatsächlich wählen gehen. Wahlleiterin Ella Pamfilowa sprach von sechs Millionen Personen, die im Vorfeld beantragt hatten, nicht an ihrem Meldeort, sondern an einem Platz ihrer Wahl abstimmen zu gehen. Während die Opposition Wahlfälschungen befürchtet, wiegelt die Kommission ab. Die seien durch die Ummeldungen in andere Wahllokale nicht möglich, heißt es.

Die Kommission musste sich in der Nacht noch ganz anderer Angriffe erwehren. Mehrere DDos-Attacken seien zwischen zwei und fünf Uhr nachts auf die Internetseite der Wahlkommission verübt worden, klagte Pamfilowa. Auch russische Medien seien attackiert worden. Die IP-Adressen deuteten auf Server in 15 verschiedenen Ländern hin, fügte sie hinzu.

Solche Meldungen ebenso wie die Sperrung russischer Konsulate in der Ukraine am Wahltag dürften die Festungsstimmung in Russland nur noch anheben. Der russische Populistenführer Wladimir Schirinowski sprach am Sonntag martialisch von einer „Vorkriegslage“, da Moskau aus London, Washington und Berlin bedroht werde. Doch Russland werde sich nicht unterkriegen lassen, schließlich wählten die Bürger den „Natschalnik Mira“, also den „Chef der ganzen Welt“, fügte der 71-Jährige hinzu.

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