
Moskau Als sich Russlands Regierungschef Wladimir Putin live im Staatsfernsehen mit 100 Prozent zum Präsidentenkandidaten küren lässt, schaut die Opposition in die Röhre - wieder einmal. Sogar kremlnahe Kräfte wie die kommunistische frühere Staatspartei oder die ultranationalistischen Liberaldemokraten erhalten vor der Duma-Wahl am 4. Dezember und der Präsidentenwahl am 4. März 2012 wenig Sendezeit - geschweige denn, dass ihre Parteitage ebenfalls übertragen würden. Außerparlamentarische Gruppierungen um den früheren Schachweltmeister Garry Kasparow oder den ehemaligen Vizeregierungschef Boris Nemzow können davon ebenfalls nur träumen.
Rund 11.000 Anhänger der Kremlpartei Geeintes Russland jubelten am Sonntag im Moskauer Luschniki-Sportpalast wie im Rausch, als Putin die Wahl annahm. Von einer solchen Unterstützung sind Kasparow, Nemzow und andere Kremlgegner weit entfernt. Der von Staatsmedien als „radikal“ geächteten Opposition mangelt es an einem breiten Fundament in der Bevölkerung.
Zwar stellte das Meinungsforschungsinstitut Lewada vor wenigen Tagen eine wachsende Unzufriedenheit der Russen mit ihrer Führung fest. Das Protestpotenzial sei aber gering und kein Vergleich etwa zur Situation im Arabischen Frühling, hieß es. In Russland habe weiter nur die gemäßigte Opposition eine Chance auf Duma-Mandate.
„Wenn Sie als Opposition nicht mit dem Kreml zusammenarbeiten, haben Sie keine Chance, keine Finanzierung, keinen Zugang zum Fernsehen, es gibt keine freien Wahlen - deshalb gehen wir auf die Straße“, sagte der Oppositionelle Ilja Jaschin der Nachrichtenagentur dpa. Doch Kundgebungen von Anderes Russland oder den linksradikalen Nationalbolschewisten werden meist verboten oder niedergeknüppelt.
Viele Russen räumen ein, dass sie zu verängstigt sind, um ihre Wut auf die staatliche Bevormundung zu äußern. Kremlkritische Zeitungen wie „Nowaja Gaseta“ sind voller Beispiele, wie Bürger vor der Teilnahme an behördlich verbotenen Kundgebungen gewarnt werden.
Vor der Parlamentswahl in einer Woche rufen Kremlgegner nun zum Boykott auf. Doch über die Details herrscht wieder einmal Streit: Laut Kasparow sollten Kritiker die Wahllokale völlig meiden, laut Nemzow sollten sie Protestlosungen auf die Stimmzettel schreiben. Die Uneinigkeit ist symptomatisch und erleichtert dem Machttandem aus Putin und Kremlchef Dmitri Medwedew das Regieren. Wie bei früheren Abstimmungen konnte sich die Opposition auch bei der anstehenden Präsidentenwahl auf keinen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Bisher scheiterten alle Versuche, das zersplitterte Lager zu einen.
„Die Opposition redet doch nur“, höhnte Medwedew am Sonntag. Putin wiederum wirft seinen Kritikern vor, sich vom Ausland bezahlen zu lassen. Tausende Anhänger feierten den Regierungschef beim Parteitag. Der Radiosender Echo Moskwy sprach nicht ohne Ironie von einer „Putin-Party“. In weiten Teilen der Bevölkerung ist der Regierungschef weiter populär, das weiß auch die Opposition. „Aber die Stimmung im Land wandelt sich“, meint Kritiker Jaschin.
Der Weg zu einem möglichen Machtwechsel scheint dennoch schier endlos. Russlands Wahlgesetz schreibt vor, dass nur in der Staatsduma vertretene Parteien einen Bewerber für die Präsidentenwahl stellen dürfen. Ausnahme sind Kandidaten, die zwei Millionen Unterschriften in der Bevölkerung sammeln - eine Hürde, die für einen unabhängigen Bewerber nach Ansicht von Experten nahezu unüberwindbar ist. Dies musste der Kremlgegner Michail Kasjanow schmerzhaft erleben. Wegen angeblich gefälschter Unterschriften wurde der frühere Regierungschef 2008 kurzerhand von der Präsidentenwahl ausgeschlossen.