Präsidialsystem Erdogan leistet Amtseid und zementiert seine Macht in der Türkei

Präsident Erdogan ist offiziell mit erheblichen Vollmachten ausgestattet. Europa muss hoffen, dass sein Kabinett nicht nur aus Hardlinern besteht.

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Türkei: Erdogan ernennt Schwiegersohn zum Finanzminister Quelle: dpa

Istanbul Als Recep Tayyip Erdogan am Montagnachmittag im türkischen Parlament den Amtseid leistete, blieb fast die Hälfte der Abgeordneten sitzen. Die Fraktion seiner Partei AKP bejubelte ihren Präsidenten mit stehenden Ovationen, während die Abgeordneten des halben Koalitionspartners MHP sich schweigend von ihren Plätzen erhoben. Doch die Parlamentarier der Oppositionsparteien CHP, HDP und Iyi-Partei blieb so lange sitzen, bis der Eid abgeleistet war. Sie standen erst auf, als die Nationalhymne des Landes ertönte.

Während der kurzen Zeremonie sagte Erdogan, er schwöre, dem Rechtsstaat gegenüber loyal zu bleiben, die demokratische und säkulare Republik zu schützen und sein Amt unparteiisch auszuüben. Er werde nicht abweichen von dem „Ideal, wonach jedermann im Land grundlegende Freiheiten und Menschenrechte“ genieße.

In dem Land zwischen Europa und Asien findet an diesem Montag eine Zäsur statt. Mit Erdogans Amtsschwur wird in der Türkei ein Präsidialsystem etabliert, in dem der Staatschef mit erheblich ausgeweiteten Befugnissen ausgestattet wird. Das seit 1950 geltende Parlamentssystem wird abgeschafft, genauso wie der Posten des Ministerpräsidenten. Dessen Kompetenzen gehen auf den Präsidenten über.

30 Staats- und Regierungschefs hatte der türkische Staatspräsident Erdogan eingeladen, damit sie die Krönung seiner Macht live miterleben dürfen. Darunter der russische Regierungschef Medwedew, Venezuelas Präsident Maduro sowie der bulgarische Ministerpräsident Poroschenko. Und noch jemand stand auf der Gästeliste: Gerhard Schröder.

Der Ex-Bundeskanzler nahm nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu als „besonderer Freund Erdogans“ teil. Schröder pflegte als Bundeskanzler ein gutes Verhältnis zu Erdogan, soll die Freilassung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner mit Erdogan ausgehandelt haben.

Die Bundesregierung hält sich seit Erdogans Wiederwahl weitgehend bedeckt – abgesehen von einem kurzen Gratulationsschreiben von Bundeskanzlerin Merkel. Dafür fallen die Kommentare aus dem Bundestag umso deutlicher aus.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, glaubt, dass Erdogan mit seiner neuen Machtfülle eine noch größere Verantwortung für die Entwicklung seines Landes trage. „Erdogan wird sein Land nur modernisieren und international wettbewerbsfähig machen können, wenn er die Partnerschaft mit dem Westen sucht“, erklärte Hardt am Montag.

Wen holt Erdogan ins Kabinett?

Bei einer Pauschalkritik will es Hardt allerdings nicht belassen. Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Partner in einer instabilen Region, stellt er fest. „Die Türkei trägt eine riesige Last bei der Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen und verdient dafür weiterhin unsere volle Unterstützung.“ Auch das Potenzial in den wirtschaftlichen Beziehungen bleibe groß.

In der politischen Führung in Ankara scheint noch nicht klar zu sein, wer in den nächsten fünf Jahren gemeinsam mit Erdogan die Zügel in der Hand halten wird. In den vergangenen Tagen zirkulierten in mehr oder weniger informierten Kreisen mehrere Listen mit den Namen möglicher Minister und Vizepräsidenten von Erdogans Kabinett. Einige werden allerdings als sicher gehandelt. Sie könnten erhebliche Auswirkungen auf die Beziehungen der Türkei zum Westen haben.

Was für viele bereits klar ist: Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin wird neuer Außenminister. Das ist aus Sicht der EU eine gute und schlechte Nachricht.

Kalin ist, anders als sein Vorgänger Cavusoglu, weniger als Polterer denn als Intellektueller bekannt. Er hat in den USA studiert, gilt als rhetorisch begabt und gesprächsfreudig. Auch mit deutschen Wirtschaftsvertretern traf sich Kalin mehrmals und soll sich viel Zeit für deren Fragen genommen haben.

Gleichzeitig gilt Kalin, der in seiner Freizeit Gebetsketten sammelt, als Verfechter einer grundkonservativen und religiös orientierten Politik. Er zeigte sich in der Vergangenheit als Anhänger einer Außenpolitik, die darauf beruht, dass die Türkei sowohl zum Westen als auch zu Russland gute Kontakte pflegt.

Für die Funktionäre und Diplomaten in Brüssel könnte das bedeutet, dass sie es noch schwerer haben werden, die türkische Führung von sich zu überzeugen.

Das zeigte sich bereits beim Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei. Regelmäßig beschwerte sich Kalin im Namen Erdogans darüber, dass die versprochenen sechs Milliarden Euro nur spärlich flößen. Ein anderes Mal warf er der EU vor, ignorant zu sein. „Sie glauben, mit dem Flüchtlingsdeal sei das Flüchtlingsproblem gelöst. Das stimmt aber nicht. Es ist noch da, nur sieht man es von Europa aus nicht mehr.“ Auf solche Sticheleien muss sich Europa in Zukunft wohl häufiger einstellen.

Celik könnte als Außenminister weiter gegen die EU wettern

Immerhin hat Brüssel künftig nur noch mit einem türkischen Vertreter zu tun: Ankara schafft mit der Einführung des Präsidialsystems das EU-Ministerium des Landes ab, es wird in das Außenministerium integriert. Ex-EU-Minister Ömer Celik könnte jedoch Vizepräsident werden – und in dieser einflussreichen Position weiter gegen die EU wettern.

Genauso wichtig dürfte die Frage sein, wer neben Erdogan selbst die Wirtschaftspolitik des Landes lenken darf. Der ehemalige Vizepremier Mehmet Simsek galt unter AKP-Kadern als der beliebteste bei internationalen Investoren. Mit seiner liberalen Haltung eckte er zuletzt häufiger an. Einige glauben, er hätte die Gunst Erdogans verwirkt. Interessant: Nach Erdogans Amtseid war Simsek dennoch der Zweite im Saal, der ihm gratulierte.

In Deutschland sind nach offiziellen Angaben rund 7000 deutsche Firmen engagiert. Mindestens 2000 dürften tatsächlich in dem Land aktiv sein, womit Deutschland immer noch eine Spitzenposition einnimmt. Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK zuletzt vor den negativen Entwicklungen in der Türkei warnte, versicherte die Außenhandelskammer in Istanbul: „Die deutschen Unternehmen stehen zur Türkei.“

An den Märkten jedenfalls scheint man sich auf die neu eingeschworene Führung zu freuen. Die Währung des Landes, die seit Jahresbeginn rund ein Fünftel an Wert verloren hat, legte zum Handelsbeginn um 0,9 Prozent zu. Der Börsenindex Borsa Istanbul legte zeitweise um bis zu 1,7 Prozent zu. Zehnjährige Staatsanleihen, die zuletzt nur mit einer besonders hohen Rendite verkauft werden konnten, verloren immerhin 0,08 Prozentpunkte auf 17,35 Prozent.

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