Ein Euro und 33 Cent für den Liter Super an unseren Tankstellen, weil das Rohöl sich enorm verbilligt hat: Die weltweiten Preise sind in diesem Jahr um mehr als 40 Prozent gesunken. Und dahinter steckt nicht etwa eine große Krise der Weltkonjunktur, sondern ein überbordendes Angebot des wichtigen Rohstoffs.
Seit dem Frühjahr ist die Ölproduktion in den Bürgerkriegsländern Libyen und Irak auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt – offensichtlich haben die Kriegsherren begriffen, dass sie Ölproduktion und Pipelines im eigenen Interesse zu schonen haben. Gleichzeitig erwarten die Akteure am Ölmarkt, das explosionsartige Wachstum der Erdölförderung in den USA werde schon in wenigen Jahren den bislang mit Abstand weltgrößten Importeur von Erdöl zum wichtigen Exporteur machen.
Fracking macht keinen Sinn
Tatsächlich war die amerikanische Ölförderung von 2008 bis 2013 von 6,8 Millionen Barrel pro Tag auf mehr als zehn Millionen Barrel gestiegen. Ginge es so weiter, würden die USA Saudi-Arabien schon bald als weltweit größten Förderer ablösen. Die saudische Produktion wächst vergleichsweise langsam. Im arabischen Wüstensand macht die Zaubertechnik Fracking keinen Sinn, der Amerika seinen gewaltigen Produktionszuwachs verdankt.
Der Verfall des Ölpreises kommt beim Verbraucher an
Das liegt im wesentlichen am Preisrutsch für Rohöl. Der Ölpreis hat sich jahrelang weitgehend in einem Preisband zwischen 100 und 115 Dollar für ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent bewegt. Diesen Korridor hat der Preis Anfang September verlassen und ist im Oktober nochmals kräftig abgestürzt, auf nur noch 85 Dollar. Die subjektive Wahrnehmung der Autofahrer, dass Benzin und Diesel immer teurer werden, wird von den Daten seit 2012 nicht mehr gedeckt.
Auf der Angebotsseite ist reichlich Öl vorhanden. „Die Reaktion der Produzenten lässt auf sich warten“, sagt der Hamburger Energieexperte Steffen Bukold. Saudi-Arabien, das innerhalb des Opec-Kartells sonst die Feinsteuerung des Marktes übernommen hat, will nicht allein seine Produktion kürzen. Dahinter steht ein Kampf um Marktanteile in Asien, wo für die Opec-Staaten die einzig wachsenden Absatzmärkte für ihr Öl liegen. Die Nachfrage nach Öl verläuft wegen der verhaltenen Weltkonjunktur zudem flau und kann den Preis nicht stützen.
Das ist mittelfristig denkbar, geht aber nicht so schnell. Manche Förderanlagen könnten unrentabel werden, wenn der Ölpreis noch weiter fällt und dauerhaft niedrig bleibt. Ob es dazu kommt, ist noch nicht absehbar. Zudem bekommen viele Förderländer - auch Russland - bei einem Ölpreis deutlich unter 100 Dollar ein Problem mit der Finanzierung ihres Staatshaushalts. Bislang allerdings liegt der durchschnittliche Ölpreis für 2014 immer noch bei 106 Dollar, nach 109 im Vorjahr. Das ist für die Ölländer noch kein schlechtes Jahr.
Nach dem Energiepreis-Monitor der European Climate Foundation sind die Preise für Energierohstoffe währungsbereinigt im September um 1,2 Prozent gefallen und gleichzeitig die Verbraucherpreise für Kraft- und Schmierstoffe um 0,4 Prozent gestiegen. Anders als in Frankreich und Italien. „Ein Teil des Anstiegs ist nur so zu erklären, dass fallende Rohstoffpreise nicht eins zu eins auf Verbraucherebene weitergegeben wurden“, heißt es in der Mitteilung der Stiftung. Die Branche bestreitet das: „Der harte Wettbewerb der Tankstellen in Deutschland sorgt dafür, dass der gesunkene Ölpreis über niedrigere Benzin- und Dieselpreise auch bei den Verbrauchern ankommt“, sagte ein Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) in Berlin.
Das kann niemand sagen. Schon bislang ist der Preisrückgang gebremst worden, weil der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat. Für einen Euro bekommt ein Ölimporteur nur noch 1,28 Dollar, das sind 10 Cent weniger als vor ein paar Monaten. Deshalb braucht er mehr Euro, um die gleiche Menge Dollar für den Ölkauf aufzubringen. Fällt der Euro noch weiter, ist das schlecht für den Autofahrer. Der Ölpreis selbst hat nach unten vielleicht weniger Luft als nach oben. Gibt die Opec bei ihrer nächsten Sitzung im November ein klares Signal, dann kann der Preis auch schnell wieder in den alten Preiskorridor oberhalb von 100 Dollar zurückkehren, meint Ölexperte Bukold.
Hinter den derzeit so niedrigen Preisen stecken trotzdem die Saudis. Das fing im Sommer damit an, dass ihre staatseigene Fördergesellschaft Aramco auf Nachfragerückgänge und die verstärkte Konkurrenz russischer Rohölanbieter in China, Japan und Südkorea mit Preisrabatten reagierte. Es wurde offensichtlich, dass Saudi-Arabien zusammen mit seinen Nachbarn und Verbündeten in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten fast alles tun werde, um die eigenen Marktanteile zu halten.
Darum erwarten die Märkte seitdem einen steten Angebotsüberhang, und das führt sogleich zu sinkenden Preisen. Denn am Weltmarkt für Rohöl wird der Preis sehr viel weniger vom aktuellen Angebot und der aktuellen Nachfrage bestimmt als von dem, was die Marktteilnehmer über die künftige Entwicklung beider Faktoren denken.
Saudi-Arabien hat diesen Mechanismus konsequent ausgenutzt. Das begann mit den Rabatten im Fernen Osten und ging im Herbst weiter mit Äußerungen des Ölministers Ali al-Naimi, Saudi-Arabien sei vor allem anderen an der Wahrung seiner Stellung als Exportland Nummer eins interessiert. Es gipfelte in der turnusmäßigen Sitzung der Ölminister der Opec-Länder Ende November in Wien, als die Ölpreise schon um 30 Prozent gegenüber dem Jahresanfang gefallen waren.
Normalerweise hätte die Opec darauf mit einer Drosselung der Produktionsquoten reagiert. Dieses Mal aber änderte das Kartell nichts an diesen Quoten von insgesamt etwa 31 Millionen Barrel pro Tag. Das war ganz im Interesse der Saudis, katastrophal für die Opec-Minderheit der ärmeren Mitgliedsländer: Schon bei Rohölpreisen um 70 Dollar wie Ende November konnten der Iran, Venezuela und Nigeria ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Dabei geht der Preissturz seit dem ergebnislosen Wiener Opec-Treffen ungebrochen weiter. Die Nordsee-Sorte Brent kostete vergangenen Donnerstag in London 64 Dollar, der Preis für die amerikanische Sorte WTI näherte sich in New York der Marke von 60 Dollar.
Und wieder liegt es an den Saudis und ihren Verbündeten, die in der Opec den Ton angeben: Ganz offiziell senkte das Opec-Sekretariat in Wien vergangene Woche seine Prognose für die durchschnittliche tägliche Nachfrage nach Opec-Rohöl im kommenden Jahr um 280 000 Barrel. Einziger Zweck der Verlautbarung war eine neue Schockwelle, die dann die Märkte entsprechend hart traf.
Die arabischen Opec-Länder handeln derzeit konsequent. Für den kommenden Januar haben sie für mehrere Weltregionen den Verkaufspreis für leichte Rohölsorten gesenkt. 60 Dollar, so scheint es, sind den Strategen auf der Arabischen Halbinsel immer noch zu viel.
Fracking ist teuer
All das richtet sich gegen die amerikanische Konkurrenz, gegen die bislang so rasant wachsende Fracking-Wirtschaft. Kern des Kalküls: Die reinen Förderkosten für ein Barrel Öl aus der arabischen Wüste liegen zwischen sieben und höchstens zwölf Dollar. Ein Barrel Erdöl, das in den USA durch Fracking gewonnen wird, verursacht dagegen je nach Lage und Art der Fundstelle Kosten zwischen 40 und 70 Dollar. Schon bei 60 Dollar wäre also das Ende vieler amerikanischer Projekte nahe.
Natürlich bleibt es paradox, wenn Länder, die praktisch nur vom Ölexport leben, die Erlöse dieses Geschäfts willentlich reduzieren. Kritiker dieses Kurses, die es auch in der saudischen Führung gibt, stützen sich auf eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Forscher haben berechnet, wie hoch der Rohölpreis mindestens sein müsste, um die chronischen Löcher in den Staatshaushalten der Ölexporteure zu stopfen. Für Saudi-Arabien mit seiner generösen Sozialpolitik kommt der IWF auf mehr als 100 Dollar, für den Iran auf 140 Dollar, für die kleinen Opec-Staaten am Golf auf 60 bis 80 Dollar. König Abdullah und seine Minister können sich den Preiskampf trotzdem leisten – dank des in den vergangenen Jahren akkumulierten gewaltigen Reichtums des Königreichs.
„Niedrige Ölpreise sind für das Königreich akzeptabel dank eines gut gemanagten Bestands an Devisenreserven“, sagt der saudische Publizist Nawaf Obeid. Nach seinen Angaben verfügt der saudische Staat über Devisenreserven und ausländische Vermögenswerte im Wert von mehr als 900 Milliarden Dollar. Das würde rein rechnerisch ausreichen, die Folgen eines halbierten Rohölpreises mehr als vier Jahre auszugleichen, ohne irgendwo im Staatshaushalt zu sparen.
Einen so langen Atem hätte die amerikanische Ölindustrie kaum, auch wenn es bis auf sinkende Aktienkurse der Ölunternehmen noch keine Krisenzeichen gibt. Gilt das aber auch, wenn sich der Barrelpreis bei 60 Dollar einpendelt oder gar noch weiter fällt? An der Wall Street werden bereits spekulative Kontrakte auf einen Preis von 40 Dollar Mitte 2015 gehandelt. Bislang geben sich die großen amerikanischen Produktionsgesellschaften wie Devon Energy und Continental Ressources aber noch optimistisch, erschließen im neuen Wilden Westen der USA ein Ölfeld nach dem anderen und prognostizieren für 2015 Zuwächse im zweistelligen Prozentbereich.
Vor dem Countdown
Die meisten Produktionsfirmen in der alten Cowboy-Region zwischen Mississippi und Rocky Mountains haben sich mit Derivaten gegen fallende Ölpreise abgesichert. So eine Absicherung läuft freilich irgendwann aus, bei den meisten Kontrakten ist das schon im kommenden Jahr so.
Da haben die Ölscheichs vermutlich den längeren Atem. „Einer muss den Kürzeren ziehen“, sagt Sarah Emerson, Direktorin der auf die Ölindustrie spezialisierten amerikanischen Unternehmensberatung ESAI Energy – „es ist wie beim Goldrausch. Erst einmal will jeder so viel erbeuten wie möglich.“
Weshalb die Konsumenten der Konfrontation zwischen Wildwest-Helden und Scheichs gelassen zuschauen können.