
Monica und ich arbeiteten seit etwa sechs Wochen zusammen. Sie half mir bei Interviews, wenn mein Chinesisch versagte, und arrangierte Treffen mit Interview-Partnern. Die 30-Jährige sprach gutes Englisch und hatte in ihrer Freizeit viel mit Westlern zu tun – was für die meisten Chinesen ungewöhnlich ist.
An unserem letzten gemeinsamen Tag waren wir zu einer deutschen Firma unterwegs, drei Autostunden entfernt von Shanghai. Dort streikte die Belegschaft, das Management war angeblich von einer wütenden Menge mit Eisenstangen bedroht worden. Zuvor hatte der neue Werksleiter aus Deutschland eine Videokamera im Pausenraum anbringen lassen und so ein Dutzend Mitarbeiter dabei überführt, wie sie Überstunden zwar aufschrieben, aber mit Kartenspielen und Biertrinken verbrachten. Nachdem er die Arbeiter gefeuert hatte, streikte die übrige Belegschaft. Sie forderten, dass ihre Kollegen wiedereingestellt werden. Die Vorwürfe stritten sie ab, obwohl die Beweise eindeutig waren.





Monica stellte den aufgebrachten Wanderarbeitern einige Fragen. Ich war beeindruckt, wie mutig die kleine Frau mit einer Menge rauchender und schimpfender Wanderarbeiter redete. Auf dem Rückweg fragte mich Monica:
„Bist Du eigentlich ein ausländischer Spion?“
Ich musste lachen, aber eine schlagfertigere Antwort als „Nein, ich bin Journalist“, fiel mir nicht ein.
„Ach gut“, sagte Monica.
Dann sagte sie lange nichts mehr. Noch immer bekommen viele Schulkinder in China beigebracht: Ausländer können Spione sein. Aber auch erwachsene Menschen werden in China instruiert, wie die Welt aus Sicht der Kommunistischen Partei funktioniert. Das sich variierende Thema lautet: „China ist auf dem Weg zur Weltmacht“ – „Der Westen, vor allem die USA, neidet China den Aufstieg“ – „Dinge wie Menschenrechte und eine Verfassung sind trojanische Pferde des Westens, um die Volksrepublik zu zersetzen.“
Traditionelle Medien
Chinesische Zeitungen sind heute längst keine billigen Propaganda-Blätter mehr. Seit ein paar Jahren gibt es sogar englischsprachige Ausgaben der „China Daily“ und der „Global Times“. Die Zeitungen richten sich direkt an Ausländer innerhalb und außerhalb Chinas. Ihr Auftrag: Der Welt die „chinesische Sicht“ näher zu bringen. An Professionalität stehen die Blätter, ebenso wie der staatliche Fernsehsender CCTV, ihren westlichen Kollegen in nichts mehr nach: Es gibt eine saubere Trennung zwischen Nachricht und Meinung, zwischen Inhalt und Anzeigen. Darin finden sich Reportagen, kritische Kommentare und interessante Gastbeiträge. Das Layout ist ansprechend, der Stil flüssig.
Die Zensur merkt man den Zeitungen erst auf den zweiten Blick an. Wenn sich zum Beispiel in China eine Naturkatastrophe ereignet, veröffentlichen die Zeitungen immer auch Meldungen über ähnliche Desaster in anderen Ländern. Während Korruptionsfälle bei ausländischen Unternehmen groß verkündet werden, liest man wenig vom Fehlverhalten chinesischer Konkurrenten.