Pressefreiheit in der Türkei Die lästigen Journalisten

Die Pressefreiheit in der Türkei wird seit Jahren immer weiter eingeschränkt. In keinem anderen Land sitzen so viele Journalisten im Gefängnis. Doch Staatschef Erdogan beharrt weiter auf seinem Bild der freien Medien.

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In Deutschland wächst der Protest gegen inhaftierte Journalisten in der Türkei. In Flörsheim, dem Heimatort von Deniz Yücel, demonstrierten Angehörige, Freunde und Kollegen mit einem Autokorso. Quelle: dpa

Istanbul Deniz Yücel ist zum Gesicht für ein Problem geworden, dass sich in der Türkei seit Jahren zuspitzt. Der deutsche Journalist sitzt seit zwei Wochen im Gefängnis. Nach dem Polizeigewahrsam hat ein Richter am Montag Untersuchungshaft gegen den „Welt“-Korrespondent angeordnet. Die Dauer ist noch offen – sie kann bis zu fünf Jahre betragen. Die türkische Regierung verdächtigt ihn, „Mitglied einer Terrorbande“ zu sein und „Datenmissbrauch“ betrieben zu haben. Der Protest gegen diese Entscheidung wird lauter, doch Deniz Yücel ist kein Einzelfall.

150 Journalisten sitzen nach Angaben der Medienrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG) derzeit in türkischen Gefängnissen. So viele wie in keinem anderen Land der Welt. Mindestens 49 von ihnen seien in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit als Journalist in Haft. Bei vielen anderen Fällen sei ein solcher Zusammenhang wahrscheinlich, aber nicht hundertprozentig nachgewiesen, weil die türkische Justiz selbst Betroffene oft lange über die wahren Haftgründe im Unklaren lasse.

Die türkische Regierung hält diese Zahlen für zu hoch und gibt an, lediglich 30 Journalisten seien in Haft. Nach Aussage der Regierung wurden die Betroffenen aber nicht wegen ihrer journalistischen Arbeit eingesperrt, sondern weil sie sich strafbar gemacht haben.

Dabei hat der Druck auf kritische Journalisten besonders in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In der RoG-Rangliste der Pressefreiheit hat die Türkei in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich an Boden verloren. Im Jahr 2006 lag die Türkei noch auf Platz 98, in der aktuellen Rangliste aus dem Jahr 2016 steht das Land auf Platz 151 zwischen Tadschikistan und der Demokratischen Republik Kongo.

Die Liste stammt noch aus der Zeit vor dem Ausnahmezustand. Seitdem hat sich die Situation der Journalisten in der Türkei verschlechtert. Der von der Regierung verhängte Ausnahmezustand nach dem Putschversuch im Juli 2016 macht es der Staatsführung noch einfacher gegen Journalisten vorzugehen. Der Notstand erlaubt es der Regierung zum Beispiel Zeitungen und Zeitschriften zu verbieten, falls diese „die nationale Sicherheit bedrohen“. Was das genau bedeutet ist Interpretationssache der Regierungsbehörden.


Erdogan hat mehr als 170 Medien und Verlage geschlossen

Nach Angaben der unabhängigen Journalistenplattform P24 sind nach dem gescheiterten Putsch mehr als 170 Medien und Verlage durch Notstandsdekrete geschlossen worden. Scharfe Internetgesetze ermöglichen es den Behörden zudem seit langem, kritische Webseiten zu blockieren. Reporter ohne Grenzen spricht von einer „Repression in ungekanntem Ausmaß“.

Doch Staatschef Recep Tayyip Erdogan beharrt weiterhin darauf, dass die Medien in der Türkei frei berichten können. Ende 2014 hatte er gar verkündet: „Die Medien sind nirgendwo auf der Welt freier als in der Türkei.“ Damals lag die Türkei auf Platz 154 der Rangliste zur Pressefreiheit.

Die Inhaftierung des „Welt“-Journalisten bedeute nun eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgehe, sagte RoG­Geschäftsführer Christian Mihr. „Die gegen Deniz Yücel erhobenen Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung sind schlicht absurd.“

Yücel ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch­konservativen AKP des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt.

Er hatte über gehackte E-Mails von Energieminister Berat Albayrak berichtet. Albayrak ist ein Schwiegersohn von Präsident Erdogan. Die privaten E­Mails des Ministers hatte die linke türkische Hackergruppe RedHack beschafft. Sie sind seit Anfang Dezember auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugänglich. In den Texten geht es unter anderem um die Kontrolle türkischer Medienkonzerne.

Der nun verhängte Haftbefehl sei „inakzeptabel“ sagte der Türkei-Experte Andrew Gardner der Deutschen Presse Agentur (dpa). „Es sieht nach einem anderen Fall aus, in dem erneut ein Journalist wegen kritischer Artikel und unter Anwendung der Terrorgesetze beschuldigt wird“, sagte Gardner. Die „maßlose und missbräuchliche“ Anwendung dieser Gesetze gegen Journalisten sei inzwischen ein „chronisches Problem in der Türkei“. Viele Journalisten in Untersuchungshaft würden zudem schon seit Monaten ohne Anklage festgehalten.

Der 43­jährige Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Für die türkische Regierung wird er daher als einheimischer Journalist angesehen. Viele türkische Journalisten haben das Land aus Angst vor dem Gefängnis bereits verlassen. Einer der bekanntesten ist Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“. Mit einigen Kollegen hat Dündar in Deutschland inzwischen eine deutsch-türkische Online-Zeitschrift. Ihr Titel: „Özgürüz - Wir sind frei“. Aus der Türkei ist die Seite nicht zu erreichen. Die türkische Regierung hat den Zugang zu der Seite bereits vor dem Start gesperrt.

In Deutschland wächst unterdessen der Protest gegen die Inhaftierung von Deniz Yücel. Die Initiative #FreeDeniz hat für Dienstag zu Protest­Autokorsos in elf Städten aufgerufen. Solidaritätsaktionen seien in Berlin, Köln, Wien und acht weiteren Städten geplant, teilte die Initiative mit. Außerdem sammelt sie in einer Online-Petition Unterstützungsbekundungen für eine Freilassung des Journalisten.

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