Pressestimmen zur Rücktrittsforderung „Angela Merkel muss gehen“

Deutschland steht am Abgrund – und Angela Merkel ist Schuld. So sieht es „New York Times“-Autor Ross Douthat. Nicht nur die US-Presse diskutiert einen Rücktritt der deutschen Kanzlerin. Unsere Korrespondenten berichten.

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Eine Rücktrittsforderung in der „New York Times“ sorgt für Aufregung. Quelle: Reuters

Es ist nicht weniger als der Rücktritt der mächtigsten Frau der Welt, den Gastautor Ross Douthat in der renommierten „New York Times“ fordert. Im Hinblick auf die Übergriffe von Köln warnt der Kolumnist vor den Folgen der unbegrenzten Einwanderung von Flüchtlingen – niedergeschrieben in der Kolumne „Op-Ed“, die stets im Kontrast zur vorherrschenden Redaktionsmeinung steht. Merkel sei verantwortlich für den Kurs und müsse ihre Kanzlerschaft niederlegen.

Schon die Überschrift macht klar, was die Willkommenskultur der Kanzlerin ausgelöst habe: „Germany on the Brink“ (Deutschland am Rande des Abgrunds) konstatiert Kolumnist Douthat. Wer denke, dass eine alternde, säkularisierte, und dadurch sehr homogene Gesellschaft einfach friedlich eine Migration von derartiger Größe und kulturellem Unterschied absorbieren könne, dem prophezeit Douthat beste Karriereaussichten als zukünftigem Sprecher der deutschen Regierung. Gleichzeitig sei man dann aber ein Narr.

Denn eine solche Transformation verspreche eine zunehmende Polarisierung zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen. Um diese Konflikte zu verhindern, müsse Deutschland seine Grenzen für Flüchtlinge jetzt schließen und mit der geordneten Abschiebung von körperlich gesunden jungen Männern zu beginnen. Zudem sei es an der Zeit, so Douthat, die Illusion aufzugeben, dass Deutschland die Sünden der Vergangenheit mit einem unverantwortlichen Humanismus zu sühnen.

Welche Konsequenzen die Zwischenfälle von Köln haben sollten, macht Douthat am Ende seiner Kolumne klar: „Es bedeutet, dass Angela Merkel gehen muss – damit ihr Land und der Kontinent, den es umfasst, es vermeiden kann, einen zu hohen Preis für ihre gutgemeinte Torheit zu bezahlen.“

Mit seiner Forderung nach einem Rücktritt hat der Gastautor in der „New York Times“ eine Diskussion angefacht, die im Ausland längst die Medien beschäftigt.

(Johannes Steger, Berlin)

So betrachten die Amerikaner mit wachsender Sorge die Stimmung jenseits des Atlantiks. „Das Pendel schlägt um“, schreibt zum Beispiel die „Los Angeles Times“ über die Lage in Deutschland. Von einem „Test“ für die Kanzlerin schreibt das angesehene Magazin „New Yorker“.

Das Thema der deutschen Flüchtlingspolitik gewinnt so plötzlich auch in der Vorwahlkampfdebatte der USA, die seit Jahren über den richtigen Umgang mit Einwanderung streiten, eine ungeahnte Brisanz. So nannte der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump die Bundesrepublik in den vergangenen Wochen mehrfach als ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man zu viele fremde Menschen ins eigene Land lässt. „Schaut euch an, was in Köln geschah“, rief er am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt in Iowa: „Die erschütternden Verbrechen, die Silvesternacht, die Vergewaltigungen und das gesamte Gemetzel.“ Es sind schrille Sätze, die selbst in den USA nicht unwidersprochen bleiben.

So veröffentlichte die „Washington Post“ am Wochenende einen Meinungsbeitrag, der sehr anerkennende Worte für Merkel fand und sie sie als „wichtigste Anführerin in Europa“ bezeichnete. Auch die „New York Times“ stellte dem Stück von Ross Douthat eine eigene Sichtweise gegenüber, die die Neujahrsansprache der Kanzlerin als eine Rede pries, „die alle in Europa beachten sollten“. Doch das Bild der unanfechtbaren und über alle Kritik erhabenen Kanzlerin, die vom US-Magazin Forbes erst im November abermals zur mächtigsten Frau der Welt gewählt worden war, hat im Ausland inzwischen deutliche Risse bekommen.

So ist Douthat mit seiner Rückzugs-Vorhersage nicht allein. Die britische „Financial Times“ gab Ende Dezember in einem pointierten – und nicht immer völlig ernstgemeinten – Jahresausblick auf das Jahr 2016 ebenfalls eine bemerkenswerte Prognose auf die selbstgestellte Frage, ob Merkel Ende des laufenden Jahres noch Kanzlerin in Deutschland sein werde. Die Antwort des renommierten Blattes lautete: Nein. Die Briten halten es für wahrscheinlich, dass es im Laufe des Jahres angesichts von anhaltend hohen Flüchtlingszahlen zur Rebellion gegen die CDU-Politikerin kommen wird.

(Carsten Herz, London)


Italien: Köln als Wunde im europäischen Gedächtnis

Wird sich die Kanzlerin an der Spitze der Regierung halten können und das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen oder muss sie zurücktreten – das fragt man sich auch in Italien. Das Land schaut schon immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Ehrfurcht auf Deutschland. In Italien, wo innenpolitische Themen stets alles Internationale beherrschen, ist das Wort „Colonia“, so heißt Köln auf italienisch, zum Synonym für eine Welt geworden, die immer schwerer zu verstehen ist. Und die Angst macht. Und entsprechend ausführlich wird nicht nur berichtet, sondern vor allem kommentiert – in den Medien wie auf der Straße.

Die Sätze von Aldo Cazzullo spiegeln die Besorgnis und das Unbehagen wider, die in Italien vorherrschen: „Das war zwar weniger grausam, aber keineswegs abscheulicher als der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris vor einem Jahr, an den wir in diesen Tagen erinnern“, schreibt der Schriftsteller und Journalist, „was in Köln passiert ist, wird im europäischen Gedächtnis eine Wunde hinterlassen, die nicht minder tief ist, denn nur wenige zeichnen oder betrachten pietätlose Karikaturen, aber alle haben wir eine Tochter oder eine andere liebe weibliche Person, die Silvester in einer großen Stadt feiert.“

Und während Dutzende von italienischen Reportern von der Domplatte berichten und sich teilweise gegenseitig interviewen, und aus jedem Kommentar das Erstaunen darüber herauszuhören ist, dass so etwas ausgerechnet in Deutschland passiert ist – ganz zu schweigen von den Pegida-Märschen – startet in der Politik die Diskussion über die Folgen für die Flüchtlingspolitik. Sehr aufmerksam wird jede Äußerung der Kanzlerin verfolgt, wie etwa ihre Sätze beim Mainzer CDU-Gipfel. Denn Italien fühlt sich zu Unrecht von der EU kritisiert für seinen vermeintlich zu laschen Umgang mit den Flüchtlingen, die übers Meer kommen und sofort registriert werden müssten. Europa müsse helfen bei den Hotspots, so heißt es in Rom.

Und so wird mit Spekulationen über Auswirkungen der Nacht von Köln auf die nächsten Landtagswahlen und das Erstarken der AfD - ganz zu schweigen von den Bundestagswahlen im nächsten Jahr - die deutsche Innenpolitik plötzlich zum großen Thema in Italien.

(Regina Krieger, Rom)


Griechenland: Damit war zu rechnen

Auch in Griechenland beobachtet man die Ereignisse von Köln sehr aufmerksam. Die Vorgänge in der Silvesternacht und die folgenden Demonstrationen finden breiten Raum in den Medien. Der Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis ist nicht überrascht: „Damit war zu rechnen“. Er weiß von ähnlichen Übergriffen bei Silvesterfeiern auf dem Athener Syntagmaplatz. „In früheren Jahren versammelten sich da fast nur noch Migranten“, erinnert sich Kaminis, der damals griechischer Ombudsmann war. Nach seiner Wahl zum Bürgermeister 2010 verlegte er die Feiern auf den Platz vor dem Rathaus, der kleiner und leichter zu überwachen ist.

Der griechische Vizeminister für Migrationspolitik, Ioannis Mouzalas, zeigte sich im Gespräch mit dem Handelsblatt am Samstag besorgt über die Vorfälle in Köln. Es sei offensichtlich, dass der Flüchtlingsandrang in Deutschland zu „politischen und gesellschaftlichen Spannungen“ führe. Die gelte es „im europäischen Geist und unter Achtung der Menschenrechte zu lösen“.

Größte Sorge der griechischen Regierung ist, dass Vorfälle wie die von Köln dazu führen werden, dass immer mehr EU-Länder ihre Grenzen dichtmachen und keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Dann käme ein „gefährlicher Dominoeffekt“ in Gang, warnt Mouzalas: „Griechenland würde zum Flaschenhals“.

Denn der Zustrom der Ankömmlinge aus der Türkei auf den griechischen Ägäisinseln ist ungebrochen, trotz Sturm und Kälte: „Wenn nur 3000 am Tag kommen, sind wir froh“, sagt Mouzalas, „im Durchschnitt sind es 4000 täglich.“ Was die Lage verschärft: Während früher drei Viertel Schutzsuchende aus Bürgerkriegsländern waren, sind inzwischen die Hälfte der Ankömmlinge Menschen aus Marokko, Algerien und Tunesien, die keinen Asylanspruch haben.

Über die politischen Folgen des unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen und Migration macht man sich in Griechenland keine Illusion, zumal das Land mit diesem Phänomen bereits seit Anfang der 1990er Jahre lebt, als hunderttausende Albaner nach dem Sturz des kommunistischen Regimes über die Grenze strömten.

In den 2000er Jahren setzte der Strom illegaler Migranten aus dem Nahen Osten und Asien ein. Das war Wasser auf die Mühlen der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, die mit fremdenfeindlichen Parolen Stimmung macht. Früher politisch völlig unbedeutend, ist die Goldene Morgenröte inzwischen mit rund sieben Prozent Stimmenanteil die drittstärkste Partei in Griechenland.

(Gerd Höhler, Athen)


Frankreich sieht Deutschland „isoliert“

Frankreich nimmt regen Anteil an den Ereignissen der Silvesternacht in Köln. In den Medien gibt es große Reportagen über die Vorfälle und über die Reaktionen in Deutschland. Die Politik dagegen nimmt nicht Stellung, sie ist auch zu sehr mit den internen Debatten über neue Anti-Terrorgesetze beschäftigt.

Im Hinblick auf Köln zieht jedes Medium seine eigenen Schlussfolgerungen, je nach der politischen Ausrichtung. „Merkel steht im Feuer der Kritik. Die Verbindung zwischen der Flüchtlingswelle und den Gewalttaten in Köln besteht im Großen und Ganzen und Deutschland scheint an der Grenze der Sättigung anzukommen“, schrieb der konservative Figaro bereits am Samstag. „Auch wenn die Polizei sagt, die Welle der Flüchtlinge habe nicht zu einem Anstieg der Kriminalität geführt: Diese Aggressionen bestätigen die gewaltsamen Auseinandersetzungen, die es mehr oder weniger regelmäßig in Aufnahmeeinrichtungen für die Flüchtlinge gibt“, ist sich der Figaro sicher.

Überhaupt sei Deutschland „isoliert in einem Schengen, das in Scherben liegt.“ Man hat den Eindruck, die Zeitung habe nur auf Szenen wie die in Köln gewartet. Immerhin weist der Korrespondent des Blattes darauf hin, dass zwischen 500 und 1000 junge Männer an den Auseinandersetzungen beteiligt waren, die Polizei aber nur von 19 Verdächtigen spreche und das Innenministerium von 31, davon 18 Asylbewerber.

Sehr viel nüchterner berichtet Le Monde. Die Zeitung verzichtet auf jede allgemeine Verdächtigung oder Vorverurteilung aller Flüchtlinge. „Der Hintergrund der Aggressionen, deren Opfer mehrere hundert Frauen in Köln während der Silvesternacht wurden, ist noch nicht aufgeklärt“, stellt der Korrespondent Frédérique Lemaitre fest. „Doch Merkel sieht sich gezwungen, ihren Ton und sicher auch ihre Politik gegenüber den Flüchtlingen zu verschärfen.“ Die verschiedenen Initiativen wie erleichterte Abschiebungen werden erwähnt, und Le Monde folgert: „Sowohl CDU/CSU als auch SPD haben ein Interesse daran, dass nicht der Eindruck entsteht, der Staat könne die Lage nicht mehr kontrollieren.“

Doch sei das teilweise bereits der Fall: „Das beweisen die Gewalttaten von Köln wie auch die Enthüllung, dass der Mann, der am vergangenen Donnerstag eine Polizeistation angegriffen hat, in Deutschland über sieben verschiedene Identitäten verfügte.“ Die Tatsache, dass der Täter sich mehrere Jahre in Frankreich aufgehalten hat, bevor er nach Deutschland einreiste, wird allerdings nicht erwähnt.

Le Monde legt auch den Finger auf die Verzögerungen bei der Umsetzung eines Schlüsselprojektes der Koalition: die Einrichtung von drei bis fünf Zentren für die beschleunigte Abschiebung von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten. „Seit zwei Monaten ist das Thema wegen politischer Differenzen blockiert.“ Dabei sei die beschleunigte Rückkehr „abgelehnter Bewerber von essentieller Bedeutung, wenn Deutschland die Zahl der Flüchtlinge senken will.“ Die Zeitung verfolgt auch sehr genau den Wandel in der Tonlage der Politik und der Medien: „Während es nach den Attentaten vom 13.November in Paris noch gelungen ist, jede Vermischung von Terroristen und Flüchtlingen zu vermeiden, scheint nun die Stimmung zu kippen.“ Nun würden die Täter von Köln vor allem durch eine Optik gesehen: „Medien wie politische Verantwortliche scheinen sich nur noch für den Status der Gewalttäter zu interessieren: Waren sie Ausländer? Waren sie Flüchtlinge?“

Ähnlich differenziert geht die Wirtschaftszeitung Les Echos mit dem Thema um. Die Zeitung berichtet seit Tagen über die Aggressionen und widmet dem Thema in ihrer Montagsausgabe eine ganze Seite. „Seit die Ereignisse am Montag bekannt wurden, steht Deutschland unter Schock“, schreibt der Korrespondent Thibaut Madelin. Er zitiert eine junge Kölnerin: „Gewalt gegen Frauen ist inakzeptabel, egal von wem sie ausgeht.“ Besonders schockierend sei, dass „viele weinende Frauen keinen Schutz von der Polizei erhalten haben, die überfordert war.“

Der Autor folgert: „Die Deutschen, für die französische Banlieues ein abschreckendes Beispiel gescheiterter Integration sind, entdecken die Existenz rechtsfreier Räume im Herzen ihrer Städte.“ Er hält allerdings auch fest: „Sexuelle Übergriffe sind keine Spezialität von Muslimen. 58% der deutschen Frauen haben einer Studie des Familienministeriums bereits sexuelle Belästigung erlitten, am Arbeitsplatz oder in ihrer privaten Umgebung.“

Mit Blick auf Merkel stellt auch Les Echos fest: „Vor wichtigen Landtagswahlen im März setzt die Kanzlerin auf eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in Europa – eine Erwartung, die immer hypothetischer wird.“ Für die Kanzlerin „tickt die Uhr, nicht nur mit Blick auf die Zahl der Flüchtlinge.“

(Thomas Hanke, Paris)


Spanien: Nicht den Fokus auf die Ethnie legen

Nach den Übergriffen in Köln warnen spanische Medien davor, alle Flüchtlinge oder einzelne ethnische Gruppen unter Generalverdacht zu stellen. Die Übergriffe würden, so kommentiert „El País“, „zu einem Nährboden für fremdenfeindliche Ausbrüche“.

Die Täter müssten als Kriminelle behandelt und unabhängig von ihrer Herkunft verfolgt werden, fordern spanische Kommentatoren. Genauso wichtig aber sei es, der Versuchung zu widerstehen, neue diskriminierende Hürden gegen Flüchtlinge aufzubauen. Fremdenfeindliche Parteien wie Pegida profitierten bereits von den Ereignissen.

Spanien ist ein Land, das während des Wirtschaftsbooms Anfang des Jahrtausends hohe Zahlen von Einwanderern verzeichnete. Im Jahr 2011 waren gut fünf Millionen und damit 12 Prozent der Bevölkerung Einwanderer. Dennoch gab es in dem Königreich nie fremdenfeindliche Bewegungen. Trotz der harten Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat sich keine rechtsradikale Partei gebildet.

(Sandra Louven, Madrid)

Ähnliche Übergriffe in Südschweden

Auch in Schweden haben die sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln die Schlagzeilen in den vergangenen Tagen dominiert. Ähnlich wie in Deutschland taten sich Kommentatoren zunächst schwer, die Herkunft der mutmaßlichen Täter zu benennen. Allerdings änderte sich das schnell als ähnliche Übergriffe in Schweden bekannt wurden.

Im südschwedischen Kalmar kam es in der Silvesternacht zu ähnlichen Übergriffen wie in Köln. 15 Frauen wurden sexuell belästigt. „Die meisten mutmaßlichen Täter sprachen nicht schwedisch“, hieß es in der Presse. Seitdem berichten schwedische Zeitungen nahezu täglich über die Entwicklungen in Deutschland und im eigenen Land. Am Montag wurde bekannt, dass die Stockholmer Polizei vergleichbare Übergriffe auf dem Rockfestival „We are Sthlm“ in der schwedischen Hauptstadt mehrere Jahre lang verheimlicht hat.

„Der gemeinsame Nenner bei den Übergriffen ist das Geschlecht, nicht die Ethnizität“, kommentierte die Journalistin Hanna Fahl in der Tageszeitung „Svenska Dagbladet“. Sie hält es für falsch, dass ein zu starker Fokus auf die Herkunft der mutmaßlichen Täter gelegt wird. Vielmehr sei Gewalt gegen Frauen ein Problem unserer Gesellschaft, argumentiert sie. „Wissen Männer, dass die erste Reaktion vieler Frauen auf die Übergriffe in Köln nicht Erstaunen, sondern Wiedererkennung ist?“, fragt sie.

In Finnland haben die Kölner Übergriffe ebenfalls für große Schlagzeilen gesorgt. Sie wurden allerdings schnell abgelöst von Berichten über ähnliche Vorfälle in der Silvesternacht in Helsinki. Drei Asylbewerber wurden dort festgenommen. Der Polizeichef von Helsinki sprach von einer „großen Gruppe grabschender Männer“. Anders als in Köln hatte die Polizei in Helsinki im Vorfeld einen Tipp bekommen, dass es zu solchen Übergriffen kommen könnte und war deshalb vorbereitet.

(Helmut Steuer, Schweden)


In der Schweiz wird es ungemütlicher – auch für Deutsche

Die Debatte um die massenhaft verübten Übergriffe auf Frauen in Köln sind auch in der Schweiz ein großes Thema und könnte konkrete politische Folgen haben. Denn am 28. Februar stimmen die Schweizer über eine Volksinitiative der rechts-konservativen SVP ab: Die so genannte „Durchsetzungsinitiative“ sieht vor, dass Ausländer, die bestimmte Delikte verübt haben, automatisch des Landes verwiesen werden – und zwar unabhängig von der Höhe der Strafe.

Wird ein Ausländer zum Beispiel wegen „sexueller Nötigung“ verurteilt, soll er gemäß dem neuen Verfassungsartikel zwingend des Landes verwiesen werden. Aber auch Sozialhilfe-Betrüger sollen „ausgeschafft“ werden. Ausschaffen – so nennen die Schweizer das Ausweisen. Dabei könnte es für einen Landesverweis reichen, irrtümlich Kindergeld bezogen zu haben, ohne dies sofort zu melden, warnen Juristen. Die Gerichte sollen dabei unabhängig vom Einzelfall keinerlei Ermessenspielraum mehr haben – darin sehen Juristen einen Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Und einen weitere Verletzung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU.

Denn für Deutsche und andere EU-Bürger würde die Lage in der Schweiz ungemütlicher: Wäre die Initiative bereits angenommen, so wären laut dem Bundesamt für Statistik 2014 rund 10.000 Menschen des Landes verwiesen worden – davon 2300 EU-Bürger.

Für die SVP kommt die Debatte um die massenhaft verübten Übergriffe auf Frauen in Köln und anderen Großstädten für den Wahlkampf um ihre Initiative wie gerufen. Zudem haben haben laut der Zürcher Stadtpolizei auch in Zürich rund ein halbes Dutzend Frauen wegen Übergriffe und Diebstähle in der Silvesternacht Anzeige erstattet.

Für SVP-Übervater Christoph Blocher ist das anfängliche Schweigen der Verantwortlichen über die Herkunft der mutmaßlichen Täter genau die falsche Reaktion: „Dieses Verschweigen-Wollen wie es nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln geschehen ist, das führt zu Extremismus", sagte Blocher dem „Sonntagsblick“.

Schon vor den Vorgängen in Köln sprachen sich in Umfragen zwei Drittel der Befragten für die Durchsetzungsinitiative aus. Eine Stimmungswende scheint nun unwahrscheinlicher denn je.

(Holger Alich, Zürich)

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