Proteste Finanzkrise im Libanon –„Die Menschen haben Angst"

Noch vor einigen Jahren verzeichnete die Wirtschaft im Libanon satte Wachstumsraten. Davon ist nicht mehr viel geblieben. Die Gründe für den Abschwung sind vielfältig.

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Wegen neuer im Oktober Steuererhöhungen gibt es vermehrt Proteste auf den Straßen. Quelle: dpa

Vom einst regen Geschäftsbetrieb auf der Hamra-Straße in Beirut ist derzeit nicht viel zu sehen. Die Händler locken mit kräftigen Preisnachlässen, doch die Kunden bleiben aus. Ladenbesitzer haben die Gehälter ihrer Angestellten gekürzt oder erwägen eine Schließung.

Nur das Safe-Geschäft macht gute Umsätze. Viele Libanesen beginnen, ihr Geld zu Hause zu horten - ein Zeichen für die Sorge der Menschen, dass die monatelange Finanzkrise in eine Katastrophe mündet. Die libanesischen Banken haben die Auszahlungen von US-Dollar begrenzt, die Währungsreserven der Zentralbank schrumpfen.

Die Politiker wirken gelähmt, schaffen es nicht, eine neue Regierung zu bilden, während die wütenden Menschen auf den Straßen seit Wochen fordern, dass die gesamte Führung abtreten solle. „Die Menschen haben Angst“, sagt Chalil Chehab, Besitzer des Safe-Geschäfts auf der Hamra-Straße.

„Seit Mitte des vergangenen Monats haben die Geschäfte um rund 30 Prozent zugelegt.“ Die Kunden kämen aus allen Schichten. Das Angebot der Safes reiche von 35 bis 15.000 Dollar (gut 30 bis rund 13.500 Euro). Geschäftsleute wie Privatpersonen haben im Libanon zunehmend Probleme.

Viele Bürger klagen, dass sie nicht mehr wüssten, wie sie mit den Zahlungen in Dollar für Schulgeld, Krankenversicherung oder Immobilienkredit hinterherkommen könnten. Unternehmen können die Gehälter nicht mehr pünktlich überweisen, andere haben Personal abgebaut.

Mit rund 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder umgerechnet 86 Millionen Dollar hat der Libanon eine der höchsten Staatsverschuldungen der Welt. Ein großer Teil der Regierungsausgaben fließt in den aufgeblähten öffentlichen Dienst. Dagegen kommt die Infrastruktur seit Jahren viel zu kurz.

Um die Finanzen in den Griff zu bekommen, begann die Regierung unter anderem damit, Steuern zu erhöhen. Das löste erste Proteste aus. Diese eskalierten, als Mitte Oktober eine neue Runde von Steuererhöhungen inkrafttreten sollten.

Die Demonstranten werfen den Politikern vor, das Land mit systematischer Korruption und Missmanagement über Jahrzehnte hinweg ruiniert zu haben. Ende Oktober trat der Ministerpräsident zurück. Doch den Parteien gelang es bislang nicht, sich auf eine neue Regierung zu verständigen.

Eines der größten Probleme des Libanons ist, dass die Wirtschaft stark an den Dollar geknüpft ist. Nach einer Finanzkrise Anfang der 90er Jahre wurde die einheimische Währung, das libanesische Pfund, weitgehend mit dem Dollar verknüpft. Leasingraten oder Versicherungsprämien werden oft in Dollar bezahlt. Die meisten Libanesen erhalten ihr Gehalt jedoch in libanesischen Pfund.

Seit 1997 ist es der Zentralbank gelungen, das Pfund bei einem Kurs von 1,507 zum Dollar stabil zu halten. Dazu nahm man viele Kredite zu hohen Zinsen auf. Das wiederum ermutigte viele der Hunderttausenden Libanesen im Ausland, harte Währungen in das Land zu pumpen, indem sie Dollar an ihre Familien schickten, in Immobilien investierten oder bei lokalen Banken anlegten. Damit sorgten sie dafür, dass der lokale Markt liquide blieb.

Ende des vergangenen Jahrzehnts boomte die Wirtschaft noch mit jährlichen Wachstumsraten um die acht Prozent. Doch dann kam der Krieg im Nachbarland Syrien. Die mehr als eine Million Flüchtlinge überstiegen die Kapazitäten des Landes.

Abwärtstrend wurde nicht gestoppt

Der Zufluss harter Währung brach im Jahr 2016 ein - vor allem wegen des fallenden Ölpreises. Die Zentralbank reagierte mit einem Hilfsprogramm, das unter anderem die örtlichen Banken dazu ermutigte, sich im Ausland Dollar zu hohen Zinsen zu besorgen.

Doch der Abwärtstrend wurde nicht gestoppt. Die Regierung schätzt, dass das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr bei Null liegen wird. Die Weltbank rechnet sogar mit einem Rückgang der Wirtschaftskraft um rund ein Prozent in 2020. Die starke Ausrichtung auf den Dollar befeuert zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Schwarzmarkt für die Währung. Diese Woche gab es dort 1,900 Pfund für einen Dollar.

Die Regierung versucht, einen Sturm auf die Banken zu verhindern. Seit Beginn der Proteste blieben die Filialen weitgehend geschlossen. Anfang November waren sie für eine Woche geöffnet. Doch dann traten die Bankangestellten in den Streik, beklagten Beleidigungen und Bedrohungen unzufriedener und aufgebrachter Kunden. Seit Dienstag sind die Banken nun wieder offen. Doch mehr als 1000 Dollar pro Woche werden nicht ausgezahlt, und Überweisungen ins Ausland werden nur in Notfällen akzeptiert.

Antoine Farah, Wirtschaftschef der Tageszeitung „Al-Dschuhuria“, sagt, die Banken hätten dem Privatsektor mehr als 50 Milliarden Dollar an Krediten gewährt. Die wirtschaftliche Abkühlung in diesem Sektor gefährde nun die Rückzahlung. „Der Prozentsatz an faulen Krediten wird steigen, weil der Privatsektor quasi eingefroren ist“, sagt er.

Mit Sorge blicken viele Experten auf den 28. November. Dann werden Eurobonds in einem Volumen von 1,5 Milliarden Dollar fällig. Bislang hat der Libanon seine Schulden immer pünktlich bezahlt. Doch einige zweifeln, dass er das auch künftig tun kann und befürchten, dass er in Verzug gerät. „Wir machen eine sehr kritische Zeit durch“, warnt Farah. „Und wir könnten in eine Periode eintreten, in der wir unseren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen.“

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