Proteste gegen Regierungskampagne Italien hadert mit der Fruchtbarkeit

Sexistisch und rassistisch: Die italienische Regierung verpatzt den „Tag der Fruchtbarkeit“. Der große Protest macht eines deutlich: Das Land hat keine Lösungen für die Probleme einer alternden Gesellschaft.

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„Die Schönheit hat kein Alter, die Fruchtbarkeit schon“ – Italien ärgert sich über diesen Spruch.

Rom „Ich bin guter Hoffnung ... aber auf einen festen Arbeitsplatz“, steht auf dem gelben Schild, das die junge Römerin in die Höhe hält, dazu der Hashtag #fertilityday. Diesen „Tag der Fruchtbarkeit“ hatte das Gesundheitsministerium in Rom schon vor Wochen ausgerufen, um im geburtenschwachen Italien die Fortpflanzung anzukurbeln. Doch die durchaus gut gemeinte Aufklärungskampagne für gesunden Lebensstil verfehlte völlig ihr Ziel und provozierte Proteste auf der Straße, einen Shitstorm im Netz und böse Kommentare in den Medien.

In vielen Städten ärgerten sich die Menschen über den „Fertility Day“ auf. Vor allem über eine Broschüre, die vom Gesundheitsministerium verteilt worden war: Auf dem Titelblatt eine Fotomontage mit strahlenden, blonden Jugendlichen in der oberen Hälfte. Darunter konsumieren böse schauende, dunkle und farbige Gestalten Drogen. Der Text dazu: „Korrekter Lebensstil – für Prävention gegen Sterilität und Unfruchtbarkeit“.

Bei den Blonden steht: „Gute Gewohnheiten stärken“, bei den Dunklen „Schlechte Gesellschaft verlassen“. Das ist Rassismus, stöhnten die Italiener einmütig auf und das Gesundheitsministerium zog die Broschüre postwendend zurück. Die ganze Kampagne soll 113.000 Euro gekostet haben, rechnete die regierungskritische Zeitung „Il Giornale“ vor.

Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin verteidigte sich, sie habe die Fotos vor der Veröffentlichung nicht gesehen und entließ ihre Kommunikationschefin Daniela Rodorigo. Die verdient pro Jahr um die 230.000 Euro, wie schnell hämisch getwittert wurde. Die Ministerin wolle, dass endlich über das Tabuthema Fruchtbarkeit gesprochen werde. Gut gefallen habe ihr die Aufklärungskampagne allerdings auch nicht. Lorenzins Ausrede in einem TV-Interview, nicht über alle Vorgänge im Ministerium Bescheid zu wissen, half ihr auch nicht weiter.

Außerdem ist es schon ihr zweites Fettnäpfchen. Als vor drei Wochen der „Fertility Day” erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, empörten sich die Italiener über eine vorgestellte Postkarte. Darauf zu sehen: Eine Frau mit ihrer Hand auf dem Bauch und einer Sanduhr in der anderen Hand. Dazu der Text: „Die Schönheit hat kein Alter, die Fruchtbarkeit schon“. Die Kritik kam prompt und von allen Seiten. „Der ganze „Fertility Day“ ist eine Beleidigung für die, die keine Kinder haben können und für die, die welche möchten, aber keine Arbeit haben“, twitterte der Bestsellersautor Roberto Saviano.


Italien wird zu alt

Und selbst Ministerin Lorenzins Chef, Premierminister Matteo Renzi, kommentierte ironisch, er kenne niemanden, der nur aufgrund eines Plakates ein Kind in die Welt setzen würde. „Ich wusste nichts davon, habe nichts gesehen. Wenn man aber eine Gesellschaft schaffen will, die auf die Zukunft wettet und wieder mehr Kinder bekommt, muss man bei den Strukturmaßnahmen anfangen”, meinte Renzi.

Damit hat er Recht. Denn aller Spott und alle Häme verbergen nicht einen bitterernsten Hintergrund: Italien ist ein altes Land. Das nationale Statistikamt Istat hat vorgerechnet: Das Durchschnittsalter liegt bei 44,7 Jahren und 2015 gab es mit 653.000 mehr Todesfälle als Geburten (488.000). Jede Italienerin bekommt im Durchschnitt 1,3 Kinder, möchte aber zwei haben, meldet Istat weiter. Das wahre Problem seien nicht die Frauen, die keine Kinder hätten, sondern ein System, das es ihnen nicht erlaube, kommentierte ein Nutzer in den sozialen Medien.

Zur demografischen Wandel in der Bevölkerung kommt aber noch ein anderes Problem: Die Arbeitslosigkeit ist trotz der Reformen immer noch hoch, vor allem bei den Jugendlichen. Außerdem gibt es in Italien, vor allem im Vergleich mit Deutschland, so gut wie keine Unterstützung und Anreize für Mütter aus der Politik. Von bezahlten Auszeiten für Eltern ist das Land noch weit entfernt. Verschärfend kommt hinzu, dass viele junge Leute keinen festen und oder nur befristete Arbeitsverträge haben und damit auch kein Anrecht auf Sozialleistungen. Zudem sind auch die Kita-Plätze so rar, dass die meisten Frauen nach dem ersten Kind einfach aufhören zu arbeiten. 

„Ich bin Ministerin und keine Fachfrau für Kommunikation, deshalb interessiert mich die Botschaft der Kampagne an sich”, sagte Beatrice Lorenzin zu ihrer Verteidigung. Und auch Matteo Renzi nahm sie in Schutz. „Nein, zurücktreten muss sie nicht“, sagte er am Abend im Fernsehen. Aber die Kampagne sei nicht gut kommuniziert worden, ab jetzt müssten alle Minister ihre Kampagnen mit ihm abstimmen. Das alleine wird die jungen Frauen und Männer, die gegen den „Fertility Day“ protestieren, nicht besänftigen. Denn auch ihnen geht es um Inhalte und konkrete politischen Maßnahmen, nicht die Parolen.  

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