Proteste im Iran Hoffen und Bangen

Die Proteste gegen Armut, zu hohe Lebensmittelpreise und das Regime gehen im Iran weiter. Mit Sorge wird sogar vom UN-Weltsicherheitsrat nach Persien geblickt: Werden die Unruhen wieder blutig niedergeschlagen?

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Berlin Die Hoffnung stirbt zuletzt – so heißt es bis heute im Osten Europas. Weiter östlich, im Mittleren Osten, in Persien, gilt dies nun auch. Eine Hoffnung hat sich bereits erfüllt: Entgegen vieler Befürchtungen kam es nach den Freitagsgebeten nicht zu Zusammenstößen zwischen Regimegegnern und Anhängern der klerikalen Herrscher. Eine andere Hoffnung kann sich noch erfüllen: Dass die Proteste ohne weiteres Blutvergießen verlaufen und in einen friedlichen Reformprozess münden.

Mindestens 21 Menschen sind bei dem seit nunmehr einer Woche im Iran herrschenden Aufruhr nach Berichten lokaler Medien bereits ums Leben gekommen. Aus einer Demonstration gegen gestiegene Lebensmittelpreise, den Anstieg des bisher stark subventionierten Benzinpreises, nicht bezahlte Löhne, hohe Arbeitslosigkeit und Angst vor dem Abbau von bisherigen Sozialleistungen in Mashad – der zweitgrößten und tief religiösen Metropole im Nordosten breiteten sich wie ein Lauffeuer Proteste gegen das Regime aus. Tausende Oppositionelle wurden bislang festgenommen, davon allein über 500 in der Hauptstadt Teheran. Darunter sollen laut Berichten auf sozialen Medien wie Telegram auch junge Menschen sein, die aktuell gar nicht auf den Straßen protestiert hätten. Vielmehr hätten sie sich in den vergangenen Monaten oder Jahren politisch engagiert.

Damit werden Erinnerungen an die sogenannte „Grüne Bewegung“ von 2009 wach. Damals gingen Hunderttausende Iraner monatelang gegen die Wahlfälschung zugunsten des radikalen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad auf die Straßen Teherans. Die Revolutionsgarden schlugen die Proteste brutal nieder, Tausende wurden verhaftet, in Gefängnissen gefoltert, seither unter Hausarrest gehalten. Mindestens 71 Menschen kamen zu Tode.

Heute sind die Proteste anders. Denn auch die Lage im Iran ist anders. Im Mai 2017 wurde der reform-orientierte Präsident Hassan Rouhani wiedergewählt – auf einer Welle der Hoffnung. Doch vor allem die Hoffnung, nach dem Atomdeal mit den fünf Uno-Vetomächten und Deutschland würden Wirtschaftswachstum und Liberalität als frischer Wind die erzkonservative Theokratie durchwehen, ist in den Augen vieler Iraner verweht.

Denn die Sanktionen wegen des iranischen Nuklearprogramms wurden zwar Anfang 2016 aufgehoben, doch einseitige US-Strafaktionen gelten weiter und lähmen Handel und Investitionen. Deshalb sind viele Iraner von Rouhani enttäuscht. Vor allem die Sorge, dass nun für milliardenschwere Infrastrukturprogramme bisher bestehende Sozialleistungen für Geringverdiener gekürzt oder gar gestrichen werden, und sich zudem die Benzinpreise durch das Kürzen der gewaltigen Subventionen drastisch erhöhen , trieb Tausende auf die Straßen – vor allem in Provinzstädten.


Ein friedliches Ende?

Begonnen hatten die Proteste in der Pilgermetropole Mashad, wo Rouhanis Widersacher der letzten Wahl, der erzkonservative frühere Generalstaatsanwalt Ebrahim Raissi als Gralshüter der dortigen mächtigen Religionsstiftung herrscht. Die Hardliner um Raissi, der als Protegé des Religions- und Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei gesehen wird, bringen nun den Protest gegen den Reformer Rouhani auf die Straßen. Dessen Vize, Eshagh Dschahangiri, machte unmissverständlich klar, dass er die Hardliner hinter den Demonstrationen sieht. Zugleich warnte er, dass sie damit die Büchse der Pandora öffneten und die Proteste, die sie heraufbeschworen haben sollen, aus dem Ruder laufen könnten.

Tatsächlich wandelten sich die Proteste, die von Mashad schnell auf andere Provinzen landesweit übergriffen und zügig auch Teheran erreichten: Wurden erst Rouhanis Reformpolitik und vor allem deren sozialen Folgen angegriffen, rückte schnell der Oberste Führer Chamenei ins Zentrum der Kritik. „Tod dem Diktator“ – stand auf zahlreichen, handgemalten Plakaten. Und: „Wir wollen nicht für Gaza und Syrien sterben – unser Leben für Iran“. Damit griffen die Menschen die extrem teure Interventionspolitik der iranischen Führung in den arabischen Nachbarstaaten an.

Damit sind die Proteste von heute radikaler als jene von 2009. Damals wurde weder der Oberste Führer angegriffen, noch die iranische Außenpolitik. Diese Fundamentalopposition werde sich die Führung um Chamenei und die Revolutionsgarden nicht bieten lassen, sagen Experten in Teheran übereinstimmend. Die Frage sei nur, ob sie die Proteste nun wieder niederschlügen oder sie sich totlaufen ließen.

Für Letzteres spricht, dass die Proteste sich derzeit nicht ausweiteten. Allerdings sind auch die Pro-Regime-Kundgebungen schlecht besucht. Insofern besteht die Hoffnung, dass nicht wieder Blut fließt, die Hardliner ihre Unterstützung für die Demos gegen Rouhani einstellen und die Protestwelle abebbt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Doch sicher ist ein friedliches Ende der landesweiten Proteste keineswegs. Denn für beide Lager steht viel auf dem Spiel: Rouhani will Reformen, die seinem Volk mehr Freiheit bringen, und er will den Revolutionsgarden und den religiösen Stiftungen des klerikalen Führung die teuer aus dem Staatshaushalt bezahlten Pfründe nehmen. Das aber dürften die Mullahs kaum kampflos hinnehmen.

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