Proteste in China „Ein Regimewechsel ist ausgeschlossen“

Mit weißen Blättern und Megafonen protestieren vielerorts Chinesen gegen die restriktive Covid-Politik der kommunistischen Führung. Quelle: REUTERS

Erst vor einem Monat hatte sich Xi Jinping eine Präsidentschaft auf Lebenszeit gesichert. Doch nun geht das Volk auf die Straße. Wie reagiert der mächtigste Mann der Welt?  

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Am Tag nach den sichtbarsten Protesten in China seit Jahrzehnten blieb es auf den Straßen in Peking und Shanghai ruhig. Die Menschen versammelten sich am Montag jedoch wohl nur nicht, weil die Polizei mit einem massiven Aufgebot präsent war. Sicherheitskräfte riegelten die Gehwege der Wulumuqi-Straße in Shanghai, wo es in der Nacht zum Sonntag zu besonders heftigen Demonstrationen gekommen war, mit blauen Barrikaden ab. Wer Fotos machen wollte, wurde angehalten und aufgefordert, die Bilder zu löschen. Auch in Peking hielten Polizei-Beamte an den Hotspots der Proteste des Vortages Wache.  

Chinas Präsident Xi Jinping, gegen dessen Null-Covid-Politik sich die Proteste richteten, machte derweil business as usual. Er empfing in Peking den mongolischen Präsidenten Ukhnaagiin Khurelsukh. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder der beiden Staatschefs, wie sie flankiert von ihren Ehefrauen auf dem roten Ehrenteppich lächelten. Die Proteste erwähnten weder die Staatsmedien noch Xi mit einem einzigen Wort. Das war natürlich zu erwarten. Dennoch dürfte klar sein, dass es nun hinter den Kulissen in Peking brodelt.  

Die Führung ist sich bewusst, dass aus den Protesten am Wochenende, an denen letztendlich landesweit nur einige Tausend Menschen teilnahmen, jederzeit ein Flächenbrand werden könnte. Deshalb sollen die Funken nun möglichst sofort ausgetreten werden.  

Wie viel hinter den Protesten in China steckt und ob sich daraus eine größere Welle, vergleichbar mit der Demokratiebewegung 1989, entwickeln kann, erklärt Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
von Angelika Melcher

Dies geschah mit zahlreichen Verhaftungen. Die Polizei musste nicht direkt an Ort und Stelle eingreifen. Sie konnte zunächst die Gesichter der Protest-Teilnehmer filmen. Die Identifikation per Gesichtserkennung funktioniert in China in Bruchteilen von Sekunden. Anzunehmen ist, dass die Behörden vor allem gegen jene Demonstranten hart vorgehen werden, die nicht nur gegen die Corona-Maßnahmen protestiert, sondern zum Sturz des Präsidenten und der Kommunistischen Partei aufgerufen haben.

Was die Corona-Politik angeht, steckt Peking in einem Dilemma: Durch die rigiden Maßnahmen gegen das Virus hatte der Unmut in der Bevölkerung seit Wochen immer mehr zugenommen. Viele Millionenstädte sind weitgehend lahmgelegt. Die Menschen stören sich an ständigen Tests, Ausgangssperren, Zwangsquarantäne, lückenloser Überwachung durch Corona-Apps und Kontaktverfolgung, mit denen die Behörden versuchen, die sich leicht verbreitenden Omikron-Varianten des Virus in den Griff zu bekommen. Doch selbst ausländische Gesundheitsexperten warnen, dass ein abrupter Kurswechsel nun der falsche Weg sei.  



Schließlich haben es die Behörden in den vergangenen drei Jahren der Pandemie versäumt, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Statt die Zahl von Intensiv-Betten in Krankenhäusern zu erhöhen und vor allem die Impfungen bei alten Menschen voranzutreiben, wurde ein Großteil des medizinischen Personals für Massentests und zur Durchsetzung von Lockdowns verschlissen. Und trotzdem sind die Corona-Zahlen zuletzt täglich auf neue Rekord-Werte gestiegen. Ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums machte dann auch am Montag deutlich, dass sich an der Corona-Strategie grundlegend nichts ändern und der Kampf gegen das Virus „unter der Führung der Kommunistischen Partei und mit der Unterstützung des Volkes“ erfolgreich verlaufen werde.

Dabei handelt es sich um einen Kampf, den Xi schon vor zwei Jahren voreilig für gewonnen erklärt hatte. Die angesammelte Covid-Lockdown-Unzufriedenheit werde ganz klar auf die Zentralregierung projiziert und nicht wie bisher bei den vereinzelten Protesten, die sich gegen die Lokalregierungen wandten, analysiert Kristin Shi-Kupfer, Politikwissenschaftlerin und Sinologie-Professorin an der Uni Trier, auf Twitter. „Dies macht es für die chinesische Regierung brisant“, schreibt Shi-Kupfer. Auch wenn es gelingen sollte, die Protest-Welle zu brechen, bleibe das Problem für die Regierung bestehen, wie sie weiter mit Covid umgeht. Xis Machtfülle könnte infrage gestellt werden.

Andere China-Kenner befürchten, dass mit einer harten Reaktion der Behörden zu rechnen sei. Nicht die Anti-Corona-Proteste, jedoch die expliziten Anti-Regierung-Slogans in Shanghai und Urumqi könnten eine „qualitativ andere Reaktion“ der Parteiführung zur Folge haben, befürchtet Yale-Professor Taisu Zhang. Trotz der Unruhen am Wochenende sei laut Zhang jedoch klar, wer am Ende am längeren Hebel sitze. „Was auch immer sonst noch in China als Folge dieser Proteste passieren könnte: Ein Regimewechsel ist ausgeschlossen.“ 

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