Putin-Kritiker Bill Browder "Russland ist ein Land der Verschwörungstheoretiker"

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"Ich profitierte von der Übereinstimmung meiner Interessen mit denen Putins"

Wie sind Sie vorgegangen?

Nehmen Sie Gazprom. Die Aktien handelten, gemessen an den Ölreserven, mit 99,7 Prozent Abschlag zu ExxonMobil und BP. Der Markt nahm an, das Management würde ohnehin jeden letzten Kubikmeter Gas stehlen. Wir machten unsere „Diebstahlsanalyse“, um festzustellen, wie viel tatsächlich gestohlen wurde. Wir führten Interviews mit jedem, der die Firma kannte: ehemalige Angestellte, Konkurrenten, Kunden, Zulieferer, Funktionäre. Die Leute redeten sich ihren Ärger über diese Diebstähle von der Seele, immer in der Hoffnung, dass jemand etwas unternehmen würde. Wir wussten jedoch nicht, wie viel von dem Gehörten den Tatsachen entsprach. Hilfreich war dann, dass Russland eines der bürokratischsten Länder weltweit ist. Alles wird überwacht und aufgezeichnet. Das ist noch ein Erbe der zentralen Planwirtschaft. All diese Information wurden in unterschiedlichen Ministerien aufgehoben, waren also quasi öffentlich. Eines Tages stand mein Chefanalyst am Puschkin Platz im Stau. Zwischen den Autos boten Kinder alle möglichen Dinge an; eines bot Festplatten feil. Eine dieser Festplatten enthielt die Datenbank der Moskauer Registrierungskammer, der wirtschaftlichen Eigentümerin aller Unternehmen mit Sitz Moskau. Mein Analyst kaufte sie für fünf Dollar. Wir fanden alle von Konkurrenten, Kunden und Lieferanten gegen Gazprom vorgebrachten Behauptungen bestätigt. Letztlich kamen wir zu einem erschreckenden Schluss: Das Management hatte Gazprom über vier Jahre um Öl- und Gasreserven in der Größenordnung der Reserven Kuwaits bestohlen. Aber die für Anleger wichtigste Entdeckung war, dass Gazprom über rund das Zehnfache der Reserven Kuwaits verfügte. Somit waren rund 90 Prozent der Vermögenswerte nach wie vor in der Bilanz. Was macht man als Investor, wenn der Markt einen Abschlag von 99,7 Prozent macht, man aber feststellt, dass 90 Prozent des Wertes noch da sind? Wir kauften die Aktie im großen Stil. Und dann gaben wir unsere Analyse an westliche Medien weiter. Das Ganze führte zu einem nationalen Skandal, der Debatten im Parlament nach sich zog.

Gazprom und den Wirtschaftsprüfern von PricewaterhouseCoopers zufolge hatte das Management nichts falsch gemacht.

Bei der nächsten Hauptversammlung trat Präsident Wladimir Putin auf den Plan, entließ den Gazprom-Chef und ersetzte ihn durch einen Mann, der sofort ankündigte, er werde dem Stehlen ein Ende machen und die verschollenen Vermögenswerte wieder zutage fördern. Nach dieser Meldung schoss der Kurs der Aktie 134 Prozent nach oben und verdoppelte sich dann wieder und wieder. Insgesamt hat sich die Aktie verhundertfacht.

Mit Ihrem Aktivismus konnten Sie die Verluste aufholen und dann weiter zulegen?

Das Fondsvermögen stieg von 133 Millionen Dollar im Jahr 1999 auf mehr als 4,5 Milliarden Dollar. Wir machten die Verluste unserer Kunden sehr rasch wett und setzten noch eine Menge drauf.

Wie hat Moskau auf Ihre aktivistische Strategie reagiert?

Eine Zeit lang profitierte ich von der eigentümlichen Übereinstimmung meiner Interessen mit den Interessen Putins: Er bekämpfte die Oligarchen, weil sie ihn in seiner Macht bedrohten; und ich bekämpfte sie, weil sie mir Geld stahlen. Jedes Mal, wenn ich einen Skandal aufdeckte, griff Putin oder einer seiner Funktionäre auf meiner Seite ein. Russland ist ein Land der Verschwörungstheoretiker. Sie sagten sich: „Hinter diesem Kerl steht Putin.“ Ich habe diese Fehleinschätzung natürlich nicht korrigiert – auch wenn ich Putin nie getroffen habe. Die Lage änderte sich grundlegend, als Putin selbst der größte Oligarch wurde, indem er Michail Chodorkowski ins Gefängnis brachte. Die übrigen Wirtschaftsbosse stellten sich auf die Seite Putins, sie wollten nicht wie Chodorkowski enden. Ab diesem Punkt traf meine Strategie nicht mehr Putins Feinde, sondern dessen finanzielle Interessen.

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