Putin-Kritiker Bill Browder "Russland ist ein Land der Verschwörungstheoretiker"

Der Gründer des Hedgefonds Hermitage, Bill Browder, managte in Russland 4,5 Milliarden Dollar. Sehr erfolgreich – bis seine Interessen mit denen der Kreml-Herrscher kollidierten.

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Hermitage-Gründer Bill Browder Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Browder, was hat Sie Mitte der Neunziger dazu gebracht, in Russland zu investieren?

Bill Browder: Eine wirklich erstaunliche Entdeckung. Im Zuge des Privatisierungsprogramms unter Boris Jelzin verteilte die russische Regierung Gutscheine an die Staatsbürger, insgesamt an etwa 150 Millionen Menschen. Diese Voucher wurden für durchschnittlich 20 Dollar gehandelt. 150 Millionen mal 20 Dollar sind drei Milliarden Dollar. Diese Voucher im Wert von drei Milliarden Dollar waren bei der Volksprivatisierung eintauschbar gegen 30 Prozent der Aktien der russischen Unternehmen. Der Marktwert aller russischen Unternehmen lag also bei zehn Milliarden Dollar – weniger als der Börsenwert eines mittelgroßen US-Ölkonzerns. Ein Land, das 10 Prozent der Ölvorräte, 24 Prozent der Erdgasressourcen und 10 Prozent der Aluminiumvorkommen weltweit und viele, viele weitere Ressourcen besaß, war mit zehn Milliarden Dollar bewertet!

Zur Person

Sie investierten für Salomon Brothers und gründeten dann Hermitage. Ließen sich noch viele andere westliche Investoren auf das Abenteuer ein?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Moskau gab bekannt: „Wir versteigern 6,2 Prozent an Lukoil.“ Aber das war alles. Was Lukoil war, sagten sie nicht. Auch den Preis, den man für die Aktien bezahlen würde, erfuhr man nicht. Der Preis war abhängig von der Anzahl der Teilnehmer an der Auktion. Deshalb machten nur sehr wenige westliche Investoren mit, denn welcher vernünftige Mensch würde Aktien kaufen, ohne zu wissen, was sie kosten? Aber sobald die Aktien an der Börse auftauchten, schossen die Kurse um 100 Prozent – manchmal auch um 200 oder 300 Prozent – in die Höhe.

Sie glaubten daran, dass sich Russland entwickeln werde.

Ich dachte, Russland könnte ein normales Land werden, mit ähnlichen Bewertungen wie im Westen. Als ich das Land verließ, war ich mit einem verwalteten Vermögen von rund 4,5 Milliarden Dollar Russlands größter Fondsmanager. Und ich dachte, wenn sich der Markt normalisiert, könnte ich es auf 50 Milliarden Dollar bringen. Ich stellte mir einen Markt vor, in dem die Unternehmen wie bei uns ihre Ergebnisse präsentieren und Manager ihre Wachstumspläne vorstellen. Das Eigentum würde sicher sein. Russland war riskant, aber ich hätte nie gedacht, dass die Dinge so schrecklich entgleisen können.

Wann wurden Sie zu einem aktivistischen Investor?

Am Anfang war ich einfacher Finanzanalyst. Ich kaufte Aktien von Unternehmen, die im Marktvergleich billig waren. Mein Fonds legte in den ersten beiden Jahren seines Bestehens – 1996 und 1997 – erstaunliche 800 Prozent zu. Dann kam die Krise von 1998, der russische Markt zerbröckelte. Russland konnte seine Anleihen nicht mehr bedienen und ließ die Währung 75 Prozent abwerten. Und mein Portfolio schrumpfte von 1,1 Milliarden auf magere 133 Millionen Dollar. Ich war am Boden zerstört. Meine Anleger hatten viel Geld verloren. Ich wollte sie aus dem Schlamassel rausholen, in das ich sie gebracht hatte. Also schwor ich, zu bleiben und die Sache durchzustehen. Aber nach der Krise von 1998 gab es für die russischen Oligarchen, die Mehrheitseigentümer der russischen Unternehmen, keinen Anreiz mehr zu gutem Benehmen. Bis 1998 empfingen sie Besuche von US-Investmentbankern mit Hermès-Krawatten, die ihnen erzählten, wie viel Geld an der Wall Street zu holen sei – vorausgesetzt, sie würden ihre Minderheitsaktionäre nicht vor den Kopf stoßen. Nach 1998 blieben die Anrufe der amerikanischen Banker aus. Die Oligarchen sagten sich folglich: „Einen Anreiz für gutes Benehmen gibt es hier nicht mehr, denn der Geldhahn der Wall Street ist zu. Und in unserem Land gibt es keine Gesetze, das heißt, wir können uns ungestraft schlecht benehmen. Warum also sollten wir unseren Minderheitsaktionären ihr Geld lassen? Warum stehlen wir es nicht einfach?“ Da stand ich also, mit meinen letzten zehn Cent pro Dollar in der Tasche – in der Hoffnung, meine Kunden aus dem Schlamassel zu retten. Die Oligarchen hatten es aber auf eben jene zehn Cent auch noch abgesehen. Das war der Punkt, an dem ich mich aktivistisch zu engagieren begann.

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