Putin unter Druck Russland steckt in der Sanktionsfalle

Der Rubel schmiert ab, ausländische Investoren werden nervös, die Wirtschaft rutscht in die Rezession. Wie lange kann sich das Land noch über Wasser halten?

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Der russische Rubel stürzt ab. Die Gründe liegen in der Ukraine-Krise und den gefallenen Rohstoffpreisen. Quelle: dpa

Noch vor ein paar Monaten hätte Viktor Semenko aus Sankt Petersburg nicht gedacht, dass ihn die Krise erreicht. Nun muss der 23-jährige Verkäufer einer Luxusboutique regelmäßig Nachtschichten einlegen und alte Preise überschreiben. Wintermäntel für 6000 Euro, Daunenjacken bis zu 3000, Krawatten für mehrere 100 Euro – sobald er Preise von Euro in Rubel umrechnet, kosten Marken wie Brioni oder Armani astronomische Summen. Jeden Tag steigen die Rubelpreise höher. Der negative Höhepunkt folgte dann Anfang dieser Woche: Am Dienstag verlor die Währung in der Spitze über 20 Prozent, auch am Mittwochmorgen ging der Sturzflug der Währung weiter.

Auch in Semenkos eigenem Portemonnaie ist die Krise angekommen. Den Jahreswechsel will er mit seiner Frau in Estlands Hauptstadt Tallinn verbringen. „Ich schaue mir jeden morgen den Euro-Kurs an und hoffe, dass er gesunken ist“, erzählt der Russe. Als er die Reise vor ein paar Monaten gebucht hat, lag ein Euro noch unter 50 Rubel, am Dienstag wollten die Banken zeitweise über 100 Rubel.

Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg

Die Verunsicherung ist endgültig bei den Russen angekommen. Laut einer Umfrage der Stiftung Öffentliche Meinung glaubte Anfang Dezember bereits jeder Zweite im Land, dass die Rubel-Schwäche das eigene Leben negativ beeinflusst. Seit dem "schwarzen Montag" und dem "schwarzen Dienstag" dürften sich die Werte dramatisch erhöht haben. Seit Anfang 2014 wertete die Landeswährung zum Dollar um rund zwei Drittel ab, zum Euro um mehr als die Hälfte. Im November belief sich die Inflation bei Lebensmitteln auf 12,6 Prozent zum Vorjahresmonat. Insgesamt stiegen die Preise laut Statistikbehörde Rosstat um 9,1 Prozent.

Seit der Winterolympiade in Sotschi, der Krim-Annexion und der unentschlossenen Reaktion des Westens strotzt Russland nur so vor Selbstbewusstsein. Doch selbst kremlnahe Experten wie Wladimir Mau von der Akademie für Volkswirtschaft und öffentlichen Dienst warnen: Das altbewährte Modell, wonach steigende Öleinnahmen den Konsum immer weiter ankurbeln, habe sich endgültig erschöpft.

Investoren werden nervös

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Präsident Wladimir Putins politischer Kurs macht die Lage nur noch schlimmer – indem er das Land in die Isolation führt. Die Abwertung des Rubel begann bereits zu Jahresanfang, als die US-Notenbank ihre Geldpolitik straffte. Im ersten Quartal sanken die Ausfuhren deutscher Exporteure nach Russland um knapp 13 Prozent, nach fünf Monaten belief sich das Minus auf 15 Prozent.

Es folgten die Ukraine-Krise, die Annexion der Krim und mehrere Sanktionsrunden. Investoren wurden nervös, die Kapitalflucht der letzten Jahre verschärfte sich. In den ersten neun Monaten flossen 85 Milliarden Dollar ins Ausland – ein zu hoher Wert für Russland mit seinem riesigen Investitionsbedarf. Zusätzlich stoppte der Westen den Zufluss billiger Kredite aus dem Ausland. Im Sommer warnte der russische Unternehmensverband RSPP erstmals vor einer Kreditklemme.

Im Juni setzte ein massiver Preisverfall beim Erdöl ein – von 115 Dollar pro Barrel im Sommer auf rund 60 Dollar Anfang Dezember. Diese Entwicklung schlägt auf die Exporte durch. Die neuesten Daten vom Oktober zeigen, dass die russischen Ausfuhren gegenüber September bereits um sieben Prozent zurückgegangen sind. Seitdem sank der Ölpreis um ein weiteres Viertel. Russlands stellvertretender Wirtschaftsminister Alexej Wedew war sich zuletzt nicht mehr sicher, ob Russland der Rezession entgehen kann.

Russlands Probleme mit Rubel und Rohstoffen

Für 2015 sorgt nur noch das Ausmaß der Krise für Diskussionen. Das Wirtschaftsministerium korrigierte die offizielle Prognose von plus 1,2 auf minus 0,8 Prozent. „Der wichtigste Unterschied der aktuellen Krise zu denen von 2008 und 1998 ist, dass die heutige absolut hausgemacht ist“, sagt Sergej Romantschuk, Devisenhändler bei der Metallinvestbank. Auf den Kapitalmärkten sei genug Geld vorhanden, das nach Russland fließen könnte. Aber das Geld komme nicht ins Land – einmal wegen der Sanktionen, aber auch, „weil Russland mit seinem Konfrontationskurs die Investoren verschreckt“, so der Fachmann.

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