Putin wird 65 Der Unüberwindbare

Ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen stehen die Russen mehrheitlich hinter Wladimir Putin. Doch die Wirtschaftskrise trübt die Stimmung – und Oppositionsführer Nawalny wird immer lauter.

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Moskau Wladimir Putin ist diesen Samstag 65 Jahre alt geworden. Kommt nun der dritte Frühling, die vierte Amtszeit oder doch der Rückzug aufs Altenteil? Offiziell hat sich der gebürtige Petersburger noch nicht entschieden. Doch die Indizien sprechen immer stärker für die erste Variante. Die Mehrheit der Bevölkerung kann der Kremlchef offiziellen Umfragen zufolge auch 17 Jahre nach seinem ersten Amtsantritt hinter sich wissen. Doch die Unzufriedenheit ist größer geworden.

Große Feiern wird es nach Angaben von Präsidentensprecher Dmitri Peskow am Geburtstag nicht geben. Trotz Wochenende seien ein paar Arbeitstermine geplant, darunter eine Sitzung mit dem nationalen Sicherheitsrat. Ansonsten bleibe Putin an seinen Geburtstag „traditionell im Kreise von Freunden und Verwandten. Geplant ist eine ganze Kette von Telefonaten, um dem Präsidenten zu gratulieren“, teilte Peskow mit.

Kein Eishockeymatch also, wie vor zwei Jahren, als Putin an seinem Geburtstag sieben Tore schießen durfte und anschließend von der russischen Presse bejubelt wurde. Immerhin: In Grosny wird ein Fußballspiel zu Ehren Putins organisiert.

Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow, seit langem durch Aussagen wie „solange er gesund ist, sollten wir ihn auf Knien bitten, unseren Staat zu regieren“ als glühender Putin-Verehrer bekannt, hat ehemalige russische und italienische Fußball-Nationalspielspieler wie Waleri Karpin, Salvatore Schillaci, Massimo Oddo und Stefano Fiore zusammengetrommelt. „Das Spiel ist dem Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewidmet“, heißt es ausdrücklich auf der Webseite der tschetschenischen Regierung.

Die politischen Gegner Putins werden den Tag auf ihre Weise begehen: Erst Anfang der Woche wurde Alexej Nawalny, der seit Wochen durch das Land tourt, um seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2018 durchzusetzen, wegen „wiederholten Verstoßes gegen das Demonstrationsrecht“ zu 20 Tagen Ordnungshaft verurteilt. Der Arrest sei entweder „ein Geschenk zu Putins Jubiläum oder sie fürchten unsere Kundgebungen und Treffen“, kommentierte Nawalny die Haftstrafe und rief nun erst recht zu Protestaktionen auf. In mindestens 80 russischen Städten will der Stab des Oppositionspolitikers Kundgebungen organisieren, die vielerorts verboten sind.

So hat die Petersburger Stadtverwaltung den zum Zentrum des Protests erklärten Aufmarsch auf dem Marsfeld abgeblasen. Auch die Moskauer Stadtverwaltung hat alle fünf von der Opposition beantragten Kundgebungen untersagt. An den von der Opposition benannten Plätzen fehle es an Möglichkeiten „für die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen mit der genannten Anzahl an Teilnehmern“ (bis zu 15.000), sagte der Vizechef der Sicherheitsabteilung im Bürgermeisteramt Wassili Olejnik. Außerdem verbiete es die Gesetzgebung Politikern, die nicht Abgeordnete seien, sich mit Bürgern zu treffen, argumentierte er.

Wichtigste Forderung ist die Zulassung Nawalnys zur Wahl im März. Wegen der Vorstrafe des Politikers aus dem als politisch motiviert geltenden Kirowles-Prozess (fünf Jahre auf Bewährung) hatte Wahlleiterin Ella Pamfilowa Nawalnys Teilnahme als unmöglich bezeichnet.


Getrübte Stimmung

Die Opposition will sich aber nicht von der Regierung abschrecken lassen. Schon im März und Mai gab es nach dem Auftauchen von Korruptionsvorwürfen gegen Premier Dmitri Medwedew ungenehmigte Protestaktionen mit hoher Beteiligung von hauptsächlich jungen Russen. Jedes Mal nahm die Polizei jeweils an die 1000 Demonstranten fest.

Die Opposition nimmt eine Wiederholung der Ereignisse in Kauf und setzt damit gewissermaßen auf Provokation: „Nawalny muss den Kern seiner Anhänger zusammenhalten und sein politisches Profil vor den Wahlen schärfen. Natürlich ist der 7. Oktober nicht zufällig gewählt. Praktisch gesehen macht Nawalny alles richtig“, sagte der kremlnahe Politologe Jewgeni Mintschenko, der dem Oppositionellen bei allen Zugeständnissen inhaltliche Schwächen vorwirft.

Ein harter Polizeieinsatz am Samstag dürfte die Geburtstagsstimmung Putins stark trüben: Denn prügelnde Milizionäre sind kein optimaler Wahlkampfstart. Offiziell hat der Kremlchef seine Kandidatur für eine vierte Amtszeit nicht bekannt gegeben. Diese würde dann bis 2024 dauern. Doch auch in früheren Wahlperioden hielt der Ex-Geheimagent die Spannung lange hoch. Medienberichten nach soll die Entscheidung im November verkündet werden.

Ein Indiz, dass Putin weitermachen will, lieferte der Besuch des saudischen Königs Salman in Moskau: Salman hat Putin zu einer Gegenvisite eingeladen, die dem diplomatischen Protokoll entsprechend wohl erst 2018 stattfinden kann. Putin hat die Einladung ohne Vorbehalt angenommen.

Dass Putin, wenn er antritt, auch gewinnt, bezweifeln die wenigsten: Laut dem kremlnahen Umfrageinstitut FOM würden 67 Prozent der Russen bei der Sonntagsfrage Putin ihre Stimme geben. Auch das als unabhängig geltende Lewada-Zentrum sieht den Stimmanteil Putins bei 60 Prozent.

Das bedeutet nicht, dass die Stimmung in Russland gut ist. Drei Jahre Wirtschaftskrise haben Spuren hinterlassen. Das für das laufende Jahr verkündete Wachstum ist bei den meisten Menschen noch nicht angekommen. Die Realeinkommen sind weiter gesunken, der Rubel ist weiterhin schwach, Auslandsurlaub damit für die Russen ein Luxus. Die Euphorie über die Krim-Übernahme ist inzwischen abgeebbt.

Noch werden die Missstände Putin nicht persönlich angelastet. Die Sanktionen haben das Volk in gewisser Hinsicht zusammengeschweißt und dienen im Fernsehen oft auch als Begründung für den gesunkenen Lebensstandard. Zugleich rufen Berichte über die anhaltende Korruption Ärger und Misstrauen gegenüber der politischen Führung hervor. Viele Versprechen – die Diversifizierung der Wirtschaft und der Aufbau von 25 Millionen Hightech-Arbeitsplätzen, ein Top-Investitionsklima und die Bekämpfung der Korruption, „gebührende“ Renten und ein modernes Gesundheitswesen – ist er den Russen schuldig geblieben.

Insofern hat Putin in seiner nächsten Amtszeit noch einiges zu erledigen. Eine der wichtigsten Fragen dürfte der Aufbau eines Nachfolgers für den Kremlchef sein. Immerhin ist Putin 2024 schon 71 und ewig kann sich selbst der Ex-KGB-Agent nicht mit Oben-Ohne-Fotos als harter Draufgänger inszenieren. Zum Vergleich: Putins bekannter Vorgänger Lenin wurde von den Russen als „Djeduschka“ (Großväterchen) bezeichnet – obwohl er nur 54 Jahre alt wurde.

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