Putins Gnadenerlass Michail Chodorkowski ist jetzt in Berlin

Russland erlebt eine Sensation: Nach zehn Jahren Haft ist Putins schärfster Kritiker Michail Chodorkowski wieder frei. Am Freitagnachmittag ist er in Berlin gelandet.

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Michail Chodorkowski kommt frei. Quelle: dpa

Chodorkowski ist nach seiner Entlassung aus dem Straflager in der Stadt Segescha im Norden Russlands an der finnischen Grenze in Berlin gelandet. Er wurde dort von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher empfangen. An der Aktion waren auch die deutsche Botschaft in Moskau und das Auswärtige Amt beteiligt. Chodorkowski ist in Berlin offenbar im Hotel „Adlon“ untergekommen.

Genscher dankte in einer Erklärung dafür, dass Putin ihn auf seine Bitte zweimal empfangen habe, um über das Schicksal Chodorkowskis zu sprechen. Er habe Chodorkowski einst als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kennengelernt und auch danach bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen. Später hätten ihn die Anwälte Chodorkowskis gebeten, sie in den Bemühungen um Freilassung zu unterstützen. Er habe dies aus humanitären Gründen getan, ließ Genscher erklären.

Der frühere Öl-Milliardär habe darum gebeten, nach Deutschland zu reisen, weil seine an Krebs erkrankte Mutter dort behandelt werde. Doch die Mutter des begnadigten Kremlkritikers Michail Chodorkowski ist nach eigenen Angaben weiterhin in Russland. Sie sei zwar vor einiger Zeit in Deutschland behandelt worden. „Aber ich bin in Romaschkino im Gebiet Moskau“, sagte Marina Chodorkowskaja am Freitag der Staatsagentur Itar-Tass. Genscher sagte, ihm sei gesagt worden, Chodorkowskis Mutter werde weiter von Ärzten in Berlin behandelt. Chodorkowski will nach Angaben von Genscher an diesem Samstag mit Angehörigen zusammentreffen.

„Ich glaube, dass er jetzt durchatmen wird und darauf warten wird, dass er morgen seine Familie in die Arme schließen kann“, sagte Genscher am Freitag den ARD-„Tagesthemen“. Er habe Chodorkowski nicht gefragt, welche weiteren Pläne und Absichten er habe. Man solle ihm ein paar Tage Ruhe gönnen, dann werde er sich sicher äußern. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“


Chronologie des Falls Michail Chodorkowski

Kremlchef Wladimir Putin hatte den seit 2003 inhaftierten Gegner kurz zuvor begnadigt. Einen entsprechenden Ukas veröffentlichte die Präsidialverwaltung am Freitag in Moskau. Ein Sprecher Putins sagte am Freitagabend: „Er ist ein Staatsbürger und kann jederzeit nach Russland zurückkehren.“

Der schärfste Gegner Putins hätte regulär nach zwei international umstrittenen Urteilen im August nächsten Jahres wieder in Freiheit kommen sollen. Der frühere Chef des einst größten russischen Ölkonzern Yukos war unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Diebstahls verurteilt worden.

Chodorkowski, der die zunehmende Korruption unter Putin kritisiert und auch die Opposition finanziert hatte, hält die Verfahren gegen sich bis heute für politisch gesteuert. Dass er nun freikommt, gilt als beispielloses Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi am Schwarzen Meer eröffnet werden.

Russland sah sich zuletzt zunehmend wegen der Menschenrechtslage unter Druck. Mehrere Politiker, darunter US-Präsident Barack Obama und Bundespräsident Joachim Gauck, hatten angekündigt, auf Reisen an das Schwarze Meer zu verzichten. Kommentatoren in Russland nannten die Nachricht von der Begnadigung Chodorkowskis eine „handfeste Sensation“.

Putin hatte am Donnerstag überraschend von einem Gnadengesuch Chodorkowskis gesprochen. Die Zeitung „Kommersant“ berichtete, dass Geheimdienstmitarbeiter sich mit Chodorkowski im Straflager getroffen hätten, um den Gnadenakt auf den Weg zu bringen. Auch die Anwälte des einst reichsten Russen waren überrascht worden von der Nachricht.

Chodorkowski hatte ein Begnadigungsgesuch stets abgelehnt, weil damit nach Kremlangaben ein Schuldeingeständnis verbunden ist. Putin begründete seine Entscheidung mit einer Erkrankung von Marina Chodorkowskaja, der Mutter des Kremlgegners.

Die Freilassung war international begrüßt worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erfreut. „Ich habe mich sehr oft dafür eingesetzt, dass Herr Chodorkowski freigelassen werden kann“, sagte Merkel. Menschenrechtler lobten Putins Schritt und boten Chodorkowski eine führende Rolle beim Aufbau der Zivilgesellschaft in Russland an. Die Freilassung sei ein ermutigendes Signal für eine „Gesundung“ der russischen Gesellschaft. Sie gebe Hoffnung, dass sich das internationale Ansehen des Landes verbessere, teilten die Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin (Regierung) und Michail Fedotow (Kreml) mit.

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