Recep Tayyip Erdogan Der türkische Marionettenspieler

Staatschef Erdogan installiert einen neuen Ministerpräsidenten in der Türkei, der ihn noch mächtiger macht. Doch das ist nur der Anfang. Denn Erdogan schart die Massen hinter sich, die ihrem Führer bedingungslos folgen.

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Erdogans immer gleiche Botschaft: Wenn sein Präsidialsystem nicht kommt, dann ist die Türkei in Gefahr. Am Sonntag wird Erdogan seinem wichtigsten Ziel einen Schritt näher sein. Die islamisch-konservative AKP wird einen neuen Parteichef und Ministerpräsidenten von Erdogans Gnaden bestimmen - der nur noch den Willen des Staatschefs umsetzen soll. Quelle:

Istanbul Ein Meer an roten Flaggen mit Halbmond und Stern, jubelnde Massen rufen „Allahu Akbar“, auf der Bühne spricht: Recep Tayyip Erdogan. Die Vehemenz und Lautstärke, mit der sich der Präsident bei diesen Veranstaltungen landauf, landab ans Volk wendet, deutet auf robuste Stimmbänder hin. Erdogans immer gleiche Botschaft: Wenn sein Präsidialsystem nicht kommt, dann ist die Türkei in Gefahr. Am Sonntag wird Erdogan seinem wichtigsten Ziel einen Schritt näher sein. Die islamisch-konservative AKP wird einen neuen Parteichef und Ministerpräsidenten von Erdogans Gnaden bestimmen - der nur noch den Willen des Staatschefs umsetzen soll.

Beim AKP-Sonderparteitag in Ankara wird Verkehrsminister Binali Yildirim als einziger Kandidat antreten, er dürfte ein ähnliches Ergebnis erzielen wie sein Vorgänger im August 2014. Der nun geschasste Partei- und Regierungschef Ahmet Davutoglu kam damals auf 100 Prozent der Delegiertenstimmen. Davutoglus Loyalität ist zwar kaum zu überbieten – selbst bei der Ankündigung seines Rückzugs vor rund zwei Wochen gelobte er, Erdogan bis zum „letzten Atemzug“ die Treue zu halten. Aus Sicht von Erdogan-Anhängern hatte Davutoglu im Amt dennoch nicht die nötige Gefolgschaft an den Tag gelegt.

Ausgerechnet am Sonntag – dem Tag von Davutoglus Entmachtung – reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Istanbul, es ist ihr fünfter Besuch in der Türkei seit Oktober. Mit Davutoglus Abgang ist Merkel ihr wichtigster Ansprechpartner auf der türkischen Seite abhanden gekommen: Die beiden sind die Architekten des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei, den Erdogan nun zu demontieren droht. Dass Davutoglu sich bei den Verhandlungen international profilierte – auch das dürfte Erdogan nicht gepasst haben.

Mit Yildirim kann das kaum passieren. Die AKP-nahe Zeitung „Daily Sabah“ umriss schon unmittelbar nach Davutoglus Rückzugsankündigung die Aufgabe des Nachfolgers. Der neue Ministerpräsident soll demnach nur noch eine Art Koordinator im Kabinett sein. Davutoglus Rückzug, so schrieb das Blatt, sei Beleg dafür, „dass die Türkei im Grunde ein Präsidialsystem angenommen hat“. Der neue Regierungschef - in dem die pro-kurdische HDP eine „Marionette“ Erdogans sieht – soll den Weg dafür bereiten, dass die Verfassung sich der Realität anpasst.

Der wahrscheinlichste Weg hin zu Erdogans Präsidialsystem führt über eine Volksabstimmung, für die Yildirim versuchen dürfte, die nötige Mehrheit im Parlament zu organisieren. Gleichzeitig arbeitet die AKP über eine umstrittene Verfassungsänderung darauf hin, die Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten aufzuheben – was vor allem gegen die pro-kurdische HDP gerichtet ist.

Erdogan hält die HDP-Abgeordneten für Handlanger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Der auf dem Papier unparteiische Staatspräsident hat persönlich dazu aufgerufen, ihnen die Immunität zu entziehen. Willkommener Nebeneffekt: Erdogans profiliertester Gegner, HDP-Chef Selahattin Demirtas, gehört zu denen, die wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft kommen könnten.


„In unserem Glauben gibt es einen Führerbegriff“

Erdogan hat gute Chancen, eine Volksabstimmung zu gewinnen und der Türkei per Referendum sein neues System überzustülpen. Kritiker in der AKP haben längst nichts mehr zu melden. Ergebene Anhänger Erdogans – wie Ankaras Bürgermeister Melih Gökcek – dafür umso mehr. „In unserem Glauben, in unserer Tradition gibt es einen Führerbegriff“, meinte Gökcek kürzlich. „Und vor allem diesem Anführer zu gehorchen, ist absolut und definitiv eine Voraussetzung.“

Dieses Prinzip des bedingungslosen Gehorsams wird nicht nur von Politikern gepredigt, die vielleicht noch Karriere machen wollen. Auch gewöhnliche AKP-Anhänger verehren Erdogan wie eine Lichtgestalt. Beispielhaft dafür: Eine Veranstaltung zum Weltfrauentag im März in Ankara, bei der eine Türkin eine Art Liebeserklärung an Erdogan verlas. „Mein Gott, gewähre unserem Präsidenten, dass er seine Dienste zu Ende bringt“, sagte die zweifache Mutter, die Erdogan zu Tränen rührte. „Denn unser Land, die Menschheit und die islamische Welt braucht ihn. Wenn sein Leben dafür nicht ausreicht und ich aber noch zu leben habe, dann, mein Gott, gib ihm bitte mein Leben.“

Erdogan schart die Massen hinter sich, indem er ihnen immer wieder einhämmert, dass nur er Garant für Stabilität und Sicherheit sein kann – was umso bemerkenswerter ist, weil die Türkei derzeit instabil und unsicher wie seit Jahren nicht ist: Im Kampf mit der PKK, deren Vernichtung Erdogan angekündigt hat, sind jeden Tag Tote zu beklagen. In den Metropolen verübt nicht nur die PKK, sondern auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Bombenanschläge.

In seinen Reden zeichnet Erdogan das Bild einer Nation, die permanenten Bedrohungen ausgesetzt ist: Durch Feinde im Inneren – wie die PKK oder die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen –, die das Land spalten oder ihn stürzen wollen. Und durch Gegner von außerhalb - Russland, die EU –, die den Aufstieg seiner „neuen Türkei“ um jeden Preis verhindern wollen. Erdogan präsentiert sich selber dabei als Bollwerk gegen diese Bedrohungen. Wenn Erdogan aber der einzige ist, der die Türkei beschützen kann – dann muss in seiner Logik jeder Gegner fast schon automatisch ein Feind der Nation sein.

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