Referendum gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Orbán warnt vor „Terroristen und Kriminellen“

Ungarns Premier Orbán lässt am Sonntag über die EU-weite Verteilung der Flüchtlinge abstimmen. Und er schürt Furcht und Hass. Der Rechtspopulist braucht für das Votum 50 Prozent der Wähler – sonst droht ihm eine Blamage.

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Die größten Nettoempfänger der EU
Ein bulgarischer Landwirt hält eine Nationalflagge während Protesten in Sofia Quelle: dpa
Eine Frau mit einer Rumänischen Flagge Quelle: dapd
Blitze über Bratislava Quelle: dpa
Die Altstadt von Vilnius Quelle: AP
Blick aus dem Rathausturm in Prag Quelle: dpa
Die Projektion der portugiesischen auf einem historischen Gebäude Quelle: REUTERS
Das ungarische Parlament Quelle: dpa

Die ungarische Hauptstadt ist vor dem Referendum am Sonntag in den Nationalfarben Rot, Weiß und Grün getaucht. Mit der Trikolore auf Plakatwänden und Straßenbahnen wirbt die Regierung unter ihrem rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán um die Zustimmung zu ihrem Plebiszit über die in der EU beschlossene Verteilungsquote für Flüchtlinge. Sie warnt, dass mit den Migranten auch „Terroristen“ und „Kriminelle“ in Land kommen würden.

Nur knapp 1300 Migranten soll das kleine EU-Land nach dem EU-Schlüssel aufnehmen. Doch dazu ist Orbán keinesfalls bereit. Die Wähler sollen ihm nun den Rücken im Streit mit der EU-Kommission und Bundeskanzlerin Angela Merkel stärken. Der seit 2010 regierende Führer der Fidesz-Partei will mit dem Votum gegen Migration noch härter in Europa auftreten.

Mit dem Referendum fährt Orban aber auch ein hohes politisches Risiko. Damit das Votum gültig ist, müssen mindestens 50 Prozent der 8,27 Millionen Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Die meisten Oppositionsparteien und eine Reihe von Bürgerrechtsorganisationen haben die Wähler die Bürger aufgefordert, nicht zur Wahl zu gehen oder eine ungültige Stimme abzugeben.

Sollte Orbán das Quorum nicht erreichen, wäre das die größte Blamage seit der Übernahme der Macht in Ungarn vor sechs Jahren. Nach letzten Meinungsumfragen schwankt die geplanten Wahlbeteiligung um die notwendigen 50 Prozent. Es könnte daher für die rechtspopulistische Regierungspartei Fidesz knapp werden, die im Budapester Parlament eine knappe Zwei-Drittel-Mehrheit besitzt. Deshalb zieht Orbán und seine Parteigänger alle Register, um die Bürger an die Wahlurnen zu bringen.

Das ist Viktor Orbán

Ungarn sei von der EU mit der verpflichtenden Verteilquote für die Flüchtlinge über den Tisch gezogen worden, gab Orbán nach dem Flüchtlingsgipfel in Wien am vergangenen Wochenende zu Protokoll. „Wir wollen mit dem Referendum zeigen, dass wir uns als kleines Land nicht über den Tisch ziehen lassen“, sagte Orban in Richtung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf die Einhaltung der Flüchtlingsquoten pocht.

„Wir wollen das Recht haben zu entscheiden, mit wem wir zusammenleben wollen und nicht Brüssel“, sagte der Intimfeind Merkels. Die Frage des Plebiszits ist freilich suggestiv gestellt. Auf den Wahlzetteln heißt es: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“ Mit einer klaren Mehrheit gegen Quoten wird in Budapest daher fest gerechnet.

Der Orbán-Vertraute Zoltán Kovács gibt in Budapest unterdessen betont gelassen. Der ungarische Regierungssprecher sitzt in einem Palast neben dem fein herausgeputzten Parlament. Ein imposantes Treppenhaus mit rotem Teppich führt hoch zu seinem Salon, von dem aus der promovierte Jurist auf die ungarischen Medien einwirkt.

Kovács, mit sportlich offenem Hemd und lässigem Sakko, zweifelt nicht aus für die Regierung positivem Ausgang des Plebiszits. Es werde „eine klare Botschaft an Europa senden. Genau wie die Abstimmung über den Brexit. Der ist auch nicht rechtsverbindlich und hat dennoch Folgen.“ Dabei lächelt Kovács überlegen. Eine klare politische Botschaft aus Budapest könne von den europäischen Institutionen nicht übergangen werden. „Ein Referendum ist der beste demokratische Weg, um die Meinung der Bürger zu erfahren“, sagt Kovacs.

Furcht und Hass vor Fremden

Der europapolitische Zweck des Referendum ist klar: „Orbán wird mit den Rückenwind der Unterstützung durch das Referendum darauf drängen, die europäischen Verträge mit dem Ziel zu verändern, dass für Fragen der Migration die Länder und nicht die EU verantwortlich sein soll“, sagt ein politischer Analyst in Budapest. Im vergangenen Jahr hatte die EU die Verteilung von rund 160.000 Flüchtlingen in Griechenland und Italien beschlossen.

Ungarn lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen ab. „Wir brauchen keine Menschen aus sicheren Ländern“, sagte Kovács in Anspielung auf die Flüchtlingssituation in Serbien, Mazedonien, Griechenland und den Rückstau von Tausenden überwiegend islamischer Flüchtlinge auf der geschlossenen Balkan-Route.

Orbán, der sich vom CSU-Ehrenvorsitzenden und früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gerne Ratschläge holt, stößt mit seinem Referendum im eigenen Land auch auf scharfe Kritik. „Migranten werden von der Regierung als Bedrohung der Sicherheit dargestellt. Die Botschaften der Plakate sind manipulativ“, sagt Marta Pardavi, Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee in Budapest dem Handelsblatt. „Die Regierung Orbán hat die Bürger von Furcht vor Fremden zum Hass gegen Fremde verführt“, sagt die Juristin.

Ungarns Schwächen

Der Ausgang des Referendums am Sonntag im Sinne Orbáns gilt aber als sicher, wenn nur das notwendige Quorum erreicht wird. Selbst Orbán-Kritiker räumen ein, dass rund zwei Drittel der Bürger die harte Grenzpolitik des Landes unterstützen. Ungarn gibt nach Regierungsangaben rund eine halbe Milliarde Euro für die verstärkte Sicherung seiner Grenzen aus.

Das Referendum am Sonntag hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Sollte Ungarn seinen Verpflichtungen aber nicht nachkommen, drohte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos indirekt bereits mit einem Vertragsverletzungsverfahren durch Brüssel. Er kann dabei auf die Unterstützung der EU-Länder Dänemark, Schweden und Finnland setzen, die kürzlich die Rücknahme von Flüchtlingen durch Ungarn verlangt hatten. Der CDU-Politiker Michael Stübgen, Vorsitzender der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe im Bundestag, hält es hingegen für falsch, Ungarn und andere osteuropäischen Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen.

Die umstrittenen Verfassungsänderungen

Trotz des Referendums will Orbán jedoch an einer Mitgliedschaft Ungarns in der EU unbedingt festhalten. Daran lässt der Ministerpräsident keinen Zweifel. „Wir sind nicht beigetreten, um auszutreten“, sagte der ungarische Premier zuletzt. „Wir glauben an die EU.“ Ungarn gehört der EU seit 2004 an und hat seitdem einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das Land profitiert stark von der deutschen Industrie, die mit Konzernen wie Audi, Daimler, Siemens und Bosch zu den größten Arbeitgebern in Ungarn zählen.

Statt die Flüchtlinge innerhalb der EU zu verteidigen, will Orbán die Migranten nach Nordafrika in großen Lagern schaffen. Der Ministerpräsident schlug die Einrichtung eines Flüchtlingslagers im Bürgerkriegsland Libyen für Millionen von Flüchtlingen vor. „Uns muss ein Küstenabschnitt zur Verfügung gestellt werden“, sagte der 53-Jährige. „Migration ist kein Menschenrecht.“ Orban fordert dafür ein Ende des Waffenembargos für die Regierung in der libyschen Hauptstadt Tripolis und einen verstärkten Kampf gegen den IS, um das nordafrikanische Land zu befrieden und somit die Voraussetzung für derartige Flüchtlingscamps zu schaffen.

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