Referendum im Irak Die Kurden haben abgestimmt - wie geht es weiter?

Kurdische Politiker, irakische Zentralregierung, Nachbarländer und Weltmächte – das Unabhängigkeitsreferendum berührt die Interessen vieler Parteien. Das Säbelrasseln hat schon begonnen. Es könnte zu Unruhen kommen.

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dpatopbilder - Kurden feiern am 25.09.2017, nach der Schließung der Wahllokale für eine Referendum für einen unabhängigen kurdischen Staat, auf einer Straße in Erbil (Irak). Foto: Oliver Weiken/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Erbil Die Kurden im Irak wollen mit dem jüngsten Referendum den Beginn einer friedlichen Abspaltung ihrer Region vom Rest des Landes einleiten. Sie hoffen, dass die Abstimmung vom Montag den ersten Schritt einer auf dem Verhandlungsweg erreichten Loslösung markiert. Durch das Votum könnten die Kurden aber auch auf eine Kollision mit der Zentralregierung in Bagdad und den Nachbarländern zusteuern.

Die Zentralregierung hat das Referendum schon lange vor seiner Durchführung abgelehnt. Ministerpräsident Haidar al-Abadi warnte vor „Folgemaßnahmen zum Schutz der Einheit des Landes“. Die Türkei und der Iran haben an ihren Grenzen zur irakischen Kurdenregion Militärübungen durchgeführt, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mit dem Einsatz seiner Truppen gedroht.

Das Referendum verlief friedlich, aber in den kommenden Tagen könnte es zunehmend zu Unruhen kommen, wenn die Kurden ihre Unabhängigkeitsbestrebungen forcieren. Diese werden von fast der gesamten internationalen Gemeinschaft abgelehnt, darunter auch dem engsten Verbündeten der Kurden, den USA.

Erste Auszählungsstände des Referendums wurden für Dienstag erwartet und das offizielle Ergebnis im weiteren Wochenverlauf. Wie geht es dann weiter?

Ein Weg zur Unabhängikeit oder zum Konflikt

Kurden-Vertreter sagen, ein „Ja“ werde eine Botschaft senden, die Bagdad nicht ignorieren könne und den Weg bereiten für Verhandlungen mit dem Ziel einer friedlichen Abspaltung. Vertreter der Zentralregierung machen das Gegenteil geltend – dass das Referendum beide Seiten auseinandertreibe und es noch schwerer mache, seit langem bestehende Konflikte zu lösen.

Die Regierung der Kurdenregion und Bagdad liegen seit langem über Kreuz wegen Gebieten, die von beiden beansprucht werden. Dazu zählt die ölreiche Stadt Kirkuk, die unter der Kontrolle kurdischer Streitkräfte steht, aber außerhalb von deren autonomer Region liegt. Regional- und Zentralregierung streiten auch über die Aufteilung der Öleinnahmen. Die Kurden exportieren den Rohstoff durch eine türkische Pipeline, was Bagdad missfällt.

Der Konflikt verlief bislang weitgehend friedlich, doch in den vergangenen Tagen haben beide Seiten angedroht, das Militär einzusetzen, um ihre Interessen zu schützen. In Kirkuk, dem Zentrum des Territorialstreits, verhängte der Gouverneur nach dem Referendum eine nächtliche Ausgangssperre.

Reaktionen aus der Region

Die Türkei und der Iran haben beide das Referendum verurteilt. Sie befürchten, es könne die großen kurdischen Minderheiten in diesen Ländern zu ähnlichen Schritten ermutigen.

Erdogan sagte am Montag, eine Unabhängigkeit der Kurden sei nicht akzeptabel und eine „Frage des Überlebens“ für sein Land. Mit Verweis auf die Übungen seines Militärs an der Grenze sagte er: „Wir könnten eines Nachts plötzlich ankommen.“

Die Türkei kann auf verschiedene Arten Druck auf die Kurden ausüben, ohne militärisch zu intervenieren. Die kurdischen Ölexporte fließen zu einem großen Teil durch türkische Pipelines, und die Türkei ist der wichtigste Handelspartner der Kurdenregion. Erdogan sagte: „Mal sehen, wo - und durch welche Kanäle - sie ihr Öl verkaufen werden. Wir haben das Ventil. In dem Moment, in dem wir das Ventil schließen, ist Schluss damit.“

Der Krieg gegen den IS

Bei einem bewaffneten Konflikt zwischen dem Irak und den Kurden würden sich zwei enge Verbündete der USA gegenüberstehen. Er würde vom Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ablenken.

Irakische und kurdische Streitkräfte vertrieben den IS im Juli nach aufreibenden neunmonatigen Gefechten aus der Stadt Mossul. Die Terrormiliz hat gleichwohl noch einige Gebiete im Irak unter ihrer Kontrolle, und sie hat schon mehrfach politische Vakuen ausgenutzt.

Massud Barsani, der Präsident der Kurdenregion, der das Referendum angeführt hat, versicherte vor der Abstimmung, dass die kurdischen und die irakischen Streitkräfte beim Kampf gegen Extremisten weiter zusammenarbeiten würden.

Politische Auswirkungen

Die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen werden wahrscheinlich Al-Abadi vor den für das nächste Jahr geplanten Wahlen schwächen. Er trat sein Amt 2014 mit dem Versprechen an, das Land zu einen.

Das Referendum könnte Hardliner wie den früheren Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki und vom Iran unterstützte Gruppen und Milizen stärken. Es wird weithin angenommen, dass Al-Maliki eine Rückkehr an die Macht anstrebt. Er ging bei seiner Verurteilung des Referendums weiter als Al-Abadi und nannte es eine „Kriegserklärung“.

Die große Mehrheit der Kurden ist prinzipiell für eine Unabhängigkeit. Doch viele waren gegen das Referendum und betrachten es als zynischen Plan Barsanis, sich an der Macht zu halten, nachdem seine Amtszeit 2015 endete. Als das Parlament diesen Monat zum ersten Mal seit zwei Jahren zusammentrat, boykottierten fast die Hälfte der Abgeordneten die Sitzung.

Barsani setzt darauf, dass das Referendum seine Stellung gegenüber seinen politischen Widersachern stärkt. Doch falls es zu einer Krise kommt, dürfte er die Hauptverantwortung tragen.

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