Referendum in Italien Opposition setzt auf den Wut-Faktor

Eigentlich geht es bei dem Referendum in Italien um eine Verfassungsreform. Doch die Opposition bläst es zur Volksabstimmung über Italiens Zukunft auf. Scheitert die Reform, dürfte das ganz Europa ins Chaos stürzen.

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Die Opposition setzt auf den Wut-Faktor – und bläst das Referendum zu einer Abstimmung über Renzis Zukunft auf. Quelle: dpa

Mit großen Hoffnungen und großen Versprechen hatte der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi vor drei Jahren sein Amt angetreten. Er wollte vieles anders machen in der italienischen Politik, das Land moderner und effektiver gestalten. Nun sieht es danach aus, als könnte der 41-jährige Regierungschef selbst bald ausgetauscht werden. Aus einem Referendum über eine geplante Verfassungsreform hat die Opposition eine Volksabstimmung über Renzi gemacht.

Sollte das „Nein“-Lager gewinnen, wird mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten gerechnet. Eigentlich geht es in dem Referendum um den Senat, der von 315 Sitzen auf 100 Sitze verkleinert werden soll. Außerdem sollen die Senatoren entscheidende Befugnisse - etwa Vertrauensabstimmungen – verlieren und nicht mehr vom Volk gewählt werden. Ziel der Reform ist es, die Gesetzgebung zu beschleunigen, denn bisher müssen beide Kammern des Parlaments je zwei Mal über einen Entwurf abstimmen.

Kritiker der Regierung sehen in der Volksabstimmung eine Gelegenheit, die regierende Elite abzustrafen. Sie setzen auf den Wut-Faktor, der in weiten Teilen Europas und auch in den USA die Politik mitbestimmt. „Folgt eurem Bauchgefühl“, forderte der Komiker Beppe Grillo vor mehreren tausend Anhängern seiner Fünf-Sterne-Bewegung. „Blickt ihnen ins Gesicht und stimmt mit Nein.“

„Tut nicht, was Beppe Grillo sagt“, konterte Renzi wenige Tage später. „Grillo sagt, ihr sollt nicht mit eurem Kopf, sondern mit eurem Bauch wählen. Das ist absurd. Ich sage, stimmt mit eurem Kopf. Die Zukunft eurer Kinder hängt davon ab.“

Für ein „Nein“ werben neben der Fünf-Sterne-Bewegung unter anderen einige Kommunisten in Renzis Demokratischer Partei und die rechtpopulistische Lega Nord. Sie führen an, die Reform höhle die Demokratie aus und stärke die Zentralregierung, weil ebenfalls vorgesehen ist, den Regionen Zuständigkeiten abzuerkennen und an Rom zu übertragen. Ein wichtiges Argument in einem Land, dessen Verfassung nach dem Ende der faschistischen Diktatur Benito Mussolinis geschrieben wurde.

Der Verfassungsrechtler Gino Scaccia sagt der Nachrichtenagentur AP, er mache sich Sorgen, dass die Wähler die Vorteile der Reform nicht erkennen und stattdessen für oder gegen die Regierung stimmen könnten.

Der Verfassung zufolge kann ein Referendum über ihre Änderung auf verschiedene Arten erreicht werden. So muss eine Volksabstimmung angesetzt werden, wenn mindestens ein Fünftel der Abgeordneten einer Parlamentskammer das fordern. So geschah es in diesem Fall unter Führung der Fünf-Sterne-Bewegung.

Selbstbewusst erklärte Renzi, er werde zurücktreten, wenn die Bürger sein Reformvorhaben ablehnten. Doch die Meinungsumfragen sehen eine Niederlage der Regierung voraus und Renzi bemüht sich nun, die Wähler davon zu überzeugen, dass es ja in dem Referendum nicht um ihn geht. „Steht auf dem Wahlzettel „Widerlicher Renzi“ oder „Lasst uns das Land verändern“?“, fragte der Regierungschef in einer Fernsehtalkrunde.


Ein „Nein“ würde die Märkte erschüttern

Beobachter gehen davon aus, dass ein „Nein“ der Italiener die Märkte oder die Europäische Union nicht erschüttern wird. Beide sind daran gewöhnt, dass italienische Koalitionsregierungen keine vollständige Amtszeit von fünf Jahren überstehen und im Streit auseinanderbrechen. „Italien zu regieren war schon immer eine schwierige Angelegenheit“, sagt Carsten Nickel von der Beratungsfirma Teneo Intelligence in Brüssel.

Was geschieht nun, wenn das „Nein“-Lager sich durchsetzt und Renzi zurücktritt? Seine Demokraten stellen die größte Fraktion im Parlament, er ist Parteivorsitzender. Es ist also gut möglich, dass Renzi erneut von Präsident Sergio Mattarella den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Danach würde wahrscheinlich ein neues Wahlgesetz ausgearbeitet werden.

Unter dem aktuellen Gesetz, das Renzis Regierung durchsetzte, erhält die Partei mit den meisten Stimmen zusätzliche Parlamentsmandate. Angesichts einiger Erfolge der Fünf-Sterne-Bewegung bei Bürgermeisterwahlen in diesem Jahr, darunter in Rom, fürchten die Demokraten und die konservative Forza Italia nun, dass am Ende Grillo von diesem Bonus profitiert. „Um die Ecke steht Grillo, nicht (der frühere Ministerpräsident Silvio) Berlusconi“, erklärt Senator Pier Ferdinando Casisi, ein ehemaliger Christdemokrat, der für ein „Ja“ zur Reform wirbt. Berlusconi hat angekündigt, die Verfassungsreform abzulehnen.

Wenn die Regierungskritiker sich am Sonntag durchsetzen, muss das neue Wahlrecht zurückgenommen werden. Als es ausgearbeitet wurde, waren Renzi und seine Verbündeten davon ausgegangen, dass die Verfassungsreform angenommen werden würde. Darum ist in dem Gesetz die Wahl eines neuen Senats nicht geregelt, sondern nur die der Abgeordnetenkammer.

Beppo Grillo kann laut Gesetz kein öffentliches Amt innehaben. Er wurde nach einem schweren Autounfall 1991 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Einer seiner Vertrauten könnte sich aber für die Fünf-Sterne-Bewegung um das Amt des Ministerpräsidenten bewerben.

Der Glanz der Bewegung strahlt allerdings nicht mehr ganz so hell wie zu Beginn. Die Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi, hat schon viel Kredit verspielt. Und in Sizilien sind Politiker der Bewegung in einen Skandal verwickelt. Schon werden Vorwürfe laut, die „Fünf Sterne“ seien auch nicht besser als die etablierten Politiker.

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