
Rom Erst sollte das Referendum im Oktober stattfinden, dann im November. Jetzt hat sich der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi endlich festgelegt: Die Italiener stimmen am Sonntag, 4. Dezember, über die Reform ihrer Verfassung ab.
Durch die Änderungen soll Italien politisch stabiler und leichter regierbar werden. Ziel ist es, langwierige Prozeduren bei politischen Entscheidungen zu vermeiden. Politikwissenschaftler halten die Verfassungsänderung nach der Reform des Arbeitsmarktes für die wichtigste aller Strukturreformen der Regierung Renzi.
Zweimal ist die Neuordnung schon durch beide Kammern des Parlaments gegangen, im April wurde sie – wie es das Gesetz verlangt – endgültig verabschiedet. Jetzt müssen die Italiener mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen: Wollen sie diese Änderung?
Den Stimmzettel hat Renzi schon vor Tagen auf Twitter veröffentlicht. Dort steht: „Stimmt ihr dem Text des Verfassungsgesetzes zu, in dem es um 'Maßnahmen zur Überwindung des Zweikammernsystems, die Reduzierung der Zahl der Abgeordneten, die Begrenzung der Kosten zur Verwaltung der Institutionen' … geht?“
Die Regierung trommelt seit Wochen für ein „Ja“ – auch wenn Renzi die Volksabstimmung inzwischen nicht mehr an seine politische Zukunft koppelt. Die Legislaturperiode endet erst im Jahr 2018, doch wenn die Ablehnung siegt, wäre das Land praktisch politisch gelähmt. „Das Referendum kann Italien endlich Stabilität geben”, sagte Renzi am Montag in einem Interview mit der Washington Post, „und es ist nicht über meine Karriere und meine Abdankung, sondern es geht um die Macht der Regionen, die Anzahl der Parlamentarier und die Reduzierung der Bürokratie in Italien.“
Industrieminister Carlo Caldenda pflichtet ihm bei. „Mehr noch als das Haushaltsgesetz ist das Referendum entscheidend, denn Italien braucht eine starke Governance, auch für Investitionen.“ „Die Abstimmung ist sehr wichtig“, sagt auch Verkehrsminister Graziano Delrio, fügt aber auch hinzu: „Es ist kein Referendum über die Regierung.“
Umfragen zufolge haben sich viele Italiener noch nicht entschieden. So sieht das Meinungsforschungsinstitut Ixè am Montag ein „Ja“ bei 35 bis 38 Prozent. Die Unentschlossenen kommen demnach auf 27 Prozent. Dazu kommt, dass die Details der Änderungen sehr komplex sind – viele Menschen kennen den Inhalt der Reform schlichtweg nicht gut genug.
Begrenzte Macht des Senats
Politiker der Regierungspartei Partito Democratico (PD) werben deshalb in landesweiten TV-Talkshows für Zustimmung. Die Opposition, allen voran Beppe Grillos „Movimento 5 Stelle“, geht auf Frontalkurs und verbindet ihre Ablehnung mit dem „Nein“ zur Regierung. Doch auch in den eigenen Reihen hat Renzi viele Gegner – obwohl die Parteilinie zum Referendum bereits vor Monaten abgesegnet und alle Reformen seit mehr als zwei Jahren diskutiert wurden.
Nehmen die Bürger die Reformen an, werden die Rechte der zweiten Kammer des Senats begrenzt. Der neue Senat soll künftig 95 Mitglieder umfassen und aus Regionalvertretern sowie Bürgermeistern von Großstädten bestehen. Dazu kommen zwei vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannte Senatoren und die ehemaligen Staatspräsidenten. Derzeit sitzen 315 Personen im Senat.
Der Senat wäre bei einem „Ja“ zur Verfassungsreform nur noch für eine begrenzte Gesetzeszahl zuständig: für Europafragen, Ethik-Fragen, den Minderheitenschutz, Referenden und Verfassungsänderungen. Für die Gesetzgebung auf allen anderen Ebenen wäre nur die Abgeordnetenkammer zuständig. Auch bei Vertrauensabstimmungen wäre der Senat nicht mehr wie heute gleichberechtigt zuständig.
„Gewinnt das 'Nein', werden wir weiterhin für viele Jahre in dem jetzigen politischen System leben, das durch Instabilität der Regierungen geprägt ist“, meint Luciano Violante, PD-Politiker und ehemaliger Präsident der Abgeordnetenkammer und Verfassungsexperte. „Wir hatten zwölf Regierungen in den vergangenen 20 Jahren und zu wenig Kontrolle der Regierungspolitik durch das Parlament.“ Außerdem gehe es auch um eine Wiederannäherung der Bürger an die Politik – ein großes Thema im politikverdrossenen Italien.
Mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung sagt Giovanni Rossi, Generaldirektor der Notenbank Banca d’Italia: „Aus dem Blickwinkel der Effizienz der Entscheidungsprozesse der Wirtschaftspolitik besteht kein Zweifel, dass das perfekte Zweikammersystem all’italiana korrigiert werden muss.“ Es sei kein Zufall, dass die internationale Gemeinschaft davon überzeugt ist, dass es hier um „die Mutter aller Strukturreformen“ für Italien gehe, sagt er in einem Interview mit Firstonline.