Die EU-Kommission will den Euro-Rettungsfonds unter ihre Kontrolle bringen. Das geht aus einem Verordnungsentwurf der Brüsseler Behörde hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. Die „Strukturen für die Bereitstellung finanzieller Unterstützung“ für Euro-Staaten seien „in der Hand einer Institution der (Europäischen) Union am besten platziert“, heißt es in dem Entwurf. Die Kommission legt ihn heute zusammen mit weiteren Vorschlägen zur Reform der Währungsunion vor.
Der 2012 auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise gegründete Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) hat bislang nichts mit der EU-Kommission zu tun. Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone gründeten den in Luxemburg ansässigen Fonds unabhängig von der EU und ihren Institutionen. Der mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro ausgestattete ESM wird von den Finanzministern der Euro-Zone verwaltet und von den nationalen Parlamenten der Euro-Staaten überwacht. Die EU-Kommission und das Europaparlament haben beim ESM nichts zu sagen.
Das will die EU-Kommission jetzt ändern. Die „Koexistenz von EU Institutionen und einem ständigen zwischenstaatlichen Mechanismus wie dem ESM“ würden zu einer Struktur führen, die „nicht ausbalanciert“ sei, heißt in dem Gesetzentwurf der Kommission. Eine zwischenstaatliche Institution agiere zu schwerfällig, weil Entscheidungen etwa über die Auszahlung von Kredittranchen von allen Mitgliedstaaten in langwierigen Prozeduren gebilligt werden müssten. Entscheidungen des ESM seien auch zu intransparent und nicht ausreichend demokratisch legitimiert.
Die Kommission will den bisher unabhängig von der EU agierenden ESM deshalb in eine EU-Institution umwandeln. Sie glaubt, dass dies im Rahmen des geltenden EU-Vertrags von Lissabon möglich ist. Als Rechtsgrundlage führt sie Artikel 352 an. Er erlaubt „ein Tätigwerden der Union“, wenn „in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind“. In dem Fall kann der EU-Ministerrat auf Vorschlag der Kommission und mit Zustimmung des Parlaments einstimmig ein neues EU-Gesetz beschließen.
Dazu wird es in diesem Fall allerdings kaum kommen. Die Kommission legt heute zwar ihren Vorschlag vor. Dass die EU-Staaten diesen Vorschlag einstimmig billigen, ist jedoch nicht zu erwarten. Denn die meisten Euro-Staaten – allen voran Deutschland – halten nichts davon, den Euro-Rettungsfonds ESM unter die Aufsicht der EU-Kommission zu stellen. Sie wollen den Fonds weiter alleine kontrollieren.
Neue Finanzhilfe für Krisenstaaten
Auch andere Elemente des Gesetzentwurfs der Kommission dürften in Berlin auf wenig Gegenliebe stoßen. Zwar sind sich im Prinzip alle einig darüber, dass der ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) aufgewertet und mit neuen Befugnissen ausgestattet werden soll. Dabei schweben der Kommission allerdings ganz andere, teils viel weitergehende Kompetenzen für den neuen EWF vor als der Bundesregierung.
So schlägt die Kommission vor, dass der Fonds notleidende Banken direkt künftig rekapitalisiert kann. Entsprechende Vorstöße aus Südeuropa hat Deutschland bisher erfolgreich abgeblockt. Wenn das Bankensystem eines Euro-Staates in Schwierigkeiten kommt, muss die jeweilige Regierung beim ESM einen Kredit aufnehmen und auch zurückzahlen. Banken können derzeit direkt beim ESM kein Geld aufnehmen.
Die Kommission schlägt in ihrem Entwurf außerdem eine „Stabilisierungsfunktion“ im neuen EWF vor. Hinter dem kryptischen Begriff verbergen sich Finanzhilfen für Euro-Staaten, die in eine schwere Wirtschaftskrise geraten. Der neue EWF soll wankenden Euro-Staaten oder ihren Banken also deutlich großzügiger helfen können als bisher. Dafür will die Kommission sogar die Ausleihkapazität des EWF erhöhen.
Weniger strittig ist der Vorschlag der Kommission, beim ESM eine Kreditlinie für den Bankenabwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) der Euro-Zone zu schaffen. In der Eurogruppe wird darüber auch schon länger diskutiert: Der SRF soll darauf zurückgreifen können, wenn seine Mittel im Falle einer schweren Bankenkrise in der Eurozone nicht ausreichen.
Insgesamt gesehen dürfte der Gesetzentwurf der Kommission vor allem im Norden der Euro-Zone Kopfschütteln auslösen. Deutschland, Finnland, die Niederlande und die baltischen Staaten gehen mit dem ESM und künftigen EWF ein beträchtliches finanzielles Risiko für ihre Steuerzahler ein. Schon allein deshalb wollen hier keine Einmischung der EU-Kommission dulden.