Regierung will Zentralbank anzapfen Modern Money Theory auf türkisch

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Quelle: dpa

Am Beispiel der Türkei lässt sich gut erkennen, was eine Regierung dazu verleitet, die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage zu stellen: Die Türkei will auf deren Milliarden-Reserven zugreifen, um den Etat zu stopfen.

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Die Modern Money Theory, kurz MMT, ist im Kommen. Das bestätigte vergangene Woche Investment-Legende und Gründer des Bridgewater-Hedgefonds, Ray Dalio. Man müsse das nicht gut finden, aber Fakt sei nun mal, dass die Politik bei einer erneuten Rezession keine Mittel mehr besäße, um die Konjunktur zu stimulieren. Historisch belegt sei es, so Dalio, dass in solchen Fällen Zentralbank und Politik stärker zusammenarbeiten. Sprich: Die Zentralbank tut, was die Regierung will.

So gesehen ist die Türkei finanzpolitisch schon in der Zukunft angekommen. Weil der Regierung das Geld ausgeht, will sie sich bei der Zentralbank bedienen. Rund 40 Milliarden türkische Lira, zur Zeit rund sechs Milliarden Euro, die eigentlich eine Art eiserne Reserve der Zentralbank sind, sollen hinüber zum Haushaltsetat der Regierung wandern. Der ist durch die Wirtschaftskrise stark strapaziert: Im ersten Quartal wies er nach Angaben des Finanzministeriums ein Defizit von 36,2 Milliarden Lira aus, das bis Jahresende auf 80,6 Milliarden Lira steigen soll. Durmuş Yılmaz, der ehemalige Chef der türkischen Zentralbank, sagte daraufhin der Nachrichten-Website T24: „Dieses System löst keine wirtschaftlichen Probleme, es ist das Problem“. Die Unabhängigkeit der Zentralbank sei bereits schwer angeschlagen und eine solche Transaktion mache es noch schlimmer.

Der Grund für das Defizit ist eine kränkelnde Wirtschaft und eine erneute Lira-Schwäche. Nicht alles davon ist hausgemacht, das muss man immer wieder betonen. Die Türkei hat wie alle Schwellenländer im Moment Probleme wegen der steigenden Zinsen in den USA und einer angegriffenen Weltkonjunktur aufgrund des Handelsstreits der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, die USA und China. Und der argentinische Peso steht weitaus schlimmer da.

Die türkische Politik aber trägt jedesmal ihren Anteil dazu bei, die Lage noch etwas schlimmer zu machen: Am Montag vor einer Woche verkündete die oberste Wahlkommission, die Bürgermeisterwahl in Istanbul wegen Unregelmäßigkeiten wiederholen zu lassen. Istanbul ist nicht nur die mit 16 Millionen Einwohnern größte Stadt des Landes, der Großraum erwirtschaftet auch rund 40 Prozent des türkischen BIP. Die Wahl am 31. März gewann der Kandidat der Opposition, Ekrem Imamoglu. Zum ersten Mal seit 25 Jahren fiel damit die Stadt in die Hände der CHP. Dass die Regierungspartei AKP Druck auf die Wahlkommission ausübte, die Wahl für ungültig erklären zu lassen, ist offensichtlich. Denn zu „Unregelmäßigkeiten“ war es bisher bei jeder Wahl der vergangenen Jahre gekommen. So lange die AKP gewann, wurde nichts wiederholt.

Ausländischen Investoren aber gab die Entscheidung der Wahlkommission den Rest: Selbst den größten Türkei-Optimisten ist mittlerweile klar, dass dies mit Demokratie nicht mehr viel zu tun hat. Die türkische Lira stürzte nach Bekanntgabe der Entscheidung knapp zehn Prozent ab. Seitdem versucht die Zentralbank verzweifelt, die Währung zu stützen. Ihre Reserven sind mittlerweile auf 14 Milliarden Dollar gefallen (Swaps nicht mitgerechnet). Mit wenig Erfolg: Für einen Dollar erhält man im Moment sechs türkische Lira, für einen Euro fast sieben. Auch die türkische Börse fiel. Mit rund 90.000 Punkten notiert der türkische Leitindex um rund 15 Prozent tiefer als noch im März.

Das birgt große Probleme für die Wirtschaft: Türkische Unternehmen sind mit rund 300 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet. Mit einer sinkenden Lira steigt deren Zinslast. Insolvenzen drohen und steigende Importpreise heizen die Inflation an. Mit den steigenden Insolvenzen aber erhöht sich die Zahl fauler Kredite bei den türkischen Banken, die ihre Rückstellungen erhöhen müssen. Laut eines Reports von Goldman Sachs gelten vor allem die türkischen Banken Yapi Kredi und Is Bank als angeschlagen, da sie kaum mehr über Devisenreserven verfügen. Als kritisch gilt laut Goldman Sachs die Marke von 6,3 Lira zum Dollar.

Finanzminister Berat Albayrak sagte zwar am Montag: „Das Licht am Ende des Tunnels ist bereits erkennbar“. Doch da scheint er der einzige zu sein. Momentan liegt die Rate fauler Kredite bei 4,1 Prozent. Der Wert könnte schnell steigen, sollte die Lira weiter fallen. Neues Ungemach zeichnet sich schon ab. Die USA haben mit Sanktionen gedroht, sollte Ankara tatsächlich das russische Raketenabwehrsystem S-400 kaufen. Die Türkei aber will von ihren Plänen nicht abrücken. Die Zentralbank könnte ihre Reserven also bald dringend benötigen. Immerhin – für leichte Entspannung sorgte am Dienstag die Nachricht, Erdogan wolle den Deal etwas verschieben.

Die türkische Regierung befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits braucht sie eine stabile Lira, um weitere Insolvenzen zu verhindern, andererseits versucht sie mittels künstlich niedriger Zinsen, die Wirtschaft zu stimulieren – was wiederum die Währung schwächt. Erst Ende April führte sie angeschlagenen Banken 3,7 Milliarden Dollar zu, damit der Kredithahn offen bleibt. Ein Dilemma, aus dem herauszukommen nicht einfach ist. Da ist es verlockend, die Zentralbank dahingehend zu beeinflussen, ihre Aufgabe der Währungsstabilität vorübergehend aufzugeben. Doch dass dieses Spiel am Ende aufgeht, ist unwahrscheinlich.

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