Regierungsaufgaben Das sind die sieben Baustellen Italiens

Nach den Parlamentswahlen sucht Italien eine Regierung. Dabei drohen wichtige Reformvorhaben zu versanden. Ein Überblick über die drängendsten Probleme.

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Gerade in Süditalien gibt es viele Jugendliche, die weder arbeiten noch zur Schule gehen. Quelle: dpa

Rom Einen Monat nach der Parlamentswahl in Italien hat Staatspräsident Sergio Mattarella Konsultationen für eine schwierige Regierungsbildung aufgenommen. An diesem Donnerstag kommen die Vertreter der größeren Parteien in den Quirinalspalast.

Aus der Wahl am 4. März ging die Fünf-Sterne-Bewegung von Parteichef Luigi Di Maio als stärkste Einzelpartei hervor. Aber die Allianz aus einem Rechtsbündnis um den Chef der ausländerfeindlichen Lega, Matteo Salvini, und Silvio Berlusconis Forza Italia bekam die meisten Stimmen. Allerdings können beide Lager nicht allein regieren. Der Präsident hat nun die schwierige Aufgabe, einen Politiker mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Wer das sein könnte, ist unklar.

So wird Italien wohl noch lange ohne Regierung sein. Finden die beiden populistischen Siegerparteien Fünf Sterne und Lega keine Koalitionsmöglichkeit, sind Neuwahlen im Herbst nicht auszuschließen. So vergeht aber kostbare Zeit, in der das Land in der noch anhaltenden Phase eines schwachen, aber stetigen Aufschwungs große und vor allem selbstgemachte Probleme angehen könnte. Hier die sieben wichtigsten Baustellen Italiens:

Staatsfinanzen

Jedes Jahr im April muss das Parlament in Rom über das Dokument zur mittelfristigen Finanzplanung abstimmen und dieses sogenannte DEF dann nach Brüssel übermitteln. Es dient als Grundlage für den Haushalt, der dann nach der Sommerpause beraten wird.

Was passiert 2018? Die amtierende Übergangsregierung von Paolo Gentiloni wird das Dokument erstellen, aber es wird keine politischen Entscheidungen oder Maßnahmen enthalten, sondern nur die Berechnungen, die schon im September veröffentlicht wurden.

Das muss die neue Regierung machen. Schlecht steht es nicht um die öffentlichen Finanzen: Von der Regierung über die EU-Kommission bis zum Internationalen Währungsfonds und der OSZE haben alle die Wachstumsprognosen für Italien nach oben korrigiert. Sie rechnen mit einem Plus von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für dieses und zwischen 1,1 und 1,2 Prozent für nächstes Jahr. Selbst beim Stress-Thema Staatsverschuldung gibt es Licht am Ende des Tunnels. Diese ist mit 131,5 Prozent des BIP noch immer exorbitant hoch, steigt aber wenigstens nicht mehr. Seit 2017 sinke sie substanziell, sagt der noch amtierende Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan.

Das Problem: Die Wahlsieger haben kostenintensive Versprechungen gemacht, die finanziert werden müssen. Sie wollen ein Grundeinkommen einführen oder eine sogenannte „Flat Tax“. Außerdem wollen Fünf Sterne und auch die Lega eine bereits eingepreiste Erhöhung der Mehrwertsteuer zurücknehmen – auch das kostet Geld. Aus Brüssel heißt es, man sei nicht bereit, Italien noch mal Flexibilität für den Haushalt einzuräumen. Lega-Chef Matteo Salvini dagegen tönt, dass es kein Problem sei, die Defizitgrenzen in Europa zu einzureißen. Und auch die Fünf Sterne wollen den Stabilitätspakt neu verhandeln. 

        

Fluggesellschaft Alitalia

Seit fast einem Jahr ist die italienische Fluggesellschaft Alitalia in Konkurs. Seitdem verwalten drei von der Regierung eingesetzte Kommissare das Unternehmen. Die Regierung in Rom hat nach der Pleite im Mai 2017 einen Überbrückungskredit in Höhe von 600 Millionen Euro gebilligt, der inzwischen bis Ende September 2018 verlängert und um weitere 300 Millionen Euro aufgestockt wurde.

Ende April nun endet die Bieterfrist, dann sollen Kaufverhandlungen aufgenommen werden. Neben der Lufthansa, die allerdings nur ein personell abgespecktes Unternehmen übernehmen will, sind Easyjet, Delta Air Lines, Wizz Air und der US-Investor Cerberus im Spiel, seit Kurzem auch wieder Air France.

Das Problem: Ohne eine Regierung in Rom halten sich die Übernahmekandidaten zurück. Nun kommen auch noch neue Töne von den Wahlsiegern: „Wir werden alles dafür tun, dass ein Flaggschiffunternehmen wie Alitalia nicht an irgendeinen multinationalen Konzern oder ein ausländisches Unternehmen ausverkauft wird“, sagte Lega-Chef Salvini. Bis dahin wird die Übergangsregierung vermutlich die Angebotsfrist um mindestens sechs Monate verlängern – Problemlösung auf italienisch.   

Industriepolitik

Die Unternehmer erwarten, dass der Reformkurs weitergeht, den die Regierung Renzi eingeschlagen hatte. Dieser ist jedoch auf halbem Weg steckengeblieben. „Wir hoffen, dass die nächste Regierung da weitermacht und haben Sorgen, dass Zusagen wie ein Absenken der Steuern für Unternehmen und Investitionen in Infrastruktur nicht realisiert werden,“ sagt Vincenzo Boccia, Präsident des Unternehmerverbands Confindustria.

Es müsse die Priorität der nächsten Regierung sein, die Reformen nicht zu demontieren. Denn die hätten positive Effekte auf die Realwirtschaft gehabt.

Das Problem: Ändert die Regierung den Kurs oder braucht zu lange, um die versprochenen Maßnahmen umzusetzen, sind der positive Trend beim Export und das zögerliche Wachstum gefährdet.

Arbeitsmarkt

Zu den Lichtblicken der vergangenen zwei Jahre gehörte der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Im Februar ist die Arbeitslosenrate von 11,1 auf 10,8 gefallen. Italien liegt damit zwar in Europa noch am unteren Ende, nähert sich aber dem Europa-Durchschnitt von 8,6 Prozent an. Vor allem die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit ist von 40,1 Prozent Anfang 2017 auf 31,5 Prozent Anfang dieses Jahres zurückgegangen. Den Erfolg kann die technokratische Regierung von Mario Monti verbuchen. Sie hatte das starre System des eisernen Kündigungsschutzes aufgebrochen, der Jugendlichen den Eintritt in den Arbeitsmarkt mit einer festen Stelle praktisch unmöglich gemacht hat. Matteo Renzi legte mit dem „Jobs Act“ nach, der sich nun positiv in der Statistik niederschlägt.

Das Problem: Die beiden Siegerparteien stimmen bei allen programmatischen Unterschieden in einem überein. Sie wollen genau diese Gesetze abschaffen oder verwässern.  

Banken

Schwer zu verkraften war für Italien die Bankenkrise von 2016. An der Mailänder Börse wurden Werte in Millionenhöhe vernichtet. Besonders im Focus steht bis heute die älteste Bank der Welt, Monte dei Paschi aus Siena. Nach einem monatelangen Armdrücken mit der EU-Kommission wurde dem italienischen Staat 2017 zugestanden, die Bank mithilfe einer „vorsorglichen Rekapitalisierung“ zu retten. Seitdem ist das Wirtschafts- und Finanzministerium der größte Aktionär in Siena.

Das Problem: Kann die neue Regierung so lange warten, bis die Bank wieder profitabel ist? Wie auch bei den anderen Instituten lastet eine hohe Zahl fauler Kredite auf den Bilanzen. Sie werden zwar stetig abgebaut. Aber es dauert zu lange, wie selbst Bankmanager beklagen. Schon allein die Rettung von zwei Regionalbanken im Veneto, kurz vor der Rettung der Bank in Siena, laste mit 4,7 Milliarden Euro auf dem Defizit und mit 11,2 Milliarden auf der Staatsverschuldung, teilte Eurostat am Dienstag mit.

Dazu kommt ein weiteres Problem: noch hat die Europäische Zentralbank ihr Ankaufprogramm nicht beendet, von dem Italien profitieren konnte. Doch ein Ende dieser Politik ist absehbar. Fällt diese Entscheidung in die Phase der politischen Instabilität, kann Italien schnell wieder zum finanzpolitischen Wackelkandidaten der EU werden.  

Schere zwischen Arm und Reich

Das Wahlergebnis hat Italien in zwei Teile geschnitten: Der Norden hat Lega gewählt, der Süden fünf Sterne. Die ehemals „rote“ Mitte – Toskana, Latium und die Marche – zählt nicht mehr. Jede der beiden Parteien hat ihre Klientel mit ihren speziellen Wünschen. Der reiche Norden will weniger Steuern zahlen.

Der besonders unter der hohen Jungendarbeitslosigkeit leidende Süden hofft auf das von den Fünf Sternen versprochene Grundeinkommen. Sizilien, Kampanien, die Basilicata und Apulien fühlen sich abgehängt und von Rom vergessen, und das, obwohl das Bruttoinlandsprodukt 2017 im Süden stärker gewachsen ist als im Norden. Das zweigeteilte Land zeigt auch den wachenden Kontrast von arm und reich.

Hinzu kommt: die verlorene Jugend. Die Geburtenrate sinkt dramatisch und viele junge Italiener gehen fort. Der Ökonom Gianfranco Viesti kritisiert: „Es gibt im Süden 1,8 Millionen Jugendliche zwischen 15 und 34 Jahren, die weder in die Schule gehen, noch studieren oder arbeiten. Das ist ein Drittel der Bevölkerung in diesem Alter. Was soll aus denen werden?“ Den Erfolg der Fünf Sterne im Süden erklärt er damit, dass sie „das Unbehagen katalysieren“.

Keine große Rolle spielt im Moment das Thema Migration. Der Umgang mit Asylbewerbern und die Rückführung von Wirtschaftsflüchtlingen wird aber mit Sicherheit Thema eines Koalitionsvertrags werden. Vor allem die rechtspopulistische Lega hat im Wahlkampf gegen Überfremdung polarisiert, und wird ihren Kurs einbringen wollen, wenn sie regiert.

Das Problem: Der Wahlsieg der rechtspopulistischen Parteien zeigt, dass viel sozialer Sprengstoff vorhanden ist. Niemand kann einschätzen, was passiert, wenn Fünf-Sterne-Parteichef Luigi Di Maio seine Zusagen wie etwa das Grundeinkommen nicht einhält. 

Europa

Italien ist ein Gründungsland der EU, die drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone, einer der größten Nettozahler in den EU-Haushalt. Egal wer regiert, es wurde immer das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa betont. Groß waren die Hoffnungen in Italien, bei der vom französischen Präsidenten Macron angestoßenen Neuordnung Europas neben Frankreich und Deutschland wieder eine gewichtige Rolle einzunehmen. Zumindest bis zum jetzigen Wahlsieg der Populisten.

Im Wahlkampf bestimmten auch europafeindliche Töne die Stimmung. Die Bewegung fünf Sterne wollte per Referendum über einen Austritt aus dem Euro abstimmen – was nach der Verfassung gar nicht möglich ist. Die Lega kündigte an, mit „denen in Brüssel“ ein Wörtchen über den Stabilitätspakt zu reden. Denn die Einhaltung der Kriterien halte man nicht für verpflichtend. Im Europaparlament sitzt die Lega in der ENF-Fraktion der Rechtspopulisten zusammen mit Marine Le Pens Front National und der österreichischen FPÖ.

Über alle Parteigrenzen hinweg herrscht in Italien aber Konsens, dass die EU das Land nicht allein lassen darf mit der Bewältigung des Flüchtlingsansturms über das Mittelmeer. Bei jedem EU-Gipfel kommt das Thema auf den Tisch. Gefordert wird eine Revision des Dublin-Abkommens, das vorsieht, dass der Staat ein Asylverfahren durchführen muss, in dem die Flüchtlinge erstmals EU-Land betreten. 

Das Problem: Wird Salvini Premier, verheißt das nichts Gutes für die Europawahl im nächsten Jahr. Seit der Wahl in Italien sind die Töne zwar konzilianter geworden und vom Euro-Austritt ist auch keine Rede mehr. Doch Europafreundlichkeit klingt anders.

Aufhorchen lässt auch eine Äußerung von Salvini, die er an den Ostertagen machte: mit ihm an der Regierung werde es ein schnelles Ende der „absurden“ Russland-Sanktionen geben, die „der italienischen Wirtschaft einen unzählbaren Schaden hinzufügen würden.“  Damit geht er in einen offenen Widerspruch zur EU, die gerade erst die seit 2014 wegen der russischen Annexion der ukrainischen Krim geltenden Sanktionen um weitere sechs Monate verlängert hat.

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