Regierungsbildung in Spanien Sozialisten-Chef Sánchez tritt zurück

Der Chef der spanischen Sozialisten, Pedro Sánchez, tritt nach einem monatelangen Streit um die Regierungsbildung zurück. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Spanien bis Ende Oktober eine neue Regierung bekommt.

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Der Sozialistenführer war ein entschiedener Gegner einer Koalition mit der konservativen PP. Nun ist er zurückgetreten. Quelle: AP

Madrid Nach einem dramatischen Streit um die Position der Sozialisten bei der Bildung einer neuen Regierung ist am Samstagabend ihr Chef Pedro Sánchez zurück getreten. Sánchez hatte große Teile der Partei gegen sich aufgebracht, weil er sich vehement geweigert hatte, eine Minderheitsregierung des geschäftsführenden konservativen Premiers Mariano Rajoy zu ermöglichen.

Es spricht einiges dafür, dass die Sozialisten sich nach seinem Rücktritt nun doch bei einer Abstimmung über eine Regierung von Rajoy enthalten und damit nach neun Monaten politischen Vakuums eine neue Regierung ermöglichen. Bislang hat sich allerdings noch niemand in der Partei klar dafür ausgesprochen. Die Frage wird voraussichtlich am kommenden Samstag entschieden, wenn sich die Parteiführung der PSOE erneut trifft.

Sánchez ist aber nicht nur wegen der Regierungsbildung unter Druck geraten. Unter seiner Führung haben die Sozialisten in den drei vergangenen Wahlen die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte erzielt: Zuerst stürzten sie bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember ab und verloren zahlreiche Stimmen an ihren neuen Gegner, die linkspopulistische Partei Podemos. Sie war neben den liberalen Ciudadanos eine der zwei neuen Parteien, die mit Macht in das Parament einzogen und die jahrzehntelange Zweiparteienherrschaft der PSOE und der konservativen Partido Popular (PP) beendeten. Da sich die Parteien nicht auf eine Regierung einigen konnten, fanden im Juni Neuwahlen statt, bei denen die PSOE weiter verlor.

Die internen Spannungen in der sozialistischen Partei erreichten ihren Höhepunkt, als die PSOE bei den Regionalwahlen in Galicien und dem Baskenland am vergangenen Wochenende erneut auf ein historisches Tief rutschte und sogar schlechter abschnitt als Podemos. Rajoys PP gewann dagegen bereits bei den Neuwahlen im Juni Stimmen zurück, die sie im Dezember verloren hatte. In Galicien verteidigte sie sogar ihre absolute Mehrheit.

Bei den Sozialisten geht deshalb die Angst um, dass sie bei dritten Wahlen noch weiter geschwächt und Rajoy abermals gestärkt werden könnte. Bis Ende Oktober haben die Parteien noch Zeit, sich zu einigen, sonst finden im Dezember dritte Wahlen statt.

Sánchez blieb auch nach dem verheerenden Ergebnis in Galicien und dem Baskenland bei seinem Nein zu Rajoy. Er wollte stattdessen eine alternative Regierung bilden – mit Podemos und kleineren nationalistischen Parteien. Doch auch damit hat er viel interne Kritik auf sich gezogen. Große Teile der PSOE wollen weder mit Podemos noch mit den Nationalisten verhandeln.


„Nein ist nein“

Aus Protest gegen Sánchez war diese Woche deshalb die Hälfte des Parteivorstands zurück getreten. Damit wollten sie verhindern, dass er die Parteibasis über einen neuen Vorsitzenden abstimmen lässt. Sánchez wollte sich wiederwählen und von der Basis legitimieren lassen, um so seine Kritiker zum Schweigen bringen, ähnlich wie es Jeremy Corbyn in Großbritannien getan hat.

Doch am Samstag sprach sich die Mehrheit der PSOE-Führung gegen diese Urabstimmung aus. Vor der Parteizentrale der PSOE spielten sich währenddessen dramatische Szenen ab. Sánchez-Anhänger versammelten sich und beschimpften seine Kritiker als Putschisten und Faschisten. Die Stimmung war so aufgeheizt, dass die Polizei den Eingang zur Parteizentrale sichern musste. „Nein ist nein“ skandierten die Demonstranten mit Blick auf die Ablehnung einer Rajoy-Regierung: Sánchez’ Fundamental-Opposition gegen den geschäftsführenden Premier kommt bei vielen Wählern gut an. Deshalb sind für die Partei die Probleme mit dem Rücktritt ihres Chefs noch lange nicht gelöst.

Ob und wie schnell der Rücktritt zu einem Ende der Blockade führen kann, war zunächst ungewiss. Nach 16-stündigen Debatten wählte das Komitee am frühen Sonntagmorgen einen Interimsvorstand unter Leitung des Regierungschefs der Region Asturien, Javier Fernández, der einen Parteitag einberufen soll.

Die Partei wird nun in den kommenden Wochen einen neuen Generalsekretär wählen. Es wäre aus ihrer Sicht politischer Selbstmord, es in diesem verfahrenden Zustand auf dritte Wahlen ankommen zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Land in wenigen Wochen eine neue konservative Regierung haben wird, sind deshalb gestern Abend gestiegen.

Das gilt allerdings nur unter der Annahme, dass Rajoy trotz des sozialistischen Chaos‘ dabei bleibt, jetzt eine Minderheitsregierung bilden zu wollen. Für ihn ist die Versuchung größer denn je, es auf dritte Wahlen ankommen zu lassen.

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