„Was definitiv gelungen ist: in relativ kurzer Zeit Wohnraum für Millionen von Menschen zu schaffen“, sagt Werner Breitung. Der aus Deutschland stammende Professor für Stadtentwicklung an der Xi’an Jiaotong-Liverpool University in Suzhou forscht seit fast 20 Jahren im Perlflussdelta.
Anders als in Indien oder Afrika leben die neuen Stadtbewohner nicht in Slums. Denn erst war die Nachfrage nach Arbeit da, dann zogen die Menschen in die Städte – nicht umgekehrt. Lange sei es gesellschaftlicher Konsens gewesen, Umwelt und Gesundheit auf Kosten von Wachstum und Entwicklung zurückzustellen, sagt Breitung. Jetzt würden die Umweltprobleme dringlicher: „Das wird die Region in den nächsten Jahren beschäftigen.“
Links und rechts erheben sich anfangs noch die Hochhäuser von Guangzhou. Erst nach zehn Minuten Fahrt ändert sich das Bild: Die Häuser werden niedriger und spärlicher. Palmen und Bananenstauden tauchen auf. Nathan stammt eigentlich aus Yinchuan, der Hauptstadt der Provinz Ningxia. Das liegt 2.500 Kilometer nordwestlich von seinem jetzigen Wohnort.
Guangzhou, das 2.000 Jahre alte Kanton, ist Hauptstadt der Provinz Guangdong und so etwas wie der Kopf der Region. „In China schlägt das Herz der Weltwirtschaft, und im Perlflussdelta ist das Wirtschaftszentrum Chinas“, schwärmt Levent Akdeniz. Der 40-jährige Türke gestaltet mit seiner Firma Delvento Home in Guangzhou Hotels und Restaurants. Tische und andere Möbelstücke lässt er flussabwärts in den Fabriken von Dongguan produzieren.
Die Region ist als Werkbank der Welt bekannt. Noch immer stammen 30 Prozent der chinesischen Exporte aus der Provinz. Doch durch die Weltwirtschaftskrise und das Umlenken der Staatsführung hin zu mehr Binnenkonsum wandelt sich die Wirtschaftsstruktur. Viele der Tausenden Textilfabrikanten, für die Billigarbeiter Turnschuhe und T-Shirts nähten, sind in billigere Länder wie Vietnam abgewandert.
Die elf Städte haben sich spezialisiert. Shenzhen ist Sitz großer Elektronikkonzerne wie Huawei, ZTE und auch TCL, Nathan Zhangs Arbeitgeber. Hongkong ist Asiens Finanzzentrum. In Huizhou werden Elektronikteile gefertigt. Volkswagen produziert in Foshan jährlich 300.000 Autos. In den Casinos von Macao wird heute siebenmal mehr Geld umgesetzt als in Las Vegas. Zhuhai, bei Macao gelegen, soll Rentnerparadies für reiche Hongkonger werden.
„Der Erfolg der Region beruht auf diesem Clusterprinzip“, sagt Stefan Kracht vom Hongkonger Büro der Unternehmensberatung Fiducia. „Mittlerweile sind so dichte Netzwerke entstanden, die Sie so nirgendwo anders auf der Welt finden.“
Im kommenden Jahrzehnt soll sich die Wirtschaftsleistung der Region verdoppeln und mit rund 2.000 Milliarden Euro etwa der Frankreichs entsprechen. „Die Lohnkosten sind zuletzt zwar stark gestiegen, doch die kurzen Lieferketten und die gute Verkehrsinfrastruktur kompensieren das“, erläutert Oliver Regner von der deutschen Auslandshandelskammer in Guangzhou.