Trotzdem will Liu die Stadt weiter verändern. Heute belegen Personen- und Güterverkehr fast die Hälfte der Fläche. Mit ihrem Büro hat die Architektin ein Konzept entwickelt, den Großteil des Güterverkehrs unter die Erde zu verlagern. Die frei werdenden Flächen könnten die Bewohner nutzen. Noch aber scheitere der Umbau zur menschenzentrierten Stadt am fehlenden Willen der Politiker. Die Architektin ist frustriert: „Nachhaltigkeit hat kaum einer im Blick“, sagt sie.
Das gilt auch für die Masse der Hochhäuser. Deren Lebensdauer liege bei gerade einmal 20 Jahren, warnen Fachleute. Was das für die Wohnungsbesitzer bedeutet, ist vollkommen offen. „Vielleicht muss alles abgerissen und neu gebaut werden“, sagt Liu.
Schon jetzt ist klar, dass der Billigbau enorm ins Geld geht: Chinesische Gebäude verbrauchen zwei- bis dreimal so viel Energie wie westliche. Mehr als ein Drittel des Energieverbrauchs in China, so eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, verursachten Gebäude.
Die Regierung will nun mit einem Zertifizierungssystem nachhaltige Häuser fördern. Bisher aber entsprechen dem Nachhaltigkeitsstandard erst vier Prozent der Gebäude. Die durch Subventionen günstigen Energiepreise entlasten zwar die ärmeren Schichten. Doch Anreize, nachhaltig zu bauen, wecken sie nicht.
Auch was das Zusammenwachsen der Städte angeht, ist Architektin Liu skeptisch. Macao, vor allem aber Hongkong hätten eine liberale, demokratische, jahrzehntelang gewachsene Kultur. Das Misstrauen gegenüber dem Festland sei groß. Viele Hongkonger fürchteten sich schon jetzt vor dem Wegfall der Grenzen Mitte dieses Jahrhunderts und dem Verlust der letzten Reste von Autonomie.
Das lenkt den Blick auf eine der am schwersten zu lösenden Aufgaben der geplanten Urbanisierung: Geld kann Chinas Regierung fast beliebig in die Infrastruktur buttern. Doch damit Menschen wirklich heimisch werden, muss mehr geschehen. „Werte sind verloren gegangen, das Vakuum wurde mit Materialismus gefüllt“, sagt Doreen Liu. „Das hat zur Folge, dass sich niemand wirklich zu Hause fühlt.“
Nathan, immerhin, ist seit ein paar Monaten offizieller Einwohner der Stadt Shenzhen. Sein Arbeitgeber hat ihm das begehrte Bürgerrecht verschafft. Bald wird auch Freundin Lily zu ihm ziehen. Die beiden werden sich erst einmal Nathans kleine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung teilen, bis die Freundin einen Job gefunden hat und sie sich etwas Größeres leisten können.
Denn der junge Mann aus Nordwestchina will die Kantonesin heiraten.