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John Engler empfängt die WirtschaftsWoche im achten Stock des Bürokomplexes in Washington DC, nur wenige Rad-Minuten vom Abgeordnetengebäude entfernt, mit einem freundlichen „How are you doing“ und einem „Sorry“.
Das Interview hat sich um 45 Minuten verzögert, weil Engler die Rede von Hillary Clinton im Fernsehen verfolgen wollte. Dort zeigte sich die Demokratin so persönlich wie selten im Wahlkampf.
„Das Leben besteht aus Erfolgen und Misserfolgen“, sagte sie an die junge Generation gerichtet. Manchmal seien die Niederlagen sehr schmerzhaft. Aber sie wisse, dass es immer wieder aufwärts gehe. „Starke Worte“, sagt Engler, der einst als Gouverneur den Bundesstaat Michigan lenkte und zwischenzeitlich als Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde, später.
Zur Person
John Engler, 68, war von 1991 bis 2003 Gouverneur des US-Bundesstaats Michigan. Er galt als Bush-Vertrauter und hat Trump nie öffentlich unterstützt. Er leitet derzeit die Wirtschaftsvereinigung Business Roundtable, ein Zusammenschluss von rund 200 Konzernchefs aus den USA.
Herr Engler, Sie gelten als Freund der Bush-Familie und nicht als Anhänger von Donald Trump. Sie befürworten Freihandel, offene Grenzen und internationale Kooperationen. Sie sind aber auch Republikaner. Ist der Tag nach der US-Präsidentschaftswahl ein Tag der Freude oder der Verzweiflung?
John Engler: Ich war zwar zwölf Jahre lang republikanischer Gouverneur in Michigan, aber jetzt repräsentiere ich rund 200 Vorstandschefs der größten Konzerne in Amerika. Wir verstehen uns als überparteilich. Wir werden mit Trump zusammen arbeiten. Genauso wie wir mit Clinton als Präsidentin zusammen gearbeitet hätten. Die Arbeit geht heute los.
Dennoch hat Trump im Wahlkampf gegen Freihandel, offene Grenzen und internationale Kooperationen gewettert – also Dinge, die Ihnen und den US-Konzernchefs, die Sie im Business Roundtable präsentieren, wichtig sind. Kann das gutgehen?
Wir stehen schon seit längerem mit dem Übergangsteam von Donald Trump in Kontakt, das die Geschäfte bis zur Zeit der Amtsübergabe am 20. Januar organisiert. Anders als das Clinton-Team, das für zahlreiche Positionen wie Minister und Behördenleiter konkrete Personen im Auge hatte, sind Trump und sein Team unerfahren. Er startet quasi mit einer leeren Liste.
Ist das nun ein Vorteil oder ein Nachteil?
Es ist zumindest eine Chance. Er wird als Präsident mit weniger Verpflichtungen und mehr Freiheiten in seine Amtszeit starten. Das ist allenfalls vergleichbar mit der Präsidentschaft von General Eisenhower nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch Eisenhower kam nicht aus der Politik. So hat auch Trump keinen politischen Stallgeruch. Das kann ein Vorteil sein.
Inwiefern?
Chris Christie, der für Trump das Übergangsteam leitet, hat unseren CEOs klar gemacht, dass sie Manager in die Regierung holen wollen. Trump und seine Leute wollen Washington runderneuern. Sie wollen frische Leute engagieren, die entscheidungsfreudig sind. Die Suche nach guten Managern für die Regierung ist offenbar ein Schlüsselthema für Trump.
Trump hat gegen das politische Establishment in Washington gewettert? Wie wird sich die amerikanische Hauptstadt denn verändern?
Ich bin überzeugt, dass er die Regierung wieder traditioneller ausrichten wird: Die Minister erhalten mehr Kompetenzen und mehr Spielraum. Ein Energie- oder Landwirtschaftsminister wird selbstständiger entscheiden können. Jedes Kabinettsmitglied, das der Präsident ernennen wird, wird mehr Entscheidungsmacht bekommen. Das ist auch gut. Denn in der jüngsten Vergangenheit wurde jede Entscheidung in das Weiße Haus getragen. Das hat die Entscheidungen der Regierung deutlich verlangsamt. Das war ein Grund, warum das Verhältnis zwischen der Regierung und dem Kongress so gelitten hat.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Dennoch hat sich Trump immer wieder gegen Freihandel und internationale Abkommen ausgesprochen. Welche negativen Folgen erwarten Sie für die Weltwirtschaft?
Zunächst einmal haben beide Kandidaten die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) bekämpft und waren globalisierungskritisch. Entscheidend wird sein, welchen Chefunterhändler Trump für internationale Handelsabkommen ernennen wird. Wir hoffen, dass wir gut mit ihm zusammenarbeiten können. Außerdem stimmt mich eine Sache zuversichtlich: Trump hat die Handelsabkommen immer in den Kontext von Wirtschaftswachstum gestellt.
Das heißt?
Internationaler Handel wird auch unter Trump ein wichtiger Teil bleiben, denn ohne Handel gibt es kein Wachstum. Wir werden mit Trump diskutieren müssen. Aber Trump hat ja nicht gesagt, dass er gegen Handel ist. Er hat Handelsabkommen angegriffen, wenn sie gegen US-Interessen verstoßen.
"Es gab unter vielen Konzernchefs einen Wunsch nach Wandel"
Halten Sie TTIP für tot?
Nein. Vielleicht in der jetzigen Form. Aber es gibt Alternativen. Möglicherweise könnte das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada eine Art Blaupause für ein Abkommen zwischen der EU und den USA sein.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Also haben Sie noch Hoffnung, dass Trump doch nicht so schlimm ist wie viele Ökonomen befürchten?
Es gibt doch jetzt viele Gemeinsamkeiten zwischen Amerika und Europa, etwa bei den Umwelt- und Arbeitnehmerstandards. Nicht alles ist gleich, aber vieles ist ähnlich. Die Zölle sind auch nicht mehr extrem weit voneinander entfernt. Außerdem handelt es sich bei beiden Regionen um entwickelte Märkte mit einem Sinn für hohe Standards. Das macht Handelsabkommen zwischen USA und Europa einfacher als zwischen USA und Asien. Es wird einige Leute geben, die einen neuen Anlauf wagen werden. Aber natürlich gibt es auch noch große Unsicherheiten, etwa beim Datenschutz oder den regionalen Produktbezeichnungen.
Ist Trump dann also offener gegenüber Handelsabkommen zwischen Industrienationen als zwischen den USA und Schwellenländern?
Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es nicht. Er hat sich ja bislang noch nicht konkret damit auseinander gesetzt. Seine Aussagen müssen zudem in den Kontext mit anderen Aussagen gebracht werden. Man kann nicht sagen: Ich will eine wachsende Wirtschaft mit vier Prozent Wachstum, aber keinen Handel mit anderen Nationen. Das funktioniert nicht. Es gibt kein Szenario, bei dem Handel keine Rolle mehr spielen würde.
Sie repräsentieren im Business Roundtable rund 200 große Konzerne und ihre Konzernchefs. Wie haben die CEOs auf den Sieg von Donald Trump reagiert?
Ich habe mit einigen CEOs gesprochen. Viele denken nicht anders als viele Wähler auch. Es gab unter vielen Konzernchefs einen Wunsch nach Wandel. Viele Manager sind unzufrieden, dass sich Dinge in Washington zwischen Präsident und Kongress aufreiben und nicht vorankommen. Wenngleich viele Clinton gewählt haben. Sie war ein bekanntes Gesicht und galt als geringeres Risiko. Aber 80 Prozent der Wähler draußen wollten einen echten Wandel, auch in Form eines Präsidenten, der nicht aus der Politik kommt. Deshalb haben sie Trump gewählt.
Schalten die Unternehmen denn schon um auf „Business as usual“?
Die Aktienmärkte haben die Richtung ja schon vorgegeben. Der Future-Märkte in der Wahlnacht gingen zunächst unter. Aber am Morgen haben die Börsen geöffnet, als sei nichts passiert. Es wird sicher eine Weile dauern, bis man sich an die politische Veränderung gewöhnt. Aber ich sehe auch die große Chance für Fortschritt. Wir glauben, dass die Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, viel besser ist als die Medien geschrieben haben. Trump und Ryan werden gut miteinander zusammen arbeiten. Und das ist eine wichtige Voraussetzung, Gesetze wie eine Steuerreform und weniger Regulierung durch den Kongress zu bekommen.
Was bedeutet Trump für das deutsch-amerikanische Verhältnis?
Wir hoffen, dass der Präsident seinen internationalen Partnern die Hand ausstrecken wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Beziehungen gut bleiben werden. Ich vermute, dass Trump zunächst die Probleme im eigenen Land angehen wird. Zum Beispiel die Gesundheitsreform und ein großes Infrastrukturpaket. Das ist leichter gesagt als getan. Aber die Chancen dafür stehen gut.
Die Republikaner waren im Wahlkampf heillos zerstritten. Viele Parteimitglieder haben öffentlich erklärt, dass sie Trump nicht unterstützen oder nicht wählen werden. Wie geht es mit der republikanischen Partei weiter?
Die wichtigere Frage ist: Wie geht es mit den Demokraten weiter? Die Partei hat eine 69-jährige Präsidentschaftskandidatin, die die Wahl verloren hat. Im Senat und im Repräsentantenhaus stellen die Demokraten nur die Minderheit. Die Parteiführung ist in Verruf geraten. Bernie Sanders hat die Frage aufgeworfen, was es überhaupt bedeutet, Demokrat zu sein. Diese Identifikationsfrage ist nicht beantwortet. Und ich sehe noch keinen Führungsnachfolger.
Nochmal zu den Republikanern. Sie sind ein Urgestein und kennen die Partei in und auswendig. Sehen Sie keine Probleme?
Nein. Die republikanische Partei ist seit Jahren erfolgreich unterwegs. Während der Obama-Regierung hat die Partei immer mehr Sitze im Abgeordnetenhaus dazu gewonnen. Auch bei dieser Wahl war die Partei weiter erfolgreich. Die Republikaner stellen die eindeutige Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Die Republikaner müssen jetzt regieren.
Deshalb wird es eine enge Arbeitsbeziehung zwischen den politischen Führern des Repräsentantenhaus und des Senats mit dem Präsidenten geben. Die Republikaner werden Dinge jetzt fertig bekommen. 2017 kann ein sehr gutes Jahr für Amerika werden.