Rohingya in Myanmar „Sie wollen uns auslöschen“

Unter den wenigen in Myanmar verbliebenen Rohingya wächst die Verzweiflung. Sie werfen der Regierung vor, die muslimische Minderheit gezielt auszuhungern.

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Flüchtlinge der Rohingya haben die Grenze nach Bangladesch passiert. Eine alte Frau, die den Weg nicht mehr zu Fuß bewältigen kann, wird über einen schlammigen Weg in Teknaf getragen. Quelle: dpa

Flüchtlingslager Nayapara Als erstes verboten Soldaten Abdul Goni, das Feuerholz zu sammeln, von dessen Verkauf der Rohingya seine Familie ernährte. Dann nahmen sie ihm seine einzige Kuh weg, die er zum Düngen von Reisfeldern vermietete. Als nächstes töteten die Streitkräfte seinen Onkel, als dieser sich gegen den Diebstahl seiner Büffel wehrte, wie Goni erzählt.

Schließlich sah der 25-Jährige im örtlichen Fluss die Leichen anderer Rohingya treiben, die wegen illegaler Fischerei getötet worden waren. Spätestens in diesem Moment wurde Goni klar, dass ihm nur die Flucht bleibt, wenn er seine Familie retten will. An schlechten Tagen ernährten sie sich von Fruchtfleisch, das sie aus den Stängeln von Bananenstauden kratzten. An den schlimmsten Tagen hatten seine Kinder gar nichts zu essen.

„Es tat mir so leid, dass ich ihnen nicht genug Essen geben konnte“, sagt Goni unter Tränen in einem Flüchtlingslager in Bangladesch, direkt an der Grenze zu Myanmar. „Uns wurde immer gesagt: 'Das ist nicht euer Land. Wir werden Euch aushungern.“

Massaker, Vergewaltigungen und die groß angelegte Zerstörung ganzer Dörfer durch die myanmarischen Streitkräfte im westlichen Staat Rakhine trieben fast 700.000 muslimische Rohingya in die Flucht nach Bangladesch. Die Militäroffensive war eine Vergeltungsaktion für etwa 30 Angriffe militanter Rohingya auf Sicherheitsposten am 25. August vergangenen Jahres, bei denen mindestens 14 Menschen getötet wurden. Jetzt nutzen die Truppen offenbar die Lebensmittelversorgung als weitere Waffe gegen die schwindende Zahl von Rohingya in Myanmar.

Die Berichte lassen sich zwar nicht von unabhängiger Seite bestätigen, da die Regierung in Rangun keine Journalisten in den Norden von Rakhine lässt, wo die meisten Rohingya leben. Doch mehr als ein Dutzend Interviews der Nachrichtenagentur AP mit kürzlich Geflüchteten deuten auf eine wachsende Verzweiflung hin.

Die Lage der Rohingya wird immer gefährlicher, die Vereinten Nationen sprechen bereits von einem möglichen Völkermord. Die UN und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International warnten auch vor einer zunehmenden Nahrungsmittelknappheit unter den Rohingya in den Konfliktgebieten.

Die Streitkräfte von Myanmar reagierten bislang nicht auf Appelle, die Gewalt zu beenden. Die Regierung weist aber den Vorwurf ethnischer Säuberungen zurück und betont, Terroristen zu bekämpfen. Sozialminister Win Myat Aye erklärte, die Regierung verteile Lebensmittelhilfen an so viele Menschen wie möglich. Dass Dorfbewohner komplett von der Versorgung abgeschnitten seien oder Hunger litten, sei unmöglich.


Verfolgung seit Jahrzehnten

Die muslimischen Rohingya werden schon seit Jahrzehnten von der buddhistischen Mehrheit in Myanmar verfolgt. Sie sind in ihren Dörfern und oft sogar in ihren Häusern eingeschlossen. Landwirtschaftliche Tätigkeiten, Fischerei, Nahrungssuche, Handel und andere Arbeiten sind ihnen verboten. Mit anderen Worten: Sie können nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Zugangs zu Nahrungsmitteln sind zwar schon lange in Kraft, wurden in den vergangenen Wochen aber dramatisch verschärft, wie die Interviews zeigen.

„Es war schlimmer als im Gefängnis“, sagt Goni, der schließlich am 5. Januar seinen Heimatort Hpa Yon Chaung in der Gemeinde Buthidaung verließ. „Im Gefängnis bekommen die Leute zumindest zwei Mal am Tag etwas zu essen.“

Der Hunger ist den Rohingya bei ihrer Ankunft in den Lagern in Bangladesch deutlich anzusehen, wie der Arzt Ismail Mehr sagt. Vor allem Kinder und Frauen litten an starker Unterernährung.

„Sie kommen hungernd an“, erklärt Mehr, der kürzlich von einem Einsatz in den Lagern in die USA zurückkehrte. „Kinder und Erwachsenen leiden sichtbar an Vitaminmangel, wir haben stark unterernährte Menschen gesehen, die im Grunde aus Haut und Knochen bestehen.“

Wegen des beschränkten Zugangs nach Rakhine ist es nahezu unmöglich nachzuvollziehen, wie viele Menschen dort ohne Nahrung sind, wie verbreitet das Problem ist und ob Menschen verhungern. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit Sitz der Hauptstadt hat seit Ende August nach eigenen Angaben mehr als 180.000 Menschen im Norden des Staates mit Lebensmitteln versorgt.

Aktivisten, Hilfswerke und Wissenschaftler werfen Myanmar vor, überlebensnotwendige Hilfseinsätze für die Rohingya zu behindern. Nach Angaben von Amnesty verbot das Militär im November und Dezember Angehörigen der Minderheit, den Reis auf ihren Feldern zu ernten. Die Welternährungsorganisation FAO warnte, dass der fehlende Zugang zu Lebensmitteln und Treibstoff den Hunger in Myanmar verschärfe.

Der Flüchtling Mohammad Ilyas hat das selbst erlebt. Die Streitkräfte hätten den Rohingya ihre Reisfelder und -vorräte weggenommen, erzählt der 55-Jährige aus dem Dorf Ah Nauk Pyin in Rathedaung. „Manchmal sind wir einen Tag, zwei oder sogar fünf Tage lang hungrig geblieben. Die Regierung von Myanmar will, dass dort kein einziger Muslim mehr übrig bleibt. Sie wollen uns vollständig auslöschen.“

Nach Angaben von Goni können in seinem Dorf einige Familien bislang nur überleben, weil sie sich Reisvorräte angelegt haben. „Aber das reicht nicht ewig“, sagt er. „Wenn sie nicht nach Bangladesch gelangen können, und wenn ihnen der Reis ausgeht, bedeutet das ihren sicheren Tod.“

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