Rohstoffe Arktische Jagd nach Gold und Diamanten

Der Klimawandel macht die Arktis wirtschaftlich interessant. Davon profitiert besonders der Nordosten der kanadischen Provinz Québec – nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch.

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Inuit im Norden Québecs Quelle: laif

Seit Jahren reihen Politiker weltweit Flugreise an Flugreise, um sich über Chancen und Regeln zur Eindämmung des Klimawandels zu verständigen, ergebnislos. Die Erde wird wärmer, Gletscher schmelzen, Unwetter nehmen zu. Doch wogegen zu kämpfen die halbe Welt sich auf die Fahnen geschrieben hat, das kommt Jean Charest gerade Recht.

Der mit dem selbstverständlichen Charme eines Late-Night-Talkers gesegnete Premierminister der kanadischen Provinz Québec plant nichts weniger, als aus einem bislang unzugänglichen Waldgebiet von der Größe Westeuropas eine gigantische Goldgrube zu machen. „Wir entwickeln hier eines der größten ökonomischen und sozialen Projekte der Gegenwart“, sagt Charest, wenn er in einem Halbsatz die Zukunft des Nordens seiner Provinz Québec vorhersagt. 1,3 Millionen Quadratkilometer borealer Nadelwald, darunter viele Bodenschätze. Gold, Nickel, Kupfer, Diamanten, vor allem aber: Metalle aus der Familie der Seltenen Erden, unverzichtbar für den Bau vieler High-Tech-Produkte, doch bis dato nur in China verfügbar.

Geht es nach Charest, sollen in den nächsten zehn Jahren umgerechnet 55 Milliarden Euro in dieses Gebiet investiert werden. „Plan Nord“ nennt er sein Vorhaben, es geht nicht nur um Bodenschätze, sondern auch um Wasserkraft und Infrastruktur. Neue Straßen sollen entstehen, Flughäfen instand gesetzt und ein Tiefseehafen gebaut werden.

Neuer Umschlagplatz für Handel

Vor allem letzteres Projekt offenbart, wo die Reise hingeht. In einem 1400-Seelen-Dorf mit dem nur für die einheimischen Inuit einprägsamen Namen Whapmagoostui-Kuujjuarapik gibt es bisher nur einige Fischer, die an den raren Sommertagen die in Teilen eisfreie See befahren. Doch das wird sich ändern. Bisher war erst einmal, im Sommer 2008, die legendäre Nordwest-Passage an der nördlichen Küste Nordamerikas eisfrei. Sie verkürzt die Route zwischen Ostasien und Europa um knapp ein Viertel. Dank des Klimawandels könnte das aber in zwei oder drei Jahrzehnten schon die Regel sein. Dann könnte aus dem Inuitdorfein Umschlagplatz für den weltweiten Handel werden.

Die Besiedlung des Nordens von Québec ist wahrscheinlich nur der erste Schritt zur Erschließung eines bisher fast unbewohnten Landstrichs. Zwischen der Mündung des St.-Lorenz-Stroms und der Hudsonstraße leben hier auf einer Fläche von der dreieinhalbfachen Größe Deutschlands gerade einmal 120 000 Menschen. Doch was für Québec gilt, könnte so oder ähnlich auch in anderen Teilen Kanadas, in Alaska und im Norden Russlands Realität werden: Einerseits macht die Erderwärmung wirtschaftliche Aktivitäten in bislang unerreichbaren Regionen möglich.

Bergbauprojekte und Infrastruktur Québec Quelle: Regierung von Québec

Zudem wächst durch die weiter expandierende Weltwirtschaft der Druck, auch Rohstoffquellen in Regionen zu erschließen, in denen ein Abbau bisher als zu gefährlich, ineffizient oder aus Gründen des Umweltschutzes als unzumutbar galt. Nur so lässt sich der weltweite Jubel erklären, den Anfang dieses Monats die Entdeckung neuer Vorkommen von Seltenen Erden auslöste, trotz des Fundorts auf dem Grund des Pazifischen Ozeans in 5000 Meter Tiefe. Inzwischen gibt es Geräte, um auch solche Vorkommen zu nutzen. Das lohnt sich aber nur, wenn die Preise weiter kräftig steigen. Damit rechnen inzwischen offenbar immer mehr aktuelle und potenzielle Marktteilnehmer.

Harmonie von Ökologie und Ökonomie

„Wenn sich die Nachfrage aus dem asiatischen Raum so fortsetzt wie zuletzt, wird Québec immer attraktiver“, sagt Bruno Lemelin, der für den britisch-schweizerischen Bergbaukonzern Xstrata das Nickelgeschäft in Kanada koordiniert. Doch der „Plan Nord“ ist nicht nur Investitionsgelegenheit für Rohstoffkonzerne, sondern könnte auch Modell für das Gelingen einer heiklen Mission werden: Ist es möglich, eine ökologisch so sensible Region nahe der Arktis industriell zu erschließen, ohne dass der Schaden an der Natur den Nutzen für den Menschen exponentiell übersteigt?

In Québec scheint zu klappen, woran man selbst im seit Jahrhunderten wirtschaftlich genutzten Deutschland immer wieder gescheitert ist: Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Die in der Region beheimateten Ureinwohner haben den Plan zum größten Teil ratifiziert, auch von den Umweltgruppen der Region kommt nur verhaltene Kritik, gekoppelt mit ausdrücklichem Lob für einzelne Teile des Plans.

Präventive Kommunikation

Das Erfolgsrezept hat vor allem drei Zutaten: Kommunikation, Kompromisse und die Koppelung von Ausbeutung fossiler und Investitionen in erneuerbare Rohstoffe. „Wir haben frühzeitig alle Interessengruppen eingebunden“, sagt Premier Charest, und was wie die hohle Phrase aus dem Lehrbuch politischer Floskeln klingt, findet in diesem Fall Zustimmung von der Gegenseite. Auch wenn man nicht alle Entscheidungen des jetzt verabschiedeten Plans teile, sei es positiv, von Beginn an umfassend konsultiert worden zu sein, kommentierte Greenpeace Kanada den Plan. Was bei deutschen Windkraftprojekten erst im Stadium der öffentlichen Anhörung der Fall ist, wurde hier bereits praktiziert, bevor das Projekt in die öffentliche Debatte eingebracht wurde.

Dabei ist die Ausgangslage im unwirtlichen Nordosten Kanadas deutlich schwieriger als zwischen deutschen Rübenfeldern und Doppelhaushälften. Denn vor allem die Inuit in der Region Nunavik („Land zum Leben“ in der Sprache der Einheimischen) an der Nordwestspitze Québecs haben schlechte Erfahrungen mit dem kanadischen Staat gemacht. 1953 waren einige von ihnen zwangsweise umgesiedelt worden, auf zwei bis dahin unbewohnte Inseln an der Nordwest-Passage. So wollte Kanada im Kalten Krieg seine Besitzrechte durchsetzen, die Inuit dienten dabei als Faustpfand. Erst Jahre später wurde die Rücksiedlung möglich. Auch bei etlichen Wasserkraftprojekten in der Region wurden die Ureinwohner eher abgespeist als beteiligt.

Dass Matthew Coon Come, der Vertreter des größte Indianerstammes in der Region, der Cree, sich bei der Vorstellung des Plans trotzdem strahlend an die Seite von Premier Charest gestellt hat, zeigt, dass hier etwas anders sein muss. Zum einen fließt viel Geld direkt in die Kassen der noch jungen Selbstverwaltung von Nunavik. Zudem konnte die Regierung glaubhaft versichern, dass die lokale Bevölkerung profitiert. Über die koordinierende „Société Plan Nord“ fließt zum einen ein dreistelliger Millionenbetrag in den Wohnungsbau, zum anderen entstehen Trainingszentren, in denen sich Einwohner für die Jobs in den Minen und an den Wasserkraftwerken qualifizieren können.

Hydro Québec

Auch in der Auseinandersetzung mit Umweltgruppen ist es nicht beim Zuhören geblieben. Die Landesregierung von Québec hat sich bereits verpflichtet, 15 Prozent der Planfläche nördlich des 49. Breitengrades zum absoluten Schutzgebiet zu erklären, für weitere 35 Prozent ist ein Verbot industrieller Nutzungen festgelegt, auch wenn der exakte Standort dieser Schutzflächen noch nicht festgelegt ist. Angesichts der gigantischen Größe des Erschließungsgebiets sollten diese Zusagen der Regierung nicht allzu schwergefallen sein, zudem könnte schon die Vernichtung von 50 Prozent der Waldflächen verheerende Folgen auf die Umwelt haben, speichern die borealen Nadelwälder doch einen bedeutenden Teil des welt-weiten CO2.

Dass die Umweltschützer sich dennoch schwertun, den Plan zu verdammen, liegt an den Planungen für Wasserkraftanlagen. Schon jetzt ist der staatliche Produzent Hydro Québec der größte Wasserkraftproduzent der Welt, durch neue Anlagen im borealen Forst und der sich anschließenden arktischen Tundra will er seine Kapazitäten weiter ausbauen, auch für Teile der angrenzenden USA könnte das zum einfachsten Weg zu sauberer Energie werden. Allein umgerechnet 33 Milliarden Euro der Planungssumme gehen in neue Kraftwerke, die bei 4500 Megawatt Leistung genau 0,0 Tonnen CO2 absondern werden. So klingt Klimarettung in Zahlen.

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