Rückschlag für Shinzo Abe Skandal um manipulierte Statistiken bremsen Arbeitsmarktreformen in Japan aus

Manipulierten Statistiken gelingt, was Nippons Gewerkschaften nicht geschafft haben. Regierungschef Shinzo Abe kippt ein Lieblingsprojekt der Wirtschaft.

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Japan: Rückschlag für Shinzo Abe bei den Arbeitsmarktreformen Quelle: Reuters

Tokio Das Reformer-Image von Japans Ministerpräsident Shinzo Abe droht Schaden zu nehmen. Am Donnerstag kippte er einen wichtigen Teil seiner Arbeitsmarktreform, die in diesem Jahr den Schwerpunkt seiner Strukturreformen ausmachen soll. Und getroffen hat es ausgerechnet eine umstrittene Flexibilisierung der Überstundenbezahlung, für die sich die Wirtschaftsverbände stark gemacht haben. „Dies ein bedeutender Schlag für Abes Reformen“, meint der Politologe Koichi Nakano von der Sophia-Universität in Tokio.

Als ein Teil eines großen Maßnahmenbündels wollte die Regierung Unternehmen erlauben, größere Teile der Belegschaften nicht mehr nur nach Stunden zu bezahlen, sondern mit einem fixen Gehalt. Der Bevölkerung wird dies als Maßnahme gegen die berüchtigt hohen Überstunden verkauft, die nach Todesfällen und Selbstmorden überarbeiteter Beschäftigter zu einem nationalen Top-Thema geworden sind. In dieser Theorie könnten die Arbeitnehmer nach Hause gehen, wenn sie ihr Tagessoll erfüllt haben. Gewerkschaften warnten allerdings, dass dies zu Mehrarbeit führen werde und die Firmen nur Überstundengelder einsparen wollten.

Doch nicht Widerstand der Gewerkschaften brachte den Vorschlag letztlich zu Fall, sondern ein Skandal über die Daten, die dem Gesetz zugrunde lagen. Die Opposition hat der Regierung vorgeworfen, durch gezielte Manipulation von Umfragen und Statistiken den Eindruck erweckt zu haben, dass diese Regelung die Überstunden reduzieren würde. Abe versucht daher, mit seinem Einlenken von seiner Reform zu retten, was noch zu retten ist.

Die Bevölkerung hege nun Zweifel an den Daten, gestand er ein. Sein Kabinett habe daher entschieden, die betroffenen Teile aus dem Gesetz zu streichen, sagte er am Donnerstag vor dem Haushaltsausschuss des Oberhauses von Japans Zwei-Kammer-Parlament. Die restlichen Teile will Abe allerdings weiterhin durchboxen, darunter eine erste legale Beschränkung der Überstunden auf maximal 100 Stunden – pro Monat. Bisher wurde die maximale Mehrarbeit über den normalen Achtstundentag hinaus nur durch betriebliche Vereinbarungen zwischen dem Management und der Belegschaft bestimmt.

Die Frage ist allerdings, inwieweit dem Regierungschef noch ein großer Reformentwurf gelingt. Denn Politologe Nakano warnt, dass dieser Rückschlag Abes bisher unangefochtene Stellung in seiner liberaldemokratischen Partei just vor einem wichtigen Parteitag im September schwächen könnte. Dann muss sich der Parteichef zur Wiederwahl stellen.

Bisher hat sich die Zustimmungsrate zu seinem Kabinett zwar selbst nach Korruptionsskandalen wieder auf 50 Prozent erholt. Aber es herrsche nach fünf Jahren Abe eine „gewisse Abe-Müdigkeit“, meint Nakano. Abe versuche zwar, die Schuld für die Manipulationen auf das Arbeitsministerium abzuwälzen. „Aber die Medien könnten dies als Schwäche sehen und Abe stärker kritisieren“, meint Nakano.

Erschwerend kommt hinzu, dass er nun politisch zwischen enttäuschten Wirtschaftsvertretern und ermutigten Gewerkschaftern sitzt. Wirtschaftsvertreter warnten bereits, dass das Opfern ihres Lieblingsprojekts ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährde. „Wenn wir nicht wenigstens so viel umsetzen können, werden wir hinter globale Standards zurückfallen“, beschwerte sich Yoshimitsu Kobayashi, der Vorsitzende des Managerverbands Keizai Doyukai.

Staatstragender verzichtete der Chef des Unternehmerverbands, Sadayuki Sakakibara, auf Kritik und setzte auf Hoffnung. In einer Stellungnahme äußerte er „Bedauern“, dass dieser Teil vorerst zurückgezogen worden sei. Gleichzeitig wolle er alles tun, um den Skandal zu untersuchen und das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederzugewinnen. Sein Verband hoffe, das Gesetz wieder zu einem späteren Zeitpunkt vorzulegen.

Auch Investoren könnten enttäuscht reagieren. Für viele lässt Abe schon jetzt jeglichen Reformeifer vermissen. Und Jesper Koll, Chef des Aktienfonds WisdomTree Japan, unkt, dass Abes eigentliches Reformversprechen, die Steigerung der oft niedrigen Produktivität vieler Firmen, nun gänzlich zu leeren Hülle zu werden droht.

Unberechtigt ist die Warnung nicht. Denn Beobachter sehen die Möglichkeit, dass die Gewerkschaften und die linksliberalen Oppositionsparteien nun auch weitere Liberalisierungen des Arbeitsrechts angreifen werden. Im Mittelpunkt des Streits könnte eine Regelung stehen, die der gekippten ähnelt.

So will die Regierung auch eine Ausnahmeregelung von bezahlten Überstunden für hochbezahlte, spezialisierte Angestellte ausdehnen. Die nächsten Wochen und Monate werden damit testen, wie sehr Abe noch der Strukturreformer ist, als der er im Dezember 2012 sein Amt antrat und die Finanzmärkte begeisterte.

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