
Madrid Artur Mas ist ein erfahrener Politiker. Er weiß genau, welche Signale er mit seinem Rücktritt mitten in der schwierigen Regierungsbildung in Katalonien sendet. Da hilft es wenig, wenn er beteuert, dass seine Entscheidung nichts mit irgendwelchen möglichen Differenzen zu seinem Parteikollegen und einstigen Ziehsohn Carles Puigdemont zu tun haben.
Er trete zurück, um nicht die Expansion des Projektes Junts per Catalunya zu bremsen. So heißt die Kandidatenliste, mit der der abgesetzte katalanische Regierungschef Puigdemont bei den Wahlen kurz vor Weihnachten überraschend zur stärksten separatistischen Kraft wurde. „Das ist eine einmalige Gelegenheit, um die Basis zu erweitern“, sagte Mas und versicherte, er glaube an das Projekt. Aber neue politische Epochen bräuchten auch neue Führer.
Mas war 2015 schon einmal beiseitegetreten und hatte Puigdemont als Präsidenten vorgeschlagen, weil seine eigene Ernennung am Veto der antikapitalistischen Partei CUP scheiterte. Anfangs hatten viele erwartet, der bis dato kaum bekannte Puigdemont würde der verlängerte Arm von Mas werden. Doch das war nicht so, Puigdemont verfolgte seine eigene Politik.
Madrid sieht in ihm zwar einen Handlanger – aber nicht von Mas, sondern von der CUP. Die habe es geschafft habe, die konservative und wirtschaftsfreundliche Partei PDeCat mit Puigdemont auf den Weg des Ungehorsams und der Gesetzverstöße zu drängen. Der Höhepunkt dieses Wegs waren ein illegales Unabhängigkeitsreferendum sowie die Ausrufung der katalanischen Republik.
Am Montag hatte Mas vor Parteifreunden erklärt, das Wahlergebnis berechtige die Separatisten nicht dazu, Katalonien weiter zur Unabhängigkeit zu führen. Bei der Wahl hatten die drei nationalistischen Parteien zwar die Mehrheit der Sitze im Parlament gewonnen, aber nur 47,5 Prozent der Stimmen in der Bevölkerung.
Puigdemont dagegen hält die Absetzung seiner Regierung für rechtswidrig und will nun am liebsten die komplette ehemalige Regierungsmannschaft wieder einsetzen. Vor allem aber will er keinen alternativen Präsidenten als sich selbst akzeptieren. Wie er von Brüssel aus ernannt werden soll, bleibt bislang sein Geheimnis. In Spanien liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor.
Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Mas und Puigdemont sind nicht neu. Der Rücktritt kommt jedoch zu einem Zeitpunkt, in dem es in der Partei ob der Ein-Mann-Show von Puigdemont ohnehin brodelt. Schon die Kandidatenliste für den Wahlkampf hatte der ehemalige Journalist nicht etwa aus den Reihen der Partei, sondern vor allem mit eigenen Gefolgsleuten besetzt. Seine Nummer zwei etwa ist der ehemalige Chef der separatistischen Bürgerbewegung ANC, Jordi Sánchez. Der hat es aber auch schwer, seine Abgeordneten-Karriere anzutreten – er sitzt wegen Rebellion im Gefängnis.
Hätten die Katalanen Puigdemont in der Wahl abgestraft, hätte die Partei sich höchstwahrscheinlich langsam von ihm distanziert. Der überraschende Wahlerfolg aber macht eine interne Rebellion gegen ihn schwierig. Der Rücktritt von Mas lässt sich jedoch durchaus als Aufforderung in Richtung Puigdemont deuten, es ihm gleich zu tun.
Er habe in seinem Politikerleben stets versucht, Katalonien an die erste Stelle zu setzen, die Partei an die zweite und seine eigene Person an die dritte Stelle, erklärte Mas. Deshalb trete er nun erneut zur Seite. Das dürfte ein klarer Fingerzeig Richtung Puigdemont sein. Der könnte die Region erneute in eine gefährliche Lage bringen, wenn er sich wie offenbar geplant per Videokonferenz zum Präsidenten ernennen lässt. Diese Ernennung könnte später vom Verfassungsgericht aufgehoben werden, weil die Regularien des Parlaments keine telematische Vereidigung vorsehen. Das Ergebnis wäre ein erneutes politisches Chaos in Katalonien.
Als zweiten Grund für seinen Rücktritt gab Mas die laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn an. Er ist bereits einmal verurteilt, weil er im Jahr 2014 eine verbotene „Umfrage“ zur Unabhängigkeit organisiert hatte. Zudem ist er kurz nach der Wahl auch wegen Rebellion in Zusammenhang mit dem illegalen Referendum angeklagt worden. In einem dritten Verfahren wird er der Korruption in der Vorgängerpartei von PDeCat bezichtigt. Ein Urteil in dem Fall wird für Montag erwartet. Mit seinem Rücktritt kommt er einer möglichen Rücktrittsforderung wegen Korruption zuvor und verschafft sich in der Anklage wegen Rebellion vielleicht einen Vorteil, wenn er politisch nicht mehr aktiv ist.
Auch der ehemalige katalanische Justizminister, Carles Mundó, vermeidet mit seinem Rückzug aus der Politik das Risiko einer erneuten U-Haft. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit hat er bereits mehrere Wochen im Gefängnis verbracht, ist aber dann gegen Kaution frei gelassen worden, weil er sich von ihr distanziert hatte. Mundó gab persönliche Gründe für seinen Rückzug an. Er will jetzt wieder als Anwalt arbeiten.
In Katalonien ist die Rolle der Justiz inzwischen fast ebenso wichtig geworden wie die der Politik. Die Rücktritte sind erste personelle Konsequenzen. Eine Lösung für die komplizierte Regierungsbildung sind sie jedoch nicht.