Ruf nach Europäischem Kartellamt Neue EU-Behörde soll Google bändigen

In der Debatte um die Markmacht von Google gerät nun die EU-Kommission ins Visier. Politiker und Experten fordern, Brüssel die Zuständigkeit für Wettbewerbsregeln zu nehmen und in eine neue Behörde zu verlagern.

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Marktmacht Google? „Wenn ein Suchmaschinenanbieter wie Google in Deutschland 95 Prozent des Suchmaschinenmarkts beherrscht, dann sollte das schon unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten überprüft werden“, sagt Justizminister Maas. Quelle: dpa

Berlin Die Idee, dass die EU-Kommission einige ihrer bisherigen Kernkompetenzen abgibt, etwa die Rechtsaufsicht über den Binnenmarkt und die Wettbewerbsregeln, kursiert schon länger im politischen Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) versuchte im vergangenen Jahr, das Thema auf die europäische Agenda zu setzen.

Im Kreis seiner EU-Amtskollegen bemängelte er, dass die Kommission zunehmend als politische Instanz und EU-Regierung agiert, ihre klassischen Aufgaben als Hüterin der Europäischen Verträge aber beibehalten will. Damals konnte sich der Minister allerdings nicht mit seinen Änderungsvorschlägen durchsetzen, nämlich die besagten Funktionen an neue, unabhängige Behörden, etwa an ein europäisches Kartellamt, auszugliedern. Das könnte sich nun möglicherweise ändern. Jedenfalls erfährt Schäubles Idee in diesen Tagen eine ungeahnte Renaissance.

Auslöser sind Äußerungen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in einem Interview mit dem Handelsblatt. Maas hatte zwar keine neue Behörde ins Spiel gebracht, aber die Grundlage für die jetzt aufkeimende Debatte geliefert. Im Interview stieß sich der Minister insbesondere an der Marktmacht Googles. Es sei „absolut überfällig“, sich damit auseinanderzusetzen, sagte er. Zwar untersucht die EU-Kommission derzeit bereits das Geschäftsgebaren des Konzerns. Maas bezweifelt jedoch, dass der Internetriese mit dem geltenden Regelwerk gebändigt werden kann. Als Konsequenz brachte er dann ein schärferes europäisches Kartellrecht ins Spiel.

Das würde jedoch die von Schäuble angesprochene Grundproblematik nicht berühren und der Kommission die generelle Zuständigkeit für das Thema belassen, was manche für einen Fehler halten.

„Wir benötigen auf europäischer Ebene kein schärferes Kartellrecht“, sagte der frühere Chef der Monopolkommission und heutige Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, Justus Haucap, dem Handelsblatt. Problematisch sei vielmehr, dass die Politik sich immer wieder in laufende Kartellrechtsverfahren einmische, wie etwa in das Google-Verfahren. „Besser wäre daher eine wirklich unabhängige europäische Kartellbehörde nach dem Vorbild des Bundeskartellamtes, das nicht laufend dem Einfluss der Tagespolitik ausgesetzt wird“, betonte Haucap. „Dann wäre auch das Google-Verfahren sicher schon abgeschlossen.“

Das deutsche Kartellamt stößt indes dann an Grenzen, wenn die Politik seine Entscheidungen torpediert. Senken als die Wettbewerbshüter vom Bundeskartellamt bei einer geplanten Fusion den Daumen, können sich betroffenen Unternehmen nach Berlin wenden. Auf einen entsprechenden Antrag hin kann der Bundeswirtschaftsminister nach Paragraf 42 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ein Nein der Kartellwächter mit einer sogenannten Minister-Erlaubnis überstimmen - wenn "die gesamtwirtschaftlichen Vorteile" die Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein "überragendes Interesse der Allgemeinheit" gerechtfertigt ist.

Nach Angaben der Bundesregierung gab es einschließlich der geplanten Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka bislang 22 solcher Fälle. Neunmal wurde dabei die Erlaubnis erteilt (teils mit Auflagen), sechsmal sagte ein Minister Nein, in sieben Fällen zogen die Unternehmen ihren Antrag zurück. Im aktuellen Tengelmann/Edeka-Fall steht aus juristischen Gründen noch eine endgültige Entscheidung aus.

Wie Haucap halten auch Politiker von Union und Grünen die Einrichtung einer unabhängigen Wettbewerbsbehörde für den richtigen Weg, um dominante Konzerne wie Google oder Facebook zu bändigen.


Grüne sehen neue EU-Kartellbehörde als Zukunftsprojekt

Dass Handlungsbedarf besteht, sieht auch Justizminister Maas. „Wenn ein Suchmaschinenanbieter wie Google in Deutschland 95 Prozent des Suchmaschinenmarkts beherrscht, dann sollte das schon unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten überprüft werden.“ Dabei stelle sich auch die Frage, ob das Kartellrecht in seiner jetzigen Form ausreichend geeignet sei, um in einer digitalen Wirtschaft die richtigen Antworten zu geben.

Wie man mit marktbeherrschenden Unternehmen wie Google umgeht, muss nach Überzeugung des Ministers aber vor allem „ein großes Thema auf europäischer Ebene“ werden. Mit dem Ziel zu verhindern, „dass die Marktmacht von Google oder anderen Unternehmen nicht letztlich auch zu Marktmachtmissbrauch führt“.

Die CSU warnt zwar einerseits vor Schnellschüssen, zumal, wie die Europaparlamentarierin Angelika Niebler betont, die anhängigen EU-Verfahren gegen Google ja zeigten, dass es Instrumente gebe, um gegen den Missbrauch von beherrschender Marktmacht vorzugehen. Unabhängig davon sei in marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens an sich noch nicht verwerflich. „Das ist Wettbewerb“, sagte Niebler dem Handelsblatt.

Gleichwohl plädiert Niebler dafür, die EU-Zuständigkeit für das Wettbewerbsrecht einer neuen Institution zu übertragen. „Ich sehe Handlungsbedarf bei der Frage, ob die Europäische Wettbewerbsbehörde nicht besser aus der Europäischen Kommission ausgelagert werden sollte, vergleichbar dem deutschen Kartellamt, zumal sich die Kommission ja als politische Kommission versteht“, sagte die Vorsitzende der CSU-Europagruppe im EU-Parlament.

Mit der Forderung rennt Niebler bei den Grünen offene Türen ein. Denn diese treten schon lange für ein unabhängiges europäisches Kartellamt ein. „Ordnungspolitisch wäre eine organisatorische Unabhängigkeit dem jetzigen Modell vorzuziehen“, sagte der Grünen-Wirtschaftsexperte im EU-Parlament, Sven Giegold, dem Handelsblatt. „Das wäre jedoch ohne Änderung der EU-Verträge nicht zu machen und ist daher ein Zukunftsprojekt.“

Maas habe daher völlig Recht, dass die EU-Wettbewerbskommission gegen den Missbrauch von Marktmacht im digitalen Raum noch aktiver werden müsse. „Das geht im Hier und Jetzt und braucht kein Zuwarten auf europäische Strukturdebatten“, betonte Giegold. „Wer im Internet eine marktbeherrschende Stellung missbraucht, muss mit Sanktionen bis hin zur Entflechtung belegt werden.“ Gerade die Vergleichsportale für Hotels verdienten eine gründliche Untersuchung, um die Interessen kleiner und mittlerer Beherbungsbetriebe zu verteidigen.


„Europa und Deutschland sind extrem innovationsfeindlich“

Dass Eingriffe der EU in monopolistische Strukturen durchaus nützlich für die Marktwirtschaft sein können, zeigt der Energiebereich: So zwang die EU beispielsweise Energiekonzerne wie RWE dazu, ihre Gasnetze zu veräußern und so für mehr Wettbewerb zu sorgen.

Der Wettbewerbsexperte Haucap ist indes davon überzeugt, dass die europäische Politik selbst dazu beiträgt, dass Monopolstrukturen überhaupt entstehen können. Die amerikanischen Anbieter dominierten die Märkte im Internet doch vor allem deswegen, weil Europa und gerade auch Deutschland „extrem innovationsfeindlich“ seien, sagte er. Buchpreisbindung für E-Books und das weitgehende Verbot des Fahrdienstvermittlers Uber sind nur zwei Beispiele, das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage und das Vorgehen gegen den größten Anbieter von Ferienwohnungen Airbnb in Berlin zwei andere. Verboten sei in Europa zum Beispiel auch, dass ein Mobilfunkbetreiber eine App wie PokemonGo oder einen anderen Dienst vom Datenlimit ausnimmt.

Haucap fordert daher ein Umdenken. „Wir benötigen nicht mehr Regulierung, sondern weniger, wenn wir uns wünschen, dass auch europäische Internetfirmen entstehen“, sagte der Monopolexperte. „Aber in Europa suchen viel zu viele Politiker immer noch nach dem Knopf, um das Internet wieder abzustellen, damit sich bloß nichts mehr ändert auf der Welt, so mein Eindruck.“

Haucap sieht in der Debatte auch zu einem gewissen Grad ein Ablenkungsmanöver. „Die größten Defizite hat besonders Deutschland, nämlich im Bereich E-Government, wie die Europäische Kommission Anfang des Jahres gerade wieder bestätigt hat“, so Haucap. Da sei Deutschland selbst im europäischen Vergleich auf einem der letzten Plätze. „Hier könnte der Justizminister doch direkt etwas tun“, betonte der Ökonom. „Aber da passiert immer noch recht wenig.“

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