Rufschädigung „China könnte Schadensersatz von den USA fordern“

Peter Hilpold

Der Streit um das Coronavirus eskaliert. Erst behaupteten die Chinesen, das Virus sei aus einem US-Labor entsprungen, dann forderte US-Präsident Trump von den Chinesen Schadenersatz, weil er handfeste Beweise habe, das Virus einem chinesischen Labor entsprungen sei. Westliche Geheimdienste dementieren das jetzt. Der österreichische Völkerrechtsprofessor Peter Hilpold warnt: Auch China könnte die USA wegen Rufbeschädigung zur Verantwortung ziehen.

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Peter Hilpold, Jahrgang 1965, ist ein österreichischer Rechtswissenschaftler und Professor für Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Er gibt die Schriftenreihe „Völkerrecht, Europarecht und internationales Wirtschaftsrecht“ heraus.

WirtschaftsWoche: Westliche Geheimdienste unterminieren die derben Anschuldigungen der US-Regierung der letzten Tage, dass es handfeste Beweise gebe, dass das Virus aus einem chinesischen Labor stammt. Was bedeutet das völkerrechtlich?
Peter Hilpold: Das gibt der Situation eine neue Dynamik. Auch eine unbelegte Behauptung der US-Regierung, die die Reputation Chinas beeinträchtigt, kann eine Staatenverantwortlichkeit begründen – jene der USA. China kann zumindest eine Entschuldigung der USA verlangen. Die internationale Gemeinschaft erinnert sich noch an die vermeintlich starken Beweise amerikanischer Geheimdienste 2003 für die Produktion chemischer Waffen im Irak, die den zweiten Irakkrieg rechtfertigen sollten.

Hätten die USA China völkerrechtlich überhaupt belangen können, wie Trump das vorhatte?
Wäre das Virus in einem Labor als Biowaffe entwickelt worden, verstieße das klar gegen internationale  Normen – das behauptete aber niemand. Ein Verstoß gegen internationale Verpflichtungen ist aber nötig, um eine Staatenverantwortlichkeit auszulösen. Wäre das Virus aber bei der medizinischen Forschung versehentlich freigesetzt worden, so wäre das keine unerlaubte Handlung.

Es gibt also keine internationalen Regulierungen für den Umgang mit gefährlichem Biomaterial?
Im Völkerrecht gibt es für ultrariskante Handlungen einige Regelungen, zum Beispiel für die Raumfahrt, den Betrieb von Kernkraftwerken und Tankerunglücke. Aber nicht für den Umgang mit biologisch riskantem Material – das ist eine echte Lücke, die wir dringend schließen müssen. Dabei müssten auch Inspektionsmöglichkeiten geschaffen werden. Wir brauchen eine deutlich stärkere internationale Kooperation in diesem Bereich.

Allerdings ist eine Informationspflicht eingeführt worden, die man jetzt einklagen kann?
In internationalen Kreisen wird schon länger überlegt, ob man China wegen einer verspäteten Meldung der Pandemie bei der WHO verantwortlich machen kann. Nach den Erfahrungen mit Sars wurden 2005 die International Health Regulations vereinbart, wonach ein gesundheitlicher Ausnahmezustand binnen 24 Stunden zu melden ist. Allerdings haben auch die WHO und Trump selbst nicht vorbildlich reagiert, sondern das Problem verharmlost.

Es gibt aber schon eine erste Sammelklage von US-Unternehmen, die vor einem Gericht im US-Bundesstaat Nevada von China Schadensersatz einfordern...
In den USA ist es tatsächlich möglich, gegen im Ausland geschehenes Unrecht zu klagen – das Alien Tort Statute ist ein Gesetz aus 1789. Damit wurden schon verschiedene lateinamerikanische Diktatoren in den USA wegen unterschiedlichster Verletzungen von Menschenrechten verurteilt. Allerdings wurde dieses Recht in den letzten Jahren etwas eingeschränkt, nachdem es zu heiklen diplomatischen Situationen für das Außenministerium führte. 



Könnten die USA denn überhaupt China vor dem Internationalen Gerichthof in Den Haag ziehen?
China muss sich nicht automatisch darauf einlassen – die Souveränität von Staaten gilt als sehr hohes Gut. Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs beruht auf dem Konsensprinzip. Die USA könnten einseitige Sanktionen gegen China verhängen, doch würden sie selbst und die ganze Weltwirtschaften davon großen Schaden nehmen. Wir dürfen nicht vergessen, wie enorm die Schadensumme aus der Coronapandemie ist – das könnte kein Land der Welt schultern. Das Eskalationspotential ist enorm. Die Geschichte zeigt, dass oft aus bilateralen Kontroversen weltweite Konflikte wurden. Das gilt es zu verhindern.

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