




Der Ton zwischen Moskau und dem Westen in Folge des Ukraine-Konflikts wird immer rauer. Polens Regierungschefin Ewa Kopacz bezeichnete den Konflikt als die schwerwiegendste Krise der Sicherheit Europas seit dem Kalten Krieg. Zuvor hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow der Nato eine Aufrüstung an den russischen Grenzen vorgeworfen. Das westliche Verteidigungsbündnis selbst will am Mittwoch in Brüssel seinen Aktionsplan zur Stärkung der Sicherheit in den östlichen Mitgliedsstaaten präsentieren.
Kopacz warnte vor einer falschen Einschätzung der Lage. „Es wäre naiv, diese Krise leicht zu nehmen“, sagte sie am Dienstagabend im polnischen Fernsehen. Erstmals werde Blut vergossen „für die Europäische Union, für den Versuch einer EU-Integration“. Wenn die Ukraine um eine Integration in den Westen kämpfe, bedeute dies, dass das Nachbarland hier eine Chance auf Entwicklung sehe, sagte Kopacz. „Diese souveräne Entscheidung muss respektiert werden. Gleichzeitig muss derjenige verurteilt werden, der diese Entscheidung nicht anerkennt.“
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
In seinem verbalen Rundumschlag warf Lawrow der Europäischen Union vor, eine Konfrontation zwischen Moskau und Brüssel zu schüren. Die EU tue so, als gäbe es keine Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensplans für das Kriegsgebiet Ostukraine. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor bestätigt, dass Militär und prorussische Separatisten schwere Waffen von der Front abgezogen hätten. Lawrow beschuldigte die Führung in Kiew aber, den Friedensprozess zu verschleppen.
Aus London kam Kritik an der zunehmenden „russischen Aggression“. Die rapide Aufrüstung Russlands sowie die zunehmend aggressive Haltung der russischen Militärs gäben „erheblichen Anlass zur Sorge“, sagte der britische Außenminister Philip Hammond. Der Nato unterstellte Lawrow eine Aufrüstung an den russischen Grenzen. Dies trage nicht zur Vertrauensbildung bei. Die USA hatten angekündigt, rund 3000 Soldaten zu Manövern ins Baltikum zu verlegen. Dies sei Teil einer Rotation zur Stärkung der Nato in der Region, sagte Pentagonsprecher Major James Brindle. Rund 750 Panzer und anderes schweres Gerät seien schon eingetroffen. Die Nato hält zudem im Schwarzen Meer ein Manöver mit deutscher Beteiligung ab.
Die Ukraine will trotz eines drohenden Staatsbankrotts im laufenden Jahr umgerechnet 566 Millionen Euro für neue Waffen ausgeben - und damit fast viermal so viel wie 2014. Das teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Der Krieg gegen Aufständische im Osten des Landes mache dies nötig, sagte Sprecherin Viktoria Kuschnir der Agentur Interfax. Poroschenko warf den Separatisten wiederholte Verstöße gegen die vereinbarte Waffenruhe vor. Er gehe davon aus, dass das Parlament in Kiew bald über die mögliche Einladung von Friedenstruppen entscheide, sagte Poroschenko.
Die Nato informiert am Mittwoch (10.00 Uhr) über ihren Aktionsplan zur Stärkung der Sicherheit in den östlichen Mitgliedsstaaten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird im Hauptquartier im belgischen Mons über Fortschritte unter anderem beim Aufbau der superschnellen Eingreiftruppe berichten. Diese „Speerspitze“ soll vor allem der Abschreckung gegenüber Russland dienen.
Auch Polen betreibt militärische Vorsorge. Die Modernisierung der Streitkräfte, die Vorbereitung des Nato-Gipfels im Jahr 2016 und der Konflikt in der Ukraine stehen am Mittwoch im Mittelpunkt der Jahreskonferenz der polnischen Militärführung. Die Konferenz werde zweifellos „im Schatten der Ereignisse im Osten stehen“, sagte Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak am Dienstagabend.