Russische Wirtschaft Die russische Pipeline führt ins Nirgendwo

Die russische Pipeline führt ins Nirgendwo – wie diese Fernleitung von Chayvo nach De Kastri. Quelle: imago images

Der verstorbene Senator John McCain witzelte einmal, Russland sei nicht mehr als eine als Land verkleidete Tankstelle. Dieses fossile Geschäftsmodell steckt in einer schweren Krise. In einigen Jahren werden Russlands verarmte Tankwärter auf die spärlich kommende Kundschaft warten. Ein Gastbeitrag.

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Lukas Daubner ist Soziologe und leitet das Team Ökologische Moderne beim Zentrum Liberale Moderne. Aysel Aliyeva hat politische Ökonomie studiert und ist Projektmanagerin im Team Ökologische Moderne beim Zentrum Liberale Moderne. Maya Guseva ist russische Datenjournalistin im Exil. 

Der Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar hat ein kleines Zeitfenster für eine grüne und sozial-ökonomische Modernisierung in Russland geschlossen. Russland war und ist ein fossiles Imperium. Das Geschäftsmodell des viertgrößten Klimagas-Emittenten ist stark von der Förderung und dem Export von Öl, Gas und Kohle abhängig. Ab 2019 – bis Putin beschloss, die Ukraine anzugreifen – gab es jedoch einige positive Entwicklungen in Bezug auf Umwelt- und Klimapolitik in Russland.

Diese Entwicklungen haben zarte Hoffnungen auf eine Veränderung des fossilen Geschäftsmodells im In- sowie Ausland genährt. So hat die exportorientierte Industrie erkannt, dass Europa es mit dem Erreichen seiner Klimaziele ernst meint. Vor allem die Diskussion um einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) hat Teile der russischen Wirtschaft in Bewegung gesetzt. In der Folge wurden CO2-Standards verabschiedet und die Effizienzstandards erhöht. Außerdem wurden kleine und mittlere Unternehmen mit Programmen zur Erzeugung von mehr Solar- und Windenergie unterstützt. Finanzinstitute setzten ESG-Standards auf die Tagesordnung und kohlenstoffarme Pilotprojekte wurden initiiert – zum Beispiel auf der ostrussischen Insel Sachalin.

Guseva, Aliyeva und Daubner Quelle: PR

Ein weiterer Motor für mehr Ökologie und Klimaschutz waren die im ganzen Land aktiven Gruppen von Umwelt- und Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die gegen offene Mülldeponien, Luft- und Wasserverschmutzung oder illegalen Holzeinschlag protestierten. Solange diese Proteste auf lokaler Ebene blieben, wurden sie von den staatlichen Behörden geduldet und hatten manchmal auch Erfolg. Verschiedene Meinungsumfragen zeigten, dass angesichts der wütenden Waldbrände und der höheren Temperaturen die Themen Umweltprobleme und Klimawandel in der russischen Bevölkerung zunehmend an Bedeutung gewannen.

2019 ratifizierte die russische Regierung zudem das Pariser Klimaabkommen und ist dem Abkommen auch nach der Aufkündigung der Mitgliedschaft der USA durch Donald Trump treu geblieben. Russland hält weiterhin am Ziel fest, bis 2060 klimaneutral zu sein.

Die zwei Realitäten der russischen Umwelt- und Klimapolitik 

Die genannten Entwicklungen und die damit verbundenen Hoffnungen sind jedoch mit Kriegsbeginn zerstört worden. Um den unmittelbaren wirtschaftlichen Niedergang abzufedern, der die Folge des Krieges und insbesondere der westlichen Sanktionen ist, werden viele Umweltgesetze oder Förderprogramme für mehr Effizienz oder erneuerbare Energien ausgesetzt. In einer Kriegswirtschaft ist kein Platz für neue Geschäftsmodelle und ökologische Ideen. Das Interesse an Umwelt- und Klimathemen in den russischen Medien seit Februar dieses Jahres lässt deutlich nach, wie auch aktuelle Daten zeigen.

In Reaktion auf die ökonomische Krise war eine der ersten Handlungen des Finanzministeriums, einen Großteil der für die ökologische Transformation vorgesehenen staatlichen Subventionen zur Unterstützung der Öl- und Gasindustrie umzulenken. Darüber hinaus schlug das Finanzministerium im Juli vor, im Jahr 2023 mehr als 500 Milliarden Rubel (etwa 8,2 Milliarden Euro) an Haushaltsausgaben aus allen staatlichen Programmen und Nicht-Programmbereichen zu streichen. Nach offiziellen Angaben wurde das Programm „Umweltschutz“ etwa um neun Prozent gekürzt. Weitere Kürzungen sind zu erwarten.

Die Kriegsfähigkeiten des Kreml sind bereits eingeschränkt, doch das Schlimmste steht ihm noch bevor.

Jetzt wird etwas sichtbar, worauf Experten schon seit vielen Jahren hinweisen: Die zwei Realitäten der russischen Umwelt- und Klimapolitik. Auf der einen Seite wurden internationale Zusagen gemacht, Gesetze verabschiedet und Programme aufgelegt. Auf der anderen Seite werden sie von vielen nicht ernst genommen. Eine Studie des renommierten Levada-Instituts aus dem Jahr 2021 zeigt, dass viele russische Entscheidungsträgerinnen und -träger die Tragweite des weltweit in Gang gesetzten Wandels nicht erkennen. Der Tenor vieler war, dass Europas Green Deal scheitern wird und Europa in ein paar Jahren wieder um billiges Gas betteln wird. Darüber hinaus zeigt die Levada-Studie, dass viele Russen die globale Erwärmung als ein ausländisches, beziehungsweise unrussisches Konzept wahrnehmen, das dazu benutzt würde, russische Interessen und russischen Wohlstand zu untergraben.

Diejenigen Russen, die verstanden haben, in welche Richtung sich große Teile der Welt langsam bewegen, mussten den Wandel von einem sehr niedrigen Niveau aus beginnen: Erneuerbare Energien machen beispielsweise weniger als ein Prozent der Stromproduktion aus. Wie wir zeigen, ist eine Modernisierung der Wirtschaft auch weiterhin nicht in Sicht.

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