Russland Das Trauma sitzt tief

Seite 6/7

Brüssel denkt über das Einfrieren russischer Konten nach

Zahlreiche Flaggen der Europäischen Union wehen vor dem Hauptsitz der EU-Kommission in Brüssel. Derzeit wird darüber nachgedacht russische Vermögen einzufrieren. Quelle: dpa

Niemand hätte sich solch eine Eskalation träumen lassen. Vor zwei Wochen standen die Zeichen zwischen Berlin und Moskau auf Neustart. Die Phase der schwarz-gelben Regierung war keine gute für das bilaterale Verhältnis. Übel stieß Investoren immer wieder auf, dass Bundestagsabgeordnete und FDP-Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Russen mit "Zeigefinger-Diplomatie" vor den Kopf gestoßen hatten. "Die sollen Unstimmigkeiten ansprechen, aber nicht vor laufenden Kameras", so Gerd Lenga, der in Frank-Walter Steinmeier auf einen feinfühligeren Außenminister hofft. 

Lenga ist kein Hinterbänkler. Der Jurist ist seit 25 Jahren in Moskau tätig und führte lange das Russland-Geschäft von Knauf, wo er heute Berater ist. Der fränkische Gipshersteller ist mit mehr als 20 Niederlassungen im GUS-Raum einer der größten deutschen Investoren in Russland. Lenga kennt die Sollbruchstellen des russischen Wirtschaftssystems, er benennt sie auch. Aber der politische Ton gefällt ihm nicht. "Es ist mir unverständlich, wie die deutsche Politik in der Ukraine klar Partei für die Opposition ergreifen konnte", zürnt Lenga. "Die ökonomischen Folgen muss die Wirtschaft jetzt ausbaden." Nun hofft Lenga, dass weiter reichende Sanktionen in den Schubladen der Brüsseler EU-Beamten bleiben. 

Rechtlich möglich wäre vieles, sagt Dirk Hagemann, Rechtsanwalt für Außenhandel im hessischen Büdingen. "Die EU kann gegen Einzelpersonen oder Staaten Sanktionen beschließen, was einen gemeinsamen Beschluss des Europäischen Rats voraussetzt." In der Geschichte sei der außenpolitische Erfolg von Sanktionen allerdings unterschiedlich, so Hagemann. "Nur sehr zielgerichtete Sanktionen versprechen Erfolg, andere können zumindest eine symbolische Wirkung entfalten." 

Natürlich könnte der Westen Russland auch aus dem illustren G8-Kreis der Industrieländer ausschließen - aber das wäre ein rein symbolischer Akt, was schon in Sotschi nicht geholfen hat, als die EU-Spitzen der Eröffnung fernblieben. Ein Embargo gegen russisches Gas wäre aus vertraglichen Gründen schwierig. "Deutschland könnte dank seiner Speicher für 60 bis 90 Tage auf russische Gaslieferungen verzichten", sagt Energieexperte Frank Umbach vom European Centre for Energy and Resource Security in London. Aber die Mindestmenge, die Gazprom jedem Kunden abverlangt, müssten E.On und Co. später einlösen. Hinzu käme, dass viele Länder im Baltikum, in Mittel- und Osteuropa über keine Gasspeicher verfügen und bei einer Energiekrise womöglich ohne Gas dastünden. 

Brüssel liebäugelt daher eher mit dem Einfrieren russischer Vermögen. "Manch reicher Russe wird sich Sorge um sein Vermögen in London, Wien oder Luxemburg machen", sagt EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Allerdings mauern die Briten, die ihr Finanzzentrum London nicht beschädigen wollen. Auch ein kleiner Mitgliedstaat wie Zypern wäre von einem solchen Schritt nicht begeistert. 

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%