Fachleute tun sich schwer, den exakten Effekt von Putins Ukraine-Politik zu beziffern. „Die Wachstumsschwäche hat bereits 2013 begonnen“, sagt Frank Schauff, Geschäftsführer der Association of European Businesses in Moskau, „die Ukraine-Krise und die folgende Sanktionsdebatte haben die prekäre Wirtschaftslage aber verstärkt.“ Besonders betroffen ist die Autobranche, auch die mit diesem Sektor verbandelten Zulieferer und Anlagenbauer.
Nicht einmal der Konsum ist mehr eine große Stütze der Konjunktur. Früher steckten die mit Abwertungen erfahrenen Russen gerade in Krisenzeiten ihr Geld in materielle Werte. Nun aber scheinen die Bedürfnisse eher gesättigt zu sein. Noch mieser ist die Stimmung im Finanzsektor, wo das Investmentbanking angesichts des Investitionsklimas brach liegt und die Finanzierung bei ausländischen Geschäftsbanken wegen der hohen Risikobewertung im Russlandgeschäft kaum mehr möglich ist. „Manch ein Banker würde am liebsten aus dem Fenster springen“, sagt ein deutscher Geschäftsmann in Moskau.
Besorgt ist auch die deutsche Wirtschaft. Mit über 6000 Niederlassungen sind die Deutschen im Land besonders stark vertreten. Zwar gibt es immer noch Investitionspläne: Der Troisdorfer Fensterbauer Profine etwa plant in Russland ein drittes Werk, SAP will mit dem Moskauer Telekomkonzern Rostelekom Cloud-Systeme für Russland entwickeln. Doch die deutschen Exporte nach Russland sind im ersten Quartal um 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum geschrumpft. Laut einer Umfrage des Münchner ifo Instituts spüren bereits 17 Prozent der befragten Unternehmen die Auswirkungen der Ukraine-Krise in Russland, ein Drittel rechnet mit baldigen Folgen. „Viele Unternehmen haben ihre Investitionen auf Eis gelegt“, heißt es auch bei der deutsch-russischen Auslandshandelskammer.
Putins Hang zum Interventionismus zerstört das Vertrauen in den Standort: „Für das Investitionsklima ist es wichtig, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden“, sagt der auf Russland spezialisierte Mainzer Investmentberater Jochen Wermuth mit Blick auf die Krim-Krise: „Es nicht vertrauensbildend, wenn man seinem Nachbarn ein Stück Land wegnimmt.“ Der Rubel verlor seit 2013 gegenüber Euro und Dollar ein Drittel an Wert, auch weil im ersten Quartal mit über 60 Milliarden Dollar mehr Kapital abfloss als im Gesamtjahr 2013.
Zumindest in Moskau tut man sich gleichwohl noch schwer, Zeichen der Krise zu finden: Moderne West-Autos haben alte Lada-Schiguli aus dem Stadtbild verdrängt, neuerdings gibt es Parkuhren. Ständig öffnen neue Cafés mit Freiluft-Terrassen. Gourmetköche aus dem Westen kochen für Restaurants. Parks sind renoviert; der trendige Russe flitzt jetzt auf breiten Skateboards und Rollern über die Flusspromenade am Gorki-Park. Man hat den Eindruck, als wollten die Machthaber gegen potenzielle Unzufriedenheit in der Bevölkerung vorbauen, indem sie aktiv in Lebensqualität investieren.
Wie ein Ereignis aus grauer Vorzeit wirken in diesen Frühsommertagen die Massendemonstrationen vom Dezember 2011. Eine frustrierte Mittelschicht hatte damals auf dem nahen Bolotnaja-Platz nach Wahlfälschungen dem Unmut über Korruption und Willkürherrschaft Luft gemacht. Putins schlimmste Albträume wurden wahr: Eine „bunte“ Revolution, gerichtet gegen ihn! Doch der Kremlchef reagierte taktisch klug, indem er die Protestler gewähren ließ – und strategisch fatal, indem er danach zu schärferer Repression überging und die liberalen Kräfte aus dem Alltag verdrängte.