Russland Gorbatschow wirbt für Dialog

Der frühere Kremlchef ist alt und gebrechlich geworden. Bei einer Preisverleihung muss er sich auf einen Leibwächter stützen. Unverdrossen wirbt er dennoch für eine Verständigung zwischen Europa und Russland.

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Der frühere sowjetische Staatschef Gorbatschow hat in Moskau den „Freiheitspreis der deutschen Medien“ erhalten. Quelle: dpa

Moskau  

Für das Radisson-Hotel am Moskwa-Ufer ist die Verleihung des „Freiheitspreises der deutschen Medien“ an den sowjetischen Ex-Präsidenten Michail Gorbatschow an diesem schmutzig-grauen Wintertag nicht mehr als eine Randnotiz. Die Portiers haben auf der schneematschgetränkten Straße in Moskau genug mit anderen Limousinen zu tun, deren Insassen auf eine größere Veranstaltung im Hotel wollen. Im Haus weist lediglich ein schlichtes Schild dezent auf die Preisverleihung in der Bibliothek hin.

Dort wird der einstige KP-Generalsekretär hingegen beinahe ehrfürchtig von deutschen Journalisten erwartet. „Sie haben auf Dialog statt Konfrontation gesetzt, auf Worte statt auf Waffen, auf Partnerschaft, statt auf Feindschaft. Millionen Europäer sind durch ihre Entscheidungen frei geworden“, lobt Laudator und Verleger Wolfram Weimer den Preisträger. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion genießt Gorbatschow im Ausland – speziell in Deutschland – große Anerkennung, in der Heimat schlägt ihm dagegen Geringschätzung entgegen.

Sein Image hat sich kaum verändert, an Gorbatschow dagegen ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Der Mann, der langsam zur Tür hereinkommt, wirkt fragil, fast zerbrechlich. Krankheiten und auch die Trauer um seine 1999 gestorbene Ehefrau Raissa haben an ihm gezehrt. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen Stock, rechts hält ihn ein junger, kräftiger Leibwächter am Arm. Im März wird Gorbatschow 85 Jahre alt. Sein gleichaltriger Nachfolger als Chef im Kreml Boris Jelzin ist bereits fast neun Jahre tot. 

Er sei alt geworden, räumt Gorbatschow ein. Die Einladung zum Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee, wo er ursprünglich für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden sollte, musste er wegen seiner schwachen Kondition absagen. „So was kann vorkommen“, sagt er bedauernd. Seinen Humor hat er deswegen nicht verloren. Es sei ihm ein großer Trost, dass er mit Tochter Irina, zwei Enkeln und zwei Urenkeln einen „guten Brückenkopf in Deutschland“ habe, fügt er schelmisch hinzu.

Als Brückenbauer zwischen Ost und West versteht sich Gorbatschow eben auch heute noch und so wirbt er auf der Veranstaltung für gegenseitiges Verständnis. Gerade Russland und Deutschland hätten stets gute Beziehungen auf allen Ebenen gepflegt, erinnert er. „Es ist höchste Zeit, auf diesen Pfad zurückzukehren“ - gerade in einer Zeit, die von Blutvergießen und Waffengewalt gekennzeichnet sei, mahnt er.

Gorbatschow ist kein Freund des aktuellen Kremlchefs Wladimir Putin. Immer wieder hat er ihm in den vergangenen Jahren Demokratiedefizite, Korruption und eine übermäßige Erstarkung der Tschekisten-Fraktion vorgeworfen. Kremlsprecher Dmitri Peskow tat Gorbatschow daraufhin abfällig als „Ex-Sowjetführer, der das Land zugrunde gerichtet hat“ ab.


Nur der Dialog könne helfen

Doch in der Krim-Frage unterstützte Gorbatschow die Wiedervereinigung der Halbinsel mit Russland. Im Ukraine-Konflikt musste sich zuletzt auch der Westen unerwartete Kritik für seine Sanktionspolitik anhören, die nach Ansicht Gorbatschows Russlands Interessen – vor allem im Bereich der Sicherheit – ignoriere und den Willen zur Zusammenarbeit vermissen lasse.

Zum großen politischen Rundumschlag ist Gorbatschow an diesem Nachmittag nicht aufgelegt. Private Erinnerungen, speziell an seine schmerzlich vermisste Raissa, stehen im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Mit Kritik und einer konkreten Bewertung der aktuellen Ereignisse hält sich Gorbatschow bei der Preisverleihung zurück.

Dafür kramt er in seinem Gedächtnis die erste Begegnung mit US-Präsident Ronald Reagan hervor: Tagelang habe bei dem Gipfel in Genf Unverständnis zwischen den beiden Staatschefs geherrscht. Als „echten Dinosaurier“ habe er Reagan zunächst empfunden, später sei ihm zugetragen worden, dass auch dieser nicht die beste Meinung von ihm hatte und ihn als „starrköpfigen Bolschewiken“ bezeichnete. Doch im Laufe der Gespräche habe sich Vertrauen aufgebaut. Nur der Dialog habe damals schließlich zur Abrüstung und Beendigung des Kalten Kriegs geführt, sagte er. Das darf wohl doch als dezente Anregung an die aktuelle Politik verstanden werden.

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