Russland in der Krise Putins teure Eskapaden

Der Westen straft Wladimir Putin mit härteren Wirtschaftssanktionen ab. Mit hohen Rücklagen kann der Kreml das Land gut über Wasser halten. Die Modernisierung der Wirtschaft würgt er aber ab.

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Wladimir Putin Quelle: AP

Keiner kennt das russische Pipelinenetz so gut wie Berndt Böhme – nicht einmal die Russen selbst. Der Ingenieur leitet das Moskauer Büro von PSI, einem IT-Unternehmen aus Berlin, das Leitsysteme für die Energiebranche plant und betreibt. Wenn irgendwo in Sibiriens Weiten eine Ölpipeline leckt, kriegt es das Team um Böhme bestimmt mit. Seine Software hilft auch, den Gastransport effizient zu gestalten – auf dass der Brennstoff flott und ohne Verluste beim Kunden ankommt. Die Deutschen sind hier führend wie in vielen Nischen – und natürlich erfreuen sich ihre Produkte auch bei russischen Energiekonzernen wie Gazprom hoher Beliebtheit.

Wohl aber nicht mehr lange. Bei seinen russischen Kunden, hört Böhme, tüfteln ganze Abteilungen an Masterplänen, wie Russland technologisch vom Westen autark werden kann: Selbstgestricktes soll Zugekauftes ersetzen. „Die Russen haben ihre eigenen Lösungen für alle Probleme“, sagt Böhme. Nur seien ausländische Technologien meist besser und würden deshalb stark nachgefragt. Das dürfte sich jetzt ändern.

Womöglich steht Europa erst am Anfang eines Wirtschaftskriegs, den Wladimir Putin zumindest provoziert hat und den die Europäische Union nun nicht mehr weiter verzögern will. Vergangene Woche beschlossen die EU und die USA verschärfte Sanktionen gegen russische Unternehmen und Branchen. „Wir wissen, dass wir auch selber wirtschaftlich darunter leiden können“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Schritt. Aber in Zeiten, in denen es um Krieg und Frieden gehe, müsse die Wirtschaftspolitik zurückstehen. Der Westen will den Kremlchef zu einer Deeskalation im Osten der Ukraine zwingen, wo prorussische Rebellen im Kampf gegen die Armee offenkundig weiter auf russische Unterstützung oder wenigstens Duldung zählen können.

Nach anfänglichem Zögern steht nun auch die deutsche Wirtschaft hinter den Sanktionen. Marcus Felsner, der Vorsitzende des Ost- und Mitteleuropavereins, sagt: Deutschland sei nicht auf Investitionen in einem Land angewiesen, das Nachbarn mit Krieg bedrohe. Sanktionen müsse man daher jetzt auch „durchhalten, bis sie ihr Ziel erreicht haben“. Ob das indes gelingt, ist fraglich. Bislang lässt Putin keinerlei Zeichen erkennen, die auf Deeskalation in der Ostukraine schließen ließen. Nach russischer Lesart kämpfen dort Freiheitskämpfer gegen „Kiewer Faschisten“, die der Westen finanziert – und so verbreitet es auch das Staatsfernsehen. Putin, den eine Welle des Patriotismus zu nie gekannter Popularität trägt, wird so auch zum Gefangenen seiner eigenen Propaganda.

Währungsreserven der russischen Zentralbank (in Milliarden Dollar)

Das bringt ihn in die Zwickmühle. Denn ökonomisch ist klar, dass Russland für die expansive Außenpolitik letztlich bezahlen muss – zumindest auf längere Sicht, sagt Andrej Jakowlew, Ökonom an der Moskauer Higher School of Economics. Abgesehen von Wirkungen auf einzelne Sektoren, seien Wirtschaftssanktionen „ein starkes Signal an alle Investoren, wonach Russland potenziell gefährlich ist“. Mangels Investitionen werde die Wirtschaft ausbluten, zumal eine Umorientierung in Richtung China auf kurze Sicht nicht möglich sei.

Imperiale Träume

In diese Kerbe schlägt auch Felsner: „Putin will die dringend nötige Modernisierung seines Landes offenbar auf dem Altar des Nationalismus opfern.“ Entweder die politische Führung entscheide sich für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes mithilfe der deutschen Wirtschaft – oder aber für imperiale Träume und den Machterhalt ohne Rücksicht auf internationale Spielregeln. „Beides geht nicht“, so Felsner.

Russlands Rüstungsindustrie ist von dem Embargo kaum betroffen

Überfliegt man das Sanktionspaket der EU, wird klar: Die deutsche Wirtschaft ist mit einem blauen Auge davongekommen. Großbritannien hat mit dem unter russischen Investoren sehr beliebten Finanzplatz London höhere Lasten zu tragen:

Rüstungsgüter dürfen künftig nicht an Russland geliefert werden, wobei zwei fast fertige französische Hubschrauberträger noch übergeben werden dürfen.

Für Deutschland fällt das beschränkte Exportverbot bei einer Ausfuhr im Wert von 40 Millionen Euro (2012) kaum ins Gewicht. Allerdings müssen deutsche Unternehmen darauf achten, keine sogenannten Dual-Use-Güter nach Russland auszuführen. Dabei handelt es sich um Waren, die sowohl zivile wie auch militärische Verwendung finden können.

Russlands Rüstungsindustrie ist von dem Embargo kaum betroffen. Die wichtigsten Absatzmärkte der dortigen Militärindustrie sind China, Indien und ein paar Schurkenstaaten. Die Prosperität der Branche, die zehn Prozent zum russischen Gesamtexport beisteuert und im Inland ein starker Beschäftigungsfaktor ist, wird wenig beeinträchtigt.

High Tech für die Ölindustrie darf aus der EU nicht mehr nach Russland geliefert werden. So will Brüssel die Förderung von Rohöl behindern, dessen Exporterlöse den größten Brocken bei den Staatseinnahmen ausmachen. Zumindest ein Teil dieser Technik wird allerdings von heimischen oder asiatischen Herstellern ersetzt werden können. Darunter werden Partnerschaften zwischen westlichen und russischen Unternehmen leiden – das trifft unter anderem die BASF-Tochter Wintershall, vor allem aber die britischen Ölkonzerne BP und Shell, die beide stark in Russland engagiert sind.

Über den Finanzsektor sendet die EU ein lauteres Warnsignal an Russland. Banken, an denen der Staat mit mehr als 50 Prozent beteiligt ist, dürfen sich künftig nicht mehr auf den europäischen Kapitalmärkten finanzieren. Das gilt für die größten russischen Institute wie die Sberbank, VTB und die Gazprombank. Bestehende Finanzierungen sind allerdings nicht betroffen, ausgenommen sind auch Finanzierungen von kürzerer Dauer als 90 Tagen.

Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

Ihre Wirkung werden diese Sanktionen allenfalls mittelfristig entfalten, zu unmittelbaren Liquiditätsproblemen werden sie nicht führen: Gerade die Sberbank, die für den Staat die Sozialleistungen abwickelt, ist nie knapp an Einlagen und Reserven. Zudem verspricht die Zentralbank ihre Unterstützung, die sich schon im Krisenjahr 2008 als effizient und hilfreich erwiesen hatte. Die langfristigen Finanzierungen dürften sich aber in den kommenden Monaten für russische Unternehmen deutlich verteuern, weil die Banken ihre gestiegenen Kosten an die Kunden weitergeben.

Länger und länger wird derweil die Liste der Oligarchen und Politiker, denen die EU die Einreise verweigert. Furcht vor der Konfiszierung ihrer Konten soll in den vergangenen Monaten eine Menge Kapital aus London vertrieben haben. Zu Recht zielten die Sanktionen auch auf „die reichen Oligarchen, die in den Hauptstädten Europas ihre Konten und ihre Immobilien haben“, sagt Minister Gabriel. Diese Sanktionen würden schnell Wirkung beim Gegner zeigen. Dass es zu härteren Sanktionen wie dem Einfrieren von Konten kommt, gilt in Bankenkreisen aber als unwahrscheinlich. Kenner der Moskauer Machtzirkel wie die Soziologin Olga Kryschtanowskaja warnen zudem, den Einfluss der Oligarchen auf Putin zu überschätzen: Solange er in solch hohen Umfragewerten schwelge, sitze der große Zampano schlicht zu fest im Sattel, als dass ihn jemand zum Einlenken zwingen könne. Zumal er 2003 mit der Inhaftierung des Michail Chodorkowski gezeigt hat, wie effektiv die willfährige russische Justiz widerspenstige Oligarchen kaltstellen kann.

Der Westen schadet sich mit Sanktionen selbst

Keine Angst vor Sanktionen

Moskau reagierte auf die Sanktionen, indem das Außenministerium höhere Energiepreise in Aussicht stellte: Die „antirussischen Sanktionen“ seien ein „unbedachter, unverantwortlicher Schritt“, der unausweichlich zu höheren Preisen auf dem europäischen Energiemarkt führen werde, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums. Die EU bezeuge zudem ihre „Unfähigkeit, eine eigenständige Rolle“ in der Weltpolitik zu spielen. Die Reaktion zeigt, die Beschlüsse der vergangenen Woche haben Putin auf dem falschen Fuß erwischt: In Moskau war man offenbar davon überzeugt, Europa werde sich schon nicht zu Wirtschaftssanktionen verleiten lassen. Aus Kreml-Sicht ist die EU ein heillos zerstrittener Club aus Amerika-hörigen Individualisten, deren moralische Werte im Zweifel den Wirtschaftsinteressen untergeordnet sind.

In Russland macht man gute Miene zum bösen Spiel. Staatlich kontrollierte Medien betonen, der Westen schade sich mit Sanktionen selbst – und diese würden darum am Ende nicht so scharf ausfallen. Zumal Russland ja stark genug sei, die Folgen abzufedern. Nach einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums fürchtet nur ein Drittel der Russen irgendwelche Folgen der Sanktionen; im Mai waren es noch mehr als zwei Drittel gewesen. Überhaupt sei der Kreml der falsche Adressat für diese Strafaktion, die sich gegen die Regierung in Kiew richten müsste. In Russland ist man denn auch überzeugt, die Kiewer „Junta“ oder der US-Geheimdienst habe Flug MH17 abgeschossen, um Putin zu belasten; ganz Russland verliert sich in diesen Tage in Verschwörungstheorien.

Wirtschaftswachstum in Russland.

Tatsächlich aber baut die Regierung gegen mögliche Härten durch die Sanktionen vor. Premierminister Dmitri Medwedew kündigte an, Importe durch lokale Produkte ersetzen zu lassen – was eben auch Softwarehersteller PSI treffen könnte. Die Regierung will notfalls „finanzielle Ressourcen“ zur Unterstützung heimischer Hersteller mobilisieren. So gesehen müssten Sanktionen „gar nicht mal schlecht“ für Russland sein, sagt Medwedew. Sie würden die Nachfrage nach inländischen Produkten steigern. Und so diktierte er bereits ein fünfseitiges Dekret mit Gütern, die künftig aus russischen Fabriken stammen müssen – darunter Karossen für Staatsdiener. Dieses Geschäft wird Mercedes und BMW künftig entgehen.

Für einige Zeit kann das gut gehen. Lokale Werkzeugmacher, die noch mit Ausrüstung aus Sowjetzeiten arbeiten, berichten dieser Tage von steigenden Auftragseingängen. Metallbauteile, die bis vor einigen Wochen bei einem deutschen Hersteller bestellt worden wären, produzieren jetzt russische Hersteller auf ihren antiquierten Drehmaschinen. Es könnte ja sein, dass die Bestellung wegen der Sanktionen nicht ausgeliefert wird. Zumal der schwache Rubel die Importe teuer macht, derweil eine Kreditfinanzierung in diesen Zeiten kaum zu kriegen ist. Je größer die Notlage, desto enger rückt das Land zusammen: „Natürlich fährt der Russe lieber im Mercedes durch Moskau“, sagt ein deutscher Investor, „aber wenn es sein muss, kommt man auch mit dem Lada von A nach B.“ Nur fällt das Land technologisch weiter in die Sowjetzeit zurück und behilft sich selbst mit niedriger Qualität – anstatt in zukunftsfähige Technologien zu investieren, mit denen man auch in Zeiten niedriger Ölpreise am Weltmarkt bestehen kann. Ökonom Jakowlew spricht daher von einer „Krise der Zukunft“, die Putin heraufbeschwöre.

Die Folgen könnten auf lange Sicht dramatischer ausfallen

Der Präsident lenkt sein Land taktisch raffiniert, aber ohne langfristige Strategie. Noch hat der Staat genug Ressourcen, um durch die Krise zu kommen. Immerhin hortet das Ölimperium Währungsreserven in Höhe von mehr als 430 Milliarden Dollar, mit denen Härten im Finanzwesen oder einzelnen Industriesektoren abgefedert werden können. Das gelang Putin schon 2009, als er die Wirtschaft eigenhändig durch die Krise manövrierte: Große Arbeitgeber wie Lada-Hersteller Awtowas wurden mit Milliarden gepäppelt, damit sie die Entlassung (wahlberechtigter) Mitarbeiter verhindern konnten – auch wenn sich auf dem Hof die „Shiguli“ stapelten.

Damals ließ ein niedriger Ölpreis Russlands Wirtschaftskraft um fast acht Prozent schrumpfen. Putins hemdsärmelige Rettung von Staatsbetrieben und die Erhöhung der Sozialausgaben rissen daraufhin in den Haushalt ein Loch; das Defizit von knapp acht Prozent musste 2010 aus den Reserven finanziert werden. Heute notiert der Ölpreis trotz Ukraine-Krise über der Marke von 100 Dollar pro Barrel. Putins fatale Wirtschaftspolitik mag das Land in die Stagnation oder gar Rezession treiben, so steil bergab wie 2008/09 geht es für Russland bei aktuell noch zaghaften Sanktionen und der guten Preislage am Rohstoffmarkt aber nicht.

Auf längere Sicht aber könnten die Folgen dramatischer ausfallen. Das Vertrauen in den Standort ist dahin, am Kapitalmarkt gilt Russland als Hochrisikoland, was sich etwa an den gestiegenen Renditen auf Rubel-Anleihen ablesen lässt. Seit Jahren ist bekannt, wie tiefkorrupt die Geschäftspraxis in Russland ist, dass man Gerichte kaufen und mithilfe der Justiz Unternehmen feindlich und billig übernehmen kann. Die Annexion der Krim kommt noch hinzu.

Putins teure Eskapaden

Die Folgen sind teuer: Kredite gibt es in Russland nur mehr zu exorbitanten Zinsen um die 30 Prozent, auch weil die russische Zentralbank zur Inflationsbekämpfung die Leitzinsen immer höher schraubt. Was nur begrenzt wirkt; die Teuerung betrug allein im Juni 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aufs Gesamtjahr gerechnet, wird eine Geldentwertung von bis zu zehn Prozent erwartet. Doch die massive Kapitalflucht, die im ersten Halbjahr mit rund 80 Milliarden Dollar das Niveau von 2013 überschritt, könnte den Wert noch höher treiben.

Mit ihrer Hochzinspolitik kann die Zentralbank die Kapitalflucht bremsen, nicht aber stoppen – und Moskauer Auguren erwarten, dass Hardliner aus dem Putin-Umfeld bald Kapitalverkehrskontrollen gegen die liberalen Notenbanker durchsetzen werden.

Es kommt hinzu, dass Putins Eskapaden auch das Budget schwer belasten. Allein auf der Krim will die Regierung dieses Jahr rund fünf Milliarden Euro investieren, die Sanktionen könnten Russland nach EU-Prognosen 20 Milliarden Euro kosten. Der hoch verschuldete Staatskonzern Rosneft wurde vom Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag zu einer Rekordstrafe von mehr als 50 Milliarden Dollar verknackt. Dessen Filetierung des Ölkonzerns Yukos, der mit der Verhaftung von Ex-Oligarch Chodorkowski 2003 in die Pleite getrieben wurde, soll rechtswidrig gewesen sein.

Der Internationale Währungsfonds sah Russlands Wirtschaft schon in der Rezession, da waren die Sanktionen der vergangenen Woche noch nicht bekannt. Die Investitionen liegen völlig brach, die Preise für Verbraucher und Unternehmen steigen. Die Embargopolitik des Westens wird dazu führen, dass jedes Unternehmen Handelsaktivitäten mit Russland infrage stellt, schon um zu Hause Strafen zu vermeiden. So setzen die Sanktionen eine Spirale in Gang, die sich immer schneller dreht.

Die Modernisierungspartnerschaft war ein Missverständnis

Letztlich schadet sich Russland mit der Abschottung aber selbst. Deutsche Unternehmen können gut und gerne auch nach China oder Indien liefern. Außer Öl und Gas hat Putins Reich dem Weltmarkt nicht viel zu bieten. Afrika braucht vielleicht noch Kalaschnikow-Schießeisen, die Kasachen kaufen ein paar spritintensive Traktoren, Indien ein U-Boot, aber nur mit Preisnachlass. Doch die meisten Güter lassen sich nur am Binnenmarkt oder in Ländern der ehemaligen Sowjetunion verkaufen.

Kein Wandel durch Handel

Moskau war da schon mal viel weiter – und Deutschlands Wirtschaft könnte bei der Modernisierung der russischen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Das wurde nie so deutlich wie im Sommer 2010, als das halbe Bundeskabinett in drei Regierungsmaschinen zu einem Gipfel nach Jekaterinburg an das Uralgebirge flog. Es war die Zeit, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew liebevoll duzte und die Hälfte der Chefs von Dax-Unternehmen von derlei Treffen mit Milliardenverträgen heimkehrten.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Die Modernisierungspartnerschaft, an die die Deutschen damals unisono glaubten, war in Wahrheit von Anfang an ein Missverständnis: Die deutsche Politik wollte den heimischen Unternehmen Aufträge beschaffen – und hoffte zugleich, dass sich Russland durch den Handel hin zur Demokratie entwickeln würde. Man hat in der deutschen Politik nie verstanden, dass in Russland die Demokratisierung nicht der Wegweiser ist, dem man wie selbstverständlich folgt. Die Russen indes wollten einfach deutsche Technologien haben.

Wladimir Putin, der den vermeintlich liberalen Medwedew später als Platz-Warmhalter demaskierte, hat sich von außen niemals in die Politik reinfunken lassen. Als er im Mai 2012 in den Kreml zurückkehrte, zog er autoritär die Zügel an – auch wenn die Wirtschaft krampfhaft an der Worthülse der „Modernisierungspartnerschaft“ festhielt. Jetzt sieht es aus, als könne die deutsche Wirtschaft alle Hoffnungen auf gute Geschäfte auch für die Zukunft begraben: Weder will sich Russland im großen Stil modernisieren – noch lüde Putin die Europäer ein, sich daran zu beteiligen.

Russland will jetzt wieder anders sein als der Westen. So lässt sich die gedrungene Schaffung der Eurasischen Wirtschaftsunion verstehen, die strukturell der EU nacheifert, wirtschaftlich aber kaum stärker ist als etwa Brasilien. So lässt sich auch Putins taktischer Schwenk nach China verstehen, wo der Ölriese Rosneft im vergangenen Jahr lukrative Öllieferverträge abschloss und Gazprom im Mai einen weniger vorteilhaften Gas-Deal eintütete. Die raffinierten Chinesen, bekannt als knallharte Verhandler, sind den Russen indes auch nicht ganz geheuer. Bislang fehlen die technologischen Leuchtturmprojekte von Chinesen in Russland jedenfalls.

Akut stellt sich die Frage, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann. Kenner der Putin’schen Machtlogik wie Ilja Ponomarjow bezweifeln, dass Druck von außen Putin zur Deeskalation in der Ostukraine bewegen wird. Putin rudert nie zurück, sagt der Abgeordnete, der in der Duma als Einziger gegen die Krim-Annexion gestimmt hat. Nachgeben gelte für ihn als Zeichen der Schwäche, und Schwächlinge wählen die Russen nicht. Das „System Putin“ ist stabil, weil eine Mehrheit im Land hinter dem Mann und seinen Aggressionen steht, weil das Land im Wir-sind-wieder-wer-Gefühl schwelgt. Um die Krise in der Ukraine zu beenden, kommt für Putin nur eine Lösung infrage, die ihn in Russland als Sieger aussehen lässt. Eine ernsthafte Idee, wie das funktionieren könnte, hat im Westen allerdings noch keiner gefunden.

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