In erster Linie ist Putins Politik die Ursache für den Vertrauensverlust. Mit der Krim-Annexion im März und der fortwährenden Unterstützung der Separatisten in der Ukraine beweist der 63-Jährige, wie egal ihm internationale Regeln sind. Mit diesem Rechtsverständnis leistet er seinem Land einen Bärendienst, denn Investoren machen längst einen Bogen um den Risikomarkt Russland.
Selbst die russischen Investoren meiden die Heimat, was sich am Kapitalabfluss von dieses Jahr mindestens 130 Milliarden Dollar ablesen lässt. Russland wird so zum Spielball für Spekulanten – und die Realwirtschaft blutet isoliert vom globalen Finanzmarkt immer mehr aus.
Was ist „Neurussland“?
In der Ostukraine haben prorussische Separatisten im Mai ihre „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk zu „Neurussland“ vereinigt. Auch Russlands Präsident Putin verwendete mehrfach diese Bezeichnung. Sie hat einen historischen Ursprung.
Mitte des 18. Jahrhunderts wurde ein Militärbezirk nördlich des Schwarzen Meeres so genannt. Neurussland reichte damals von Bessarabien (heute die Republik Moldau) bis zum Asowschen Meer. Zentrum war Krementschuk, etwa 300 Kilometer südöstlich von Kiew. Zur Zeit der Feldzüge gegen die Türken und das Krim-Khanat sollte die Ansiedlung russischer und ukrainischer Bauern sowie ausländischer Siedler das Grenzgebiet stabilisieren.
1764 bildete Zarin Katharina die Große das „Neurussische Gouvernement“. Nach der Eroberung der Krim verlor Neurussland seine strategische Bedeutung und wurde rund 20 Jahre nach der Gründung wieder aufgelöst. Zar Paul I. bildete 1796 erneut ein kurzlebiges Verwaltungsgebiet Neurussland um den Hauptort Noworossisk, dem heutigen Dnjepropetrowsk.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ein russisches „Generalgouvernement Neurussland-Bessarabien“ geschaffen. Von 1818 bis etwa 1880 wurden wieder ausländische Siedler angeworben. Auch aus deutschsprachigen Gebieten kamen viele Menschen in die Steppen Neurusslands. Die Dörfer dieser „Schwarzmeerdeutschen“ existierten bis zu den Deportationen in der Stalin-Zeit.
Die Rechnung zahlen die normalen Russen über die Inflation, die real längst im hohen zweistelligen Bereich liegt. Politisch wird das früher oder später zum Problem für Wladimir Putin. Eigentlich. Denn just in der Phase, da Russland wirtschaftlich am Boden liegt, treten die Amerikaner noch einmal nach.
Heute wird US-Präsident Barack Obama wohl neue Sanktionen gegen Russland in Kraft setzen. Die sollen vor allem der Ölindustrie schaden und der Tatsache Rechnung tragen, dass die Krim immer noch in russischer Hand ist und die Separatisten rund um Donezk und Lugansk immer noch Unterstützung aus Russland für ihren Kampf gegen die Ukraine bekommen.
Stimmt. Andererseits gab es zuletzt keine neue Eskalation des Kriegs, im Gegenteil scheint Moskau am Verbleib der Ost-Ukraine unter Kiewer Führung schon aus Kostengründen ernsthaft interessiert zu sein. Gerade jetzt wäre es Zeit, einen neuen Schlichtungsversuch zu starten! Brüssel sollte sich vorsehen, den Amerikanern diese Woche mit einer Verschärfung der Sanktionen blind zu folgen.
Putin ruiniert sein Land selbst – ob mit oder ohne schärfere Sanktionen. Die Verschärfung ist eine Torheit zu Lasten der russischen Bevölkerung, das Kräftemessen zwischen Ost und West zeugt von völliger Unkenntnis der innenpolitischen Befindlichkeit in Russland: Mit neuen Strafmaßnahmen böte sich der Westen freiwillig als Sündenbock für das ökonomische Übel an, das Putin im Kern selbst zu verschulden hat. So stabilisiert Obama jenen Putin, den er insgeheim loswerden will.
Die gefährliche Folge für Europa könnte eine weitere Radikalisierung der Russen sein, die sich dank eines gut geölten Propagandaapparats ohnehin in einem Krieg mit dem Westen wähnen. Vermutlich wird das autoritäre Regime in Russland eines Tages krachend zusammenbrechen. Vorher ist aber nicht ausgeschlossen, dass Putin Politik noch aggressiver wird. Weil er es kann. Und weil er nichts mehr zu verlieren hat.